Die weltweite Anti Atom Bewegung

Die Ausgangslage. Vor der UNO verkündet am 08.12.1953 der US-Präsident Dwight D. Eisenhower seine Botschaft: „Atome für den Frieden“ In der Erklärung heißt es: „Die Vereinigten Staaten sind davon überzeugt, dass die friedliche Nutzung der Atomenergie kein Zukunftstraum ist.“ Das wird allgemein als Startschuss für den Bau von Atomkraftwerken (AKW) gesehen. In Westdeutschland war dies erst ab 1955 möglich. Bis dahin galt ein alliiertes Betätigungsverbot für die Atomforschung. In den 50er und 60er Jahren wurden kleinere Atomanlagen weltweit gebaut.

Die „Atomic Energy Commission“ (AEC) (Atomenergiebehörde in den USA) veröffentlichte nach der Ölkrise 1973 ein Konzept, nach dem 24.000 Atomkraftwerke (AKW) von der sechsfachen Größe der 1973 üblichen Blöcke gebaut werden sollten, um den Weltenergiebedarf zu decken. Die OECD und die IAEO haben 1975 prognostiziert, dass nach dem Jahr 2000 weltweit eine AKW-Kapazität von 25.000 Gigawatt installiert sein wird. 200 AKW wollte ab 1973, so die Planung, Frankreich bauen. Heute gibt es dort 59 AKW. Auch hier konnten nicht alle AKW durchgedrückt werden. Im Jahre 2009 gibt es 436 AKW in 31 Ländern von rund 200 Staaten auf der Erde. Etwas bescheidener waren die Atombefürworter in Deutschland. Diskutiert wurde auch die Zahl von 10.000 AKW in Westdeutschland. Rund 600 AKW und fünfunddreißig Wiederaufarbeitungsanlagen gingen in direkte Planungsvorschläge ein. Nach 21 AKW über 17 AKW sind neun Atomkraftwerke heute in Deutschland als betriebsbereit bekannt. (2011) Die DDR hatte 15 AKW geplant, alle bestehenden AKW wurden nach der Wende 1990 stillgelegt.

Der Widerstand gegen Atomanlagen beginnt in den USA

Der erste legale Widerstand durch gesetzliche Einwendungsmöglichkeiten gegen Atomanlagen wurde in den USA verzeichnet. 1958 gründete sich in Kalifornien eine Anti Atom Gruppe nachdem bekannt wurde, dass 75 km nördlich von San Francisco ein AKW gebaut werden soll. Sie machen Eingaben und Einwände auf Staatsebene und bei US-Bundesbehörden. Sie führen ein Benefizkonzert durch und machen eine öffentliche Veranstaltung am geplanten AKW Standort und lassen dort 1.500 Heliumluftballons starten. Die Planungen für dieses AKW werden 1964 eingestellt. Nach 1973 planen US-Bundesbehörden 1.000 AKW (Nixon Regierung) für die USA. Dagegen regt sich Widerstand. Ab 1978 ist die Anti Atom bundesweit in den USA vernetzt. 1978 wurden auch in Kanada und Niederlande weltweite Anti Atom Zentralen gegründet, die bis heute aktiv sind.

