Untersuchung erhöhter Krebsraten in Umgebung des AKW-Brokdorf gefordert

Asse-II, Morsleben, Gorleben, Brokdorf. Um die Atomanlagen sind die Krebserkrankungen signifikant erhöht. Die „Meßstelle für Arbeits- und Umwelt-Schutz e.V.“ in Bremen fordert eine Untersuchung der erhöhten Krebsraten in Wewelsfleth in der Umgebung des AKW-Brokdorf.

Auf der Gemeinderatssitzung der Gemeinde Wewelsfleth vom 15.12.2010 wurde einstimmig beschlossen:

„Die Gemeinde Wewelsfleth spricht sich dafur aus, dass die in Wewelsfleth gehäuft auftretenden Krebserkrankungen wissenschaftlich belastbar untersucht werden!“

Dieser Forderung schließen wir uns nachdrücklich an!

In der Umgebung des AKW-Brokdorf hat das Krebsregister Schleswig-Holstein einen signifikanten Anstieg der Krebshäufigkeit festgestellt. Als Ursache dafür soll das AKW nicht in Frage kommen, heißt es in seinem Bericht von November 2009 1). Diesem Bericht zufolge soll die Entwicklung bezüglich fortbestehender Trends oder Rückgang der Krebsfälle weiter beobachtet werden. 1 Die Bewertung der statistischen Krebsneuerkrankungen unter Erwachsenen – neuerdings wurden im Umkreis von Asse vom Krebsregister Niedersachsen gegenüber den Erwartungswerten mehrfach erhöhte Krebsraten beschrieben – erfolgt aus einer Position, als ob es keine Erfahrungen mit Langzeitstudien nach nuklearen Katastrophen gäbe und ohne Berücksichtigung biologisch plausibler Zusammenhänge.

Die Epidemiologie ist ein Thermometer, mit dem die Krankheitsvorgänge in der Bevölkerung gemessen werden können. Jede Zunahme von einzelnen Krankheitsformen, aber besonders von Krebsformen, kann intensiv untersucht werden, ob nur Zufallsschwankungen vorliegen oder intensiv mittels Folgenabschätzung nach einem verdächtigten Verursacher gesucht werden muss.

Epidemiologische Krebsregister wurden zur Unterstützung der Ursachenforschung eingeführt und sind für diese Folgenabschätzung geeignet, weil sie zeitliche Trends aller Krebsformen nach oben oder unten in abgegrenzten Regionen beobachten. Diese Trends können statistisch nach zufälligen Schwankungen überprüft werden.

Doch ist es richtig, jede verhütbare Krankheitsursache zu erkennen und auszuschalten, so dass ein auffälliger Trend auch ohne diese statistische Absicherung sofort zu Maßnahmen zum Schutze der Bevölkerung führen kann.

Die von den Registern von Schleswig-Holstein und Niedersachsen mitgeteilten auffälligen Häufungen von Krebsformen, die in einem Fall (Asse) als spezifisch mit ionisierender Strahlung als Ursache in Verbindung gebracht werden können, im anderen Fall (Wewelsfleth) bisher weniger deutlich auf eine einzelne Ursache aus der Nähe des AKW-Brokdorf hinweisen, erfordern höchste Aufmerksamkeit. In beiden Fällen sind Quellen erhöhter ionisierender Strahlung entweder über viele Jahre oder als Spitzenbelastungen unabweisbar vorhanden. Somit gilt, den Zusammenhang für sinnvolle und gesundheitspolitisch relevante Maßnahmen zu nutzen. Stattdessen werden Versuche unternommen, die Häufungen der Neuerkrankungen an bestimmten Krebsarten als nicht relevant und durch andere Ursachen zu „erklären“. Das gipfelte im Fall Wewelsfleth in einem Zeitungsbericht in der Norddeutschen Rundschau vom 07.07.2010, wenn die damalige Leiterin des zuständigen Kreis-Gesundheitsamtes Dr. Marion Thormälen tatsächlich den Lebensstil der betroffenen Bevölkerung als risikoreich identifizierte und Ernährungsfehler zur Begründung der Häufungen indirekt anschuldigte, indem von ihr eine gesunde Ernährung als Schutzfaktor bezeichnet wurde. Eine andere, nicht weniger unprofessionelle Darstellung ergab sich aus dem Bericht des Krebsregisters in Lübeck, in dem vermutet wurde, die Krebsfälle wären wegen der Nähe zum AKW Brokdorf eher entdeckt worden, weil viele Menschen sich mit mehr Früherkennung und Besorgnis auch in jüngerem Alter diagnostizieren ließen:

„… Daher sei anzunehmen, dass eher eine Kombination mehrerer Ursachen wie Lebensstil oder genetische Ursachen zu der beobachteten unspezifischen Erhöhung an Neuerkrankungen geführt habe.

