Greenpeace: Verfassungsbeschwerde gegen Laufzeitverlängerung

Mit ihrer Änderung des Atomgesetzes tritt die Bundesregierung wesentliche Grundrechte der Bürger mit Füßen. Greenpeace hat deshalb gemeinsam mit Anwohnern von sieben AKW-Standorten Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.

  • „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Dieses Grundrecht „binde[t] Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht“. So steht es im Grundgesetz.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung dagegen hat Nägel mit Köpfen gemacht, um die Interessen der Atomstromkonzerne zu bedienen. In der Elften und Zwölften Novelle des Atomgesetzes legt sie fest: Laufzeitverlängerungen für alle AKW, keine Sicherheitsnachrüstungen für alte Meiler, Einschränkung des Klagerechts für Bürger, Möglichkeit der Enteignung, um den Salzstock Gorleben zur weiteren Erkundung und als Endlager durchsetzen zu können.

„Der Deal mit den Atomkonzernen verletzt die im Grundgesetz garantierten Rechte der Bürger“, betont Heinz Smital, Atomexperte bei Greenpeace. „Wenige profitieren von der Laufzeitverlängerung – das Risiko trägt die Allgemeinheit. Der Weiterbetrieb der alten Reaktoren ist hochgefährlich, eine sichere Entsorgung des radioaktiven Abfalls nicht in Sicht. Es gibt keine andere Industrie, die so ungehindert Hochrisikoanlagen betreiben und den gefährlichsten Müll der Welt produzieren darf.“

Sicherheit ganz klein geschrieben

In Deutschland sind derzeit 17 AKW an 12 Standorten in Betrieb. Keines wäre nach heutigen Standards noch genehmigungsfähig. Keines würde dem Absturz eines großen Passagierflugzeugs unbeschadet standhalten. Besonders die sieben ältesten Meiler weisen grundlegende Sicherheitsmängel auf. Zudem würden sie nicht einmal den Absturz eines kleineren Flugzeugs überstehen. Die Stahlbetonkuppel von Biblis A beispielsweise ist ca. 60 cm stark. Das reicht lediglich aus, um einem kleinen Sportflieger standzuhalten. Vergleichbares gilt für Brunsbüttel und Philippsburg.

Die Gefahr eines terroristischen Anschlags in Deutschland ist in den vergangenen Jahren nähergerückt. Auch das BKA hat bereits vor der Bedrohung gewarnt. Besonders vor diesem Hintergrund ist es unverantwortlich, die alten Anlagen weiterzubetreiben und ihre Laufzeit sogar noch zu verlängern.

Mehr noch: Die Zwölfte Novelle des Atomgesetzes vom 8. Dezember 2010 enthält einen neuen Paragraphen 7d. Dort ist festgeschrieben, dass die Energiekonzerne ausgerechnet ihre ältesten und gefährlichsten Meiler noch zehn Jahre lang laufen lassen dürfen, ohne Sicherheitsnachrüstungen vorzunehmen.

Ein weiteres Grundrechtsproblem stellt die ungelöste Frage der Endlagerung dar. Eine Lösung, die den Anforderungen genügt, existiert nicht, der Druck aber wächst. „Es ist längst bewiesen, dass der Salzstock Gorleben nicht als Endlager geeignet ist“, sagt Smital. „Gorleben ist ein Trugbild, mit dem Gerichte und Gesellschaft getäuscht werden sollen.“

Rechtsweg für Bürger ausgeschlossen?

Paragraph 7d hält den Konzernen auch in anderer Hinsicht den Rücken frei: Flugzeugabstürze werden zum Restrisiko erklärt, das zu tolerieren sei. Betroffene Anwohner dürfen den Schutz von Atommeilern gegen die Folgen solcher Abstürze nicht mehr einklagen.

Erst 2008 hatte das Bundesverwaltungsgericht die Bürgerrechte gestärkt, indem es solche Klagen für zulässig erklärte. Das Urteil sicherte einzelnen Bürgern das Recht zu, Schutzmaßnahmen einzufordern und sie gerichtlich überprüfen zu lassen.

Diese Änderung betrifft auch bereits bestehende Klagen. So klagt Greenpeace derzeit zusammen mit Anwohnern unter anderem wegen Terrorgefahr auf Widerruf der Betriebsgenehmigung für sechs der ältesten Atomreaktoren: Biblis A und B, Isar 1, Krümmel, Brunsbüttel und Philippsburg 1.

Anwohner legen Verfassungsbeschwerde ein

Zusammen mit Greenpeace klagen Anwohner der AKW Neckarwestheim 1, Philippsburg 1, Isar 1, Biblis A und B, Unterweser, Brunsbüttel und Krümmel. Einer von ihnen ist der frühere Lufthansa-Pilot Jörn Burger. Er lebt in der Nähe von Frankfurt, was auch heißt: in der Nähe von Biblis. In einem Interview hat Burger seine Beweggründe – auch aus der Sicht des Piloten – beschrieben.

Die von Greenpeace beanstandeten Änderungen im Atomgesetz sind weder gesellschaftspolitisch noch wirtschafts- oder umweltpolitisch stichhaltig zu begründen. Um sie durchzupeitschen, hat Schwarz-Gelb zu fragwürdigen Mitteln gegriffen.

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Text: greenpeace.de, 03.02.2011