Die Anti-AKW-Bewegung kommt nach Europa

Die ersten Bürgerinitiativen (BI) gegen Atomanlagen in Europa wurden 1968 in Paris gegründet. Bereits 1970 gab es in Frankreich landesweit Anti-AKW-Gruppen, die eine Vernetzung aufgebaut hatten, um gemeinsam gegen den Bau von AKW zu agieren. So ab 1972 wurden langsam auch in Westdeutschland Bürgerinitiativen gegen Atomanlagen ins Leben gerufen. (Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz, BBU) Sie haben sich erst mal selber schlau gemacht. Das langsame Zusammenwachsen von Einzelpersonen und Gruppen in der neuen Organisationsform Bürgerinitiativen beginnt. Das war damals was total Neues. In Wyhl, in Südwestdeutschland, kam es dann 1975 zur ersten großen Demo in Westdeutschland, rund 28.000 Menschen aus der Schweiz, Österreich, Frankreich und Südwestdeutschland besetzen den Bauplatz im Wyhler Wald. Zum ersten Mal standen eher konservativ bäuerliche Bevölkerung und linke, eher langhaarige Studentengruppen aus den Großstädten miteinander auf der Straße und probten den erfolgreichen Widerstand gegen die Politik und Atomindustrie. Seit dieser Zeit gibt es auch eine gute Zusammenarbeit zwischen französischen und deutschen AtomkraftgegnerInnen bis heute. Wir haben in der Geschichte der Aussöhnung zwischen den beiden Ländern einen eigenen dicken Fußabdruck hinterlassen. Es gibt auch ein gemeinsames Symbol, das in beiden Ländern große Verbreitung fand. „Stoppt die Atomindustrie – kämpft für das Leben“. Eine fast wörtliche Übersetzung aus dem französischen „halte à l`industrie nucléaire – combat pour la vie.“ Es wurde dann so langsam von der heute überall bekannten lachenden Anti-AKW-Sonne abgelöst, die von Anne Lund aus Dänemark 1975 gezeichnet wurde und die bis heute, weltweit so 20 bis 40 Millionen Mal verkauft wurde, nur Che verkaufte sich besser. Zum Beststeller wurde auch das Anti-AKW-Liederbuch, das in vielen Neuauflagen erschienen ist.

Das Jahr 1977 in der Anti-AKW-Bewegung

Viele Bürgerinitiativen gegen Atomanlagen wurden 2007 schon dreißig oder fünfunddreißig Jahre alt. Im Rhein-Main-Gebiet haben sich viele in der Jahreswende 1976 / 1977 gegründet. Auslöser waren die schweren Auseinandersetzungen um die Atomkraftwerke (AKW) Brokdorf, Kalkar, Grohnde und Malville (Frankreich). Dort starb durch eine Gasgranate, die vor ihm aufschlug, der Atomkraftgegner Vital Michalon. Es gab in Malville viele weitere verletzte Menschen. Viele verloren ihre Arme, Beine und Finger. In den folgenden Schnellgerichten wurden besonders viele Deutsche und Schweizer verurteilt, um zu beweisen, dass die Anti-AKW-Bewegung aus dem Ausland gekommen sei. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die westdeutsche Anti-AKW-Bewegung ist mit Hilfe der damals bereits bestehenden französischen Anti-AKW-Bewegung aus der Taufe gehoben worden und hatte unerwartet für alle ein sehr langes Leben. Die Anti-AKW-Bewegung wurde damals zur Massenbewegung in der westdeutschen Republik. Wer zur Demo 1977 nach Kalkar auf der Autobahn fuhr hatte Pech. Die Polizei stellte 147.000 Mal die Personalien fest. Ein Sonderzug aus Hamburg wurde auf freier Strecke angehalten und durchsucht. Alle Grenzstationen zu Frankreich wurden geschlossen. Tausende von französischen AtomkraftgegnerInnen steckten fest und konnten nicht zur Demo in Kalkar kommen. Vor niemanden hatte die deutsche Polizei mehr Angst als vor französischen AtomkraftgegnerInnen.

Neue Aktionsformen

Es werden andere und weitere Widerstandsformen entwickelt und ausprobiert. Eine Bauzaunauseinandersetzung gab es so nicht mehr. Hinzu kam 1978 die Ablehnung der Atomenergie durch einen Volksentscheid in Österreich. Die unerwartete Breite, der innere Zusammenhalt und die Entschiedenheit der heterogenen Anti-AKW-Bewegung behinderten den Ausbau des Atomprogramms. Gerichtlich verfügte Baustopps und politischer Druck führten dazu, dass schon zwischen 1975 und 1979 keine Bestellungen und Genehmigungen für weitere AKW in der BRD zu verzeichnen waren. In dieser Zeit fiel auch eine Phase rückläufigen und stagnierenden Stromverbrauchs. Stichwort zweite Ölkrise. Es sei daran erinnert, dass damals bei den Erörterungsterminen für die Atomkraftwerke eine Laufzeit von maximal 25 Jahren genannt wurde.

Die weltweite Anti-AKW-Bewegung

In den Ländern Griechenland, Irland, Luxemburg, Norwegen, Dänemark und den Philippinen wurde das geplante Atomprogramm von der Anti-AKW-Bewegung in den 1970er und 1980er Jahren gekippt. In allen westlichen Ländern die Atomkraftwerke bauen, gibt es eine Anti-AKW-Bewegung, die zum Teil mit massiven Protesten gegen das Atomprogramm in ihren Ländern vorgegangen ist. Schwere Auseinandersetzungen mit Demos, Platzbesetzungen und Sabotage auf Baustellen von Atomanlagen gab es in den 1970er und 1980er Jahren in den USA, Japan, Südkorea, Taiwan, Australien (Uran), Südafrika, Philippinen, Spanien, England, Irland, Schweden, Italien, Österreich, Schweiz, Frankreich und Westdeutschland. In den Ländern Südkorea, Taiwan, DDR (seit 1986) und auf den Philippinen war die Anti-AKW-Bewegung sogar ein Teil der Demokratiebewegung. AKW wurden immer wieder verhindert. Als nach den schweren Auseinandersetzungen in Brokdorf 1977 diskutiert wurde: Wie geht es weiter? Da haben an der Unterelbe auch AtomkraftgegnerInnen aus dem europäischen Ausland und Übersee (Australien und USA) mitdiskutiert. In Patagonien in Argentinien wurden Uranabbau und ein Endlager verhindert. Auch in Brasilien gibt es AtomkraftgegnerInnen. Die Anti Atom Bewegung gab es – gibt es in 45 Ländern der Erde. 31 Länder betreiben Atomkraftwerke.

Weltweiter Uranabbau

In Australien war der Widerstand gegen den Uranabbau so groß, dass bis 2007 nur drei Uranminen gleichzeitig laufen durften, 2009 wurde eine vierte genehmigt. In den Uranabbaugebieten der Welt besonders in den USA, Kanada, Australien, Niger und Namibia ist die Lebensgrundlage der vor Ort lebenden Bevölkerung, meist indigene Völker, auf Dauer zerstört. Die Uranabbau – GegnerInnen haben sich seit Ende der 1970er Jahre weltweit vernetzt.

Baskenland

Der Widerstand gegen die Atomenergie war besonders im Baskenland sehr heftig, weil die Anti-AKW-Bewegung dort mit dem Widerstand gegen die Franco-Diktatur verbunden war. Es gab Sprengstoffanschläge auf das Atomkraftwerk Lemoiz sowie Attentate auf Bauarbeiter und Ingenieure durch die ETA, die den Weiterbau um viele Jahre verzögerten. Dieser wurde angesichts des Widerstands schließlich eingestellt. So wurde Gladys del Estal, eine Atomkraftgegnerin, auf einem internationalen Anti-AKW-Fest am 03.06.1979 im Baskenland von einem Polizisten, am Boden liegend, durch einen Kopfschuss getötet. Der Polizist wurde später freigesprochen. Als Reaktion darauf gab es im ganzen Baskenland erhebliche Proteste mit Barrikaden und Anti Atom Demos.

Ein kleiner Ort an der Elbe mit dem Namen Gorleben

Im Wendland, genauer am Ort Gorleben, das von der Politik und Atomindustrie 1977 als bundesweites Atomklo bestimmt wurde, fanden u.a. 1977 eine Demo mit 15.000 Menschen, 1980 die Besetzung von Bohrloch 1004 mit 5.000 Menschen, die Gründung der Republik Freies Wendland und 1984 die tollen Wendlandblockaden gegen den Atommüll statt. Das heute bekannte gelbe X-Zeichen-Plakat löste damals Polizeidurchsuchungen im ganzen Land aus.

1979 ging die Aufbauphase der Anti-AKW-Bewegung zu Ende

An Pfingsten fand ein weltweites Anti Atom Aktionswochenende statt. Die schönste Aktion gab es in Kanada. Dort sprangen AtomkraftgegnerInnen mit dem Fallschirm punktgenau auf ein AKW Gelände ab. Ein erster Generationenwechsel bahnte sich an. Viele großstädtische BIs schrumpften zusammen. Andere Umweltthemen rückten in den Vordergrund. Einige gingen aufs Land und gründeten Landkommunen. Die Gründung der Partei „Die Grünen“ zog auch Menschen aus der Anti-AKW-Bewegung ab. Im Jahre 1979 fanden zwei Großdemos im März in Hannover mit über 100.000 und im Oktober in Bonn mit rund 120.000 Menschen statt.

Die 1980er Jahre der Anti-AKW-Bewegung

Anfang der 80er flossen Standpunkte der rapide wachsenden Friedensbewegung ein, auch in die Anti-AKW-Bewegung, die mit dem Bundeskongress autonomer Friedensinitiativen (BAF) kooperierte.

1985 fuhr der erste Atommülltransport mit Atommüllfässern in das Zwischenlager von Gorleben. Vorneweg ein Räumpanzer der Polizei und viele Polizeiautos mit Hubschrauberunterstützung hinterher.

Eine andere Energieversorgung

1980 wurden bereits die ersten Gesamtkonzepte für eine andere alternative Energiepolitik vom Öko-Institut entwickelt und in der Anti-AKW-Bewegung diskutiert. Das neue Energiekonzept hatte drei Säulen. Energieeinsparung, Energieeffizienz und regenerative Energien (Sonne, Wind, Biomasse). Heute sagen wir eher Erneuerbare Energien. Eine dezentrale Energieversorgung ist notwendig und machbar. Schon 1975 auf dem besetzten Platz in Wyhl wurde die Gründung des Öko-Instituts angedacht und erste Ansätze für eine andere Energieversorgung diskutiert, Ideen wurden dazu entwickelt und auf den Weg der Umsetzung in Freiburg weiter bearbeitet. Von der Politik war keine Unterstützung zu erwarten. Sie setzte bis in die 1990er Jahre auf die bekannte Großtechnologie von Kohle und Atom. Die Region Freiburg ist heute ein Solarforschungsschwerpunkt. Viele Menschen, die heute in den Führungsetagen der mittelständigen Solarfirmen oder BesitzerIn einer z. B. Windenergiefirma sind, haben am Bauzaun von Wyhl Prügel von der Polizei bezogen. Heute gibt es Plusenergiehäuser, die mehr Strom erzeugen, als sie verbrauchen. Noch in den 1990er Jahren behaupteten die großen vier Energieversorger in Anzeigen, dass eine erneuerbare Energieversorgung nur bis 4 Prozent möglich sei. Heute haben wir erneuerbare Energien von etwa 20 Prozent. Alle positiven Prognosen wurden locker überholt. Die Großtechnologie von Kohle- und Atomenergie wird nicht mehr benötigt. Die Zukunft der erneuerbaren Energie hat schon begonnen.

Wieder ein Aufschwung der Anti-AKW-Bewegung

Ab 1985 begann bereits die bundesweite Mobilisierungsphase der Anti-AKW-Bewegung gegen die Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in Wackersdorf in Süddeutschland. In diese Phase explodierte 1986 das AKW im ukrainischen Tschernobyl. Der Supergau war da. Die Anti-AKW-Bewegung in der BRD reagierte darauf schneller als alle Behörden und staatlichen Stellen, die abwiegelten und sich als völlig überfordert erwiesen. Der Tschernobyl-Schock saß tief, nie gab es so viele Demonstrationen und Aktionen gegen Atomanlagen. Selbst die SPD beschloss auf ihrem Nürnberger Parteitag den Ausstieg aus der Atomenergie innerhalb von zehn Jahren. Seit dieser Zeit gibt es in der BRD stabile Umfragewerte gegen die Atomenergie in der Bevölkerung. Durch einen Volksentscheid 1987 in Italien musste die italienische Regierung aus dem Atomprogramm aussteigen und alle Atomkraftwerke im Lande stilllegen.

Bis 1989 war dann das beherrschende Thema die WAA in Wackersdorf, bis diese unter dem Druck der Anti-AKW-Bewegung von der Industrie aufgegeben wurde. Durchaus als Erfolg der Anti-AKW-Bewegung können gleich verschiedene Entscheidungen des Jahres 1989 gewertet werden: Am 3. April vereinbaren der Energieversorger VEBA und die französische COGEMA (Betreiberin der WAA La Hague) die Wiederaufarbeitung deutscher Brennelemente in Frankreich und damit das Aus für Wackersdorf, das dann am 7. Juni 1989 endgültig verkündet wird. Bereits im März 1989 hatte Bundesforschungsminister Riesenhuber das endgültige Aus für den Schnellen Brüter in Kalkar verkündet. Und im Mai 1989 sickerte durch, dass die Betreiber des Hochtemperaturreaktors Hamm-Uentrop einen Antrag auf Stilllegung des bereits seit September 1988 wegen eines Störfalls abgeschalteten Pannenreaktors stellen wollen. Insgesamt wurden seit 1988 – so der Vorstandsvorsitzende der RWE anlässlich des Geschäftsberichtes 1995 – Atomenergieinvestitionen in Höhe von 15 Milliarden DM zum Scheitern gebracht – wenn das nicht ein Erfolg der Anti-AKW-Bewegung ist. Bereits vor der Wende 1989 wurde auf eine Europäisierung der Atomwirtschaft gesetzt. Das Heil wurde in einer Kooperation mit Frankreich gesehen, wie die Verträge mit der COGEMA, heute Areva, zeigen. Lediglich in Hanau setzte Siemens weiterhin auf Ausbau und plante und baute eine Mischoxid-Brennelementefabrik, in der das Plutonium aus der Wiederaufarbeitung im Ausland verarbeitet werden sollte. Diese Anlage wurde 1995 – bereits zu 95 Prozent fertig gestellt – endgültig aufgegeben. Über eine weitere 1 Milliarde DM war somit in den Sand gesetzt.

Die Wiedervereinigung verursachte einen Niedergang der Anti-Atom-Bewegung

Alle Umweltthemen waren plötzlich nicht mehr gefragt. Die westdeutschen Grünen flogen aus dem Bundestag. In der Presse wurde schon der Abgesang der Anti-Atom-Bewegung angestimmt. Von 1991 bis 1992 kam es zu einer echten Flaute im Widerstand gegen Atomanlagen, u.a. mit einer Bundeskonferenz der Anti-AKW-Bewegung mit rund 40 AktivistInnen in Gronau. Diese Flaute ging mit den Aktionen gegen die geplanten Castortransporte nach Gorleben 1993 und 1994, die im letzten Moment gestoppt wurden, zu Ende. Diese hätten schon seit 1985 durchgeführt werden können, aber irgendwie schaffte die Atomwirtschaft das bis 1995 nicht. Immer wieder kam was dazwischen.

Die Anti-AKW-Bewegung erhebt sich wie Phönix aus der Asche

1995, 1996, 1997 und 1998 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen bei Castortransporten nach Gorleben und Ahaus. 1998 wurden hohe Verstrahlungen an den Castorbehältern festgestellt. Bis zu 50.000 Becquerel wurden gemessen, vier waren erlaubt. Die damalige Bundesumweltministerin, Frau Merkel (CDU), stoppte im Mai 1998 alle Castortransporte. Wir stehen erst 2001 wieder vor neuen Castortransporten nach Gorleben und einer komischen „Ausstiegsdebatte“ aus den Atomanlagen, die keine ist, da die Atomkraftwerke insgesamt 32 Jahre !?! weiter laufen können. Einen Kompromiss mit Bestandsgarantie für die bestehenden Atomanlagen haben die AKW-Betreiber bekommen.

Der 11. September 2001, Terrorangriff auf das World Trade Center in New York mit rund 3.000 toten Menschen verändert alles. Seit dem besteht weltweit die Drohung Atomkraftwerke mit Terrormitteln anzugreifen. Kein einziges AKW, weltweit, ist für einen solchen Fall ausgelegt worden. Das wurde in den Erörterungsterminen zu den Atomanlagen, wie kriegerische Auseinandersetzungen auch, immer wieder als „Restrisiko“ abgetan.

Am 7. November 2004 beim 8. Castortransport starb Sébastien Briat, als er den Castorzug in Ostfrankreich stoppen wollte. Beide Beine wurden ihm abgefahren. Große Betroffenheit und Trauer bei allen AtomkraftgegnerInnen.

Der Atomkompromiss von 2000 bleibt bestehen

Im September 2005 finden vorgezogene Bundestagswahlen statt. Die CDU/CSU muss mit der SPD eine Koalition bis 2009 bilden. Der 2000 vereinbarte sogenannte rot-grüne „Atomausstieg“ bleibt bestehen. Eine neue Endlagersuche wurde nicht durchgeführt. Der Widerstand gegen den Castortransport nach Gorleben ging auch nach 2005 weiter.

20 Jahre Tschernobyl

2006 fanden viele Veranstaltungen und Demos zum 20. Jahrestag von Tschernobyl statt. Die größte Demo mit rund 30.000 Menschen fand bei strömendem Dauerregen in Cherbourg / Frankreich statt, trotzdem war die Stimmung einfach super gut. 25.07.2006. Ein schwedisches Atomkraftwerk ist für 23 Minuten ohne Kontrolle, Kurzschluss, Stromausfall, die Notstromaggregate sprangen nicht an. 7 Minuten vor dem Supergau konnten doch noch zwei Notstromaggregate eingeschaltet werden. Erst Anfang August erfuhr die Öffentlichkeit von dem Atomvorfall im AKW Forsmark. Die Debatte über die Atomenergie ist wieder neu entfacht. Am 25.09.2006 stellt RWE den Antrag auf Laufzeitverlängerung für den Schrottreaktor Biblis A beim Bundesumweltministerium bis 2011. Ab dem 11.11.2006 kommt der 10. Castortransport nach Gorleben. Der Castorzug wurde schon in Frankreich gestoppt. In Süddeutschland musste der Castortransport viermal stoppen. In Gorleben demonstrierten am Endlager rund 6000 Menschen und 200 Trecker. Auf den Weg ins Zwischenlager wurde der Castortransport immer wieder aufgehalten. Nach Angaben der Bürgerinitiative (BI) Lüchow-Dannenberg beteiligten sich vor der Ankunft 2.000 Menschen an Blockadeaktionen. Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sprach von insgesamt 3.500 überwiegend friedlichen Demonstranten über das gesamte Wochenende. Allerdings hätten 800 gewaltgeneigte Störer der Polizei erhebliches Kopfzerbrechen bereitet. 21 Polizeibeamte seien insgesamt verletzt worden, zwölf durch Fremdeinwirkung. Nach Angaben der BI wurden 146 Castor-GegnerInnen verletzt, vier davon schwer.

Der Schrottreaktor Krümmel

2007 beginnt die EU-Ratspräsidentschaft von Deutschland. Der Euratomvertrag, EU-Gründungsvertrag von 1957, wird diskutiert. Es bleibt aber alles unverändert. Bei einem Trafobrand am AKW Krümmel am 28.06.2007 bricht eine neue Diskussion über Atomanlagen los. Eine beispiellose Pannenserie, Schlamperei und das Kommunikationschaos haben den zuständigen AKW-Betreiber Vattenfall in wenigen „Tagen in die globale Speerspitze der Anti-Atom-Bewegung verwandelt“, um es ironisch auszudrücken. Die anderen Atombetreiber wie E.ON und RWE sind richtig sauer. Der Widerstand gegen AKW steigt, auch in den Umfragen in der Bevölkerung von Deutschland.

Russland

Bei einem Angriff von russischen Neo-Nazis am 21.07.2007 auf ein Camp von Atomkraftgegnern in Sibirien wird der Umweltaktivist Ilja Borodajenko ermordet. Er wurde nur 21 Jahre alt.

Frankreich

In Frankreich fanden in fünf Städten an einem Tag Demos mit insgesamt rund 40.000 Menschen statt, darunter waren auch AtomkraftgegnerInnen aus der Schweiz und Deutschland. In Gorleben und Lebenstedt (Schacht Konrad) wurden größere Demos durchgeführt. Einen Castortransport nach Gorleben gab es 2007 nicht.

Die Asse II kommt in die breite Öffentlichkeit

2008 schwappt die radioaktive Lauge der Asse II in die Wohnzimmer der Fernsehzuschauer. Scheibchenweise kommt das Ausmaß der Störfälle, Schlampereien und Vertuschungsversuche im niedersächsischen Atommüllendlager Asse II bis heute ans Licht. Ein Ende der Pannen ist nicht in Sicht und ein Super-Gau der Endlagerung ist Asse II allemal. Das ist wie ein Krimi. Ein Betreiberwechsel wird durchgeführt. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) soll jetzt für Asse II zuständig werden.

Castor 2008

Ein Castortransport nach Gorleben für November 2008 ist angekündigt. Rund 16.000 Menschen demonstrieren gegen den Castor, der erst mit fast 24 Stunden Verspätung in das Zwischenlager in Gorleben gefahren werden kann. So viele Menschen, wie noch nie haben sich dem 11. Castortransport in den Weg gestellt. Das ist die größte Anti-AKW-Demo seit vielen Jahren.

Der Neubau von Atomkraftwerken hat Probleme

Die beiden EPR Baustellen in Finnland und Frankreich haben erhebliche Probleme aller Art. Die Fertigstellung verzögert sich. Die Kosten steigen. Die Finanzkrise 2008 dürfte sich auch auf die Finanzierung von geplanten AKW auswirken. So hat Südafrika angekündigt, die geplanten AKW auf unbestimmte Zeit zu vertagen, die Finanzkosten sind dramatisch gestiegen.

2009 übernimmt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) die Zuständigkeit für das lecke Atommülllager Asse. Am 26.02.2009 versammelten sich um 19.00 Uhr auf 52 km fast 15.000 Menschen bei nasskaltem Schneeregenwetter zu einer Lichterkette von Braunschweig zur Asse und Schacht Konrad. Busse aus Hamburg, Gorleben und Berlin fuhren zur Lichterkette. Rund 200 Initiativen organisierten die einzelnen Abschnitte und Infopunkte der Lichterkette gegen Atommüll am Donnerstag. Darunter ein Kindergarten, Jugendgruppen, Vereine, Firmen, Kirchengemeinden, Gewerkschaftsgruppen, Gliederungen der Linken, der Grünen, der SPD und der CDU, Sportvereine und lokale Anti-AKW-Gruppen. Zum Tschernobyl Tag am 26.04.2009 gibt es Demos, Aktionen und Kundgebungen in Krümmel (1.500), Münster (1.000), Weimar (?), Göttingen und Neckarwestheim (250).

… und immer wieder Gorleben

Am 28.05.2009 wurden interne Dokumente öffentlich bekannt, die belegen, dass der Salzstock in Gorleben seit den 1980er Jahren heimlich und ungenehmigt zum Atommüll-Endlager ausgebaut wird. Bundesregierung und Atomindustrie hatten stets betont, der Salzstock werde lediglich „erkundet“. Als Reaktion darauf rücken am nächsten Tag rund 300 Demonstranten und 30 Traktoren demonstrativ in den Innenbereich des Schachtgeländes vor. Acht Polizisten sicherten den Förderturm.

Die Höhepunkte der Jahre 2009 und 2010

In Berlin versammeln sich am 05. September 2009 über 50.000 Menschen und rund 400 Trecker aus dem Wendland, die mit einen kleinen und großen Treck aus dem Wendland losfuhren, zur größten Anti-AKW-Demo seit 1986. Die Bundestagswahl am 27.09.2009 gewinnt schwarzgelb. Jedes Wochenende seit der Bundestagswahl wird bei jedem Wetter gegen die mögliche Laufzeitverlängerung von AKW demonstriert. Die erste Großdemo im Jahre 2010 fand am 21.03.2010 in Neckarwestheim mit über 5.000 Menschen statt. Weitere Großdemos in Ahaus (7.000), eine Umzingelung in Biblis (20.000) und eine Menschenkette von Krümmel über Hamburg nach Brunsbüttel mit rund 120.000 Menschen haben bei sonnigem Wetter am 24.04.2010 stattgefunden. Der Kompromiss die Stilllegung aller Atomanlagen in Deutschland bis zum Jahre 2023 wird gekippt. Die AKW sollen länger laufen. Wie lange? Wie bitte? 60 Jahre?!?! Ich glaube mich tritt ein Pferd. Der 12. Castortransport nach Gorleben war ein Höhepunkt mit etwa 50.000 Menschen und über 20.000 Polizeibeamten im Einsatz. Im Jahre 2010 wurden weltweit 15 Milliarden US Dollar in Atomwirtschaft investiert, aber in den Erneuerbare Energien 211 Milliarden US Dollar. Atomkraft ist ohne Subventionen einfach zu teuer, so Roman Sidotsov von der Vermont Law School, USA auf der NGO Konferenz „Association of Lawyers of Russia“, ein internationaler Workshop in Russland in Chelyabinsk bei Majak im Oktober 2011.

Das Jahr 2011 beginnt …

Ein AKW Standort Fukushima in Japan wird der Weltöffentlichkeit schlagartig am 11.03.2011 bekannt. Ein Tsunami schwappt über die Ostküste von Japan. Es gibt viele Tote und Verletzte. In Fukushima werden 6 AKW kritisch. Ein Super Gau in vier AKW bahnt sich an und wird nur mit Verzögerung bekannt gegeben. Der Atomunfall in Fukushima trifft in Deutschland auf eine Anti Atom Bewegung, die durch die Diskussion über die beschlossene Laufzeitverlängerung von AKW in einer Hochphase befindet. Fast täglich finden Anti Atom Demos statt. An Wochenenden kommen viele Hunderttausend Menschen zusammen um gegen die Atomenergie zu protestieren. Die CDU/CSU/FDP verlieren Wahlen wie am Fließband. Die Kanzlerin Frau Merkel gerät unter Druck und verkündet ein Moratorium. Acht AKW werden stillgelegt. Die Proteste gehen unvermindert weiter. Der Bundestag beschließt eine Stilllegung von insgesamt acht AKW. Das geänderte Atomgesetz tritt am 06.08.2011 in Kraft. Neun AKW dürfen bis 2022 weiterlaufen. Der Rückbau der AKW wird nicht vor 2070 abgeschlossen sein. Für die Anti Atom Bewegung ist das nur ein „halber Sieg“. Nachdem Bundestagsbeschluss kommen weniger Menschen zu den Anti Atom Demos, dabei haben die Atomiker in Fukushima nichts im Griff. Sie hoffen die havarierten AKW bis zum Jahresende auf unter 100 Grad runter kühlen zu können. Ein Gau kann dort noch einmal passieren. Jeder Zeit kann ein AKW in Europa hochgehen, aber auch in anderen Ländern wird über die Stilllegung diskutiert, so in der Schweiz, wo es die größte Demo im Mai 2011 mit über 20.000 Menschen gegeben hatte. In Belgien wird der Atomausstieg wieder reaktiviert. Bis 2025 sollen dort alle sieben AKW stillgelegt werden. In Italien wurde der Atomausstieg von 1987 noch einmal haushoch mit rund 95 Prozent bestätigt. Nach Fukushima wurden in einer Umfrage in 24 Ländern die Menschen befragt wie sie zur Atomenergie stehen. Die höchsten Ablehnungswerte gab es in Mexiko, Italien und Deutschland, nur in Polen und den USA gab es Zustimmung zu dem Neubau von Atomkraftwerken. 128 Atomkraftwerke warten weltweit auf den Rückbau. Der 13. Castortransport nach Gorleben fährt im November 2011 …

Eine Bewertung

Die Anti-AKW-Bewegung ist neben ihrer örtlichen Verankerung in der Bevölkerung auch eine internationale Bewegung gegen die weltweite Atommafia. Es sollte aber auch nicht vergessen werden, dass neben dem Widerstand gegen Atomanlagen ein ganz normaler Alltag zu bewältigen ist. Viele von uns machen ihre politische Arbeit in der Anti-AKW-Bewegung ehrenamtlich. Der Widerstand erfordert Kraft, Phantasie und auch Finanzmittel, bringt aber auch Freude, Spaß, Gespür im Umgang mit den Menschen und der Umwelt, die in jeder einzelnen Aktion und Demonstration immer wieder neu von Einzelpersonen und Gruppen eingesetzt, diskutiert und aufgebracht werden müssen. Trotz der Stilllegung von acht ATomkraftwerken in Deutschland im Jahre 2011 wird die Anti-Atom-Bewegung weiter aktiv bleiben. …

  • Für die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen, weltweit!
  • Für den sofortigen Stopp aller Atomtransporte, weltweit!
  • Für den sofortigen Ausbau aller erneuerbaren Energien, weltweit!
  • Hände weg vom Erneuerbaren Energie Gesetz!
  • Weg von den fossilen Energiearten Öl, Kohle und Atom!
  • Lasst das Uran in der Erde!

Dieter Kaufmann, Arbeitskreis gegen Atomanlagen Frankfurt am Main, 02.11.2011