In welchem Maße einzelne Faktoren eine Rolle spielen könnten, konnte anhand des Krebsregisters nicht ermittelt werden, da sie nicht Bestandteil der Datenerhebung des Krebsregisters seien. „Meine Bitte an die Bevölkerung ist in erster Linie eine gesunde Lebensweise“, unterstreicht Dr. Thormählen und rät zudem, die Krebsvorsorgeuntersuchung in Anspruch zu nehmen. …“

Dagegen überraschte die alarmierende Meldung aus dem Epidemiologischen Krebsregister Niedersachsen (EKN) allerdings, weil sie auf Handlungsbedarf hinwies und nicht zuletzt die Besorgnis der Verantwortlichen vor Belastungen der Bevölkerung verdeutlichte. Um so mehr verwundert es dann, wenn die Bundesregierung sich am 04./05.12.2010 nicht in der Lage sieht, einen Zusammenhang zwischen den Belastungen durch Asse und den Krebsneuerkrankungen zu erkennen. Die Messwerte seien so gering, dass die Strahlendosen nicht als Ursachen in Frage kämen.2 In dieser Meldung blieb offen, in welchem Ausmaß einzelne Faktoren eine ursächliche Rolle spielen könnten, da sie nicht Bestandteil der Datenerhebung des Krebsregisters seien. Dabei blieb auch die Frage offen, wer dann zuständig sein soll für die Ursachenforschung. Das widerspricht der biologischen Plausibilität eines kausalen Zusammenhangs und muss allein deswegen unglaubwürdig gelten, weil Schilddrüsenkrebs schon längst als mit niedrigen Strahlendosen assoziiert gelten muss und weil Leukämien ab dem Kindesalter als eine typische Folge niedriger Strahlendosen erkannt wurde.

Aus den genannten Gründen müssen ernsthafte Anstrengungen unternommen werden, den Ursachen mit adäquaten Methoden besser als bisher auf den Grund zu gehen. Das gilt gleichermaßen für Asse wie für Wewelsfleth.

Als empfindlicher Indikator für Wirkungen ionisierender Strahlung auf zytologischer Ebene gelten Chromosomenaberrationen, die bislang die stärksten Zusammenhangsnachweise ergeben haben.

(Kinder-) Untersuchungen in der Umgebung der emittierenden Quellen sind daher geeignet, Hinweise auf die Risikofaktoren sowohl in Asse als auch in Wewelsfleth zu liefern. Da es also nicht nur um mehr Krebserkrankungen, sondern auch um zu wenig Mädchengeburten geht, wäre es sinnvoll eine derartige statistische Erhebung auch für die Umgebung des AKW Brokdorf zu fordern.3 Diese Forderung trotz der Erkenntnis, dass die Emissionen der radiologisch besonders wirksamen Betastrahler Tritium (H-3) und Radikarbon (C-14) aus der Schachtanlage Asse erheblicher sind als in anderen »kerntechnischen Anlagen«. U.E. sind die genannten Studienergebnisse auf die nach wie vor zu wenig beachteten Effekte durch ionisierenden Niedrigstrahlung (»genetische Instabilität« , »Bystander effect«, »Einwirkungen auf das Immunsystem« u.a.) zurückzuführen. In der gültigen Strahlenschutzverordnung werden die statistisch signifikante Erhöhung des Krebsrisikos im Bereich kleiner Strahlendosen insbesondere bei dicht ionisierender Strahlung nicht berücksichtigt. Die in der gültigen Strahlen- Schutz-Verordnung (StrSchV) genannten Grenzwerte beruhen auf Empfehlungen der ICRP aus dem Jahre 1977. Diese sind in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach durch kritische (theoretische und experimentelle) Studien widerlegt worden. Hauptaufgabe des Strahlenschutzes ist es, deterministische Schäden (z.B. durch Strahlenunfälle) zu verhindern und stochastische Schäden so weit als möglich zu vermindern.

Wie im Falle der durch das radioaktive Inventar der Schachtanlage Asse II verursachten Strahlenexposition sind bei der Abwägung der gesundheitliche Beeinträchtigung die neuesten Erkenntnisse über genetischen Schäden in der Keimbahn (mutagen) , über auslösende Effekte zur Krebsentstehung (cancerogen) und über embryonale Entwicklungsstörungen zu berücksichtigen.

  • Es ist lange bekannt, dass es für diese sog. stochastischen Strahlenwirkungen keine untere Grenze der Schädigung gibt (Grenzwertproblematik).
  • Weiter sind Synergieeffekte z.B. zwischen radioaktiver (Niedrig-) Strahlung und elektromagnetischer Strahlung (Hochspannungsleitungen) zu untersuchen.

Quellen:

  1. „Auswertung der Krebshäufigkeit in Wewelsfleth und Umgebung 1998 bis 2007. Krebsregister Schleswig-Holstein und Institut für Krebsepidemiologie e.V. an der Universität Lübeck. Lübeck, November 2009.“ S. 36 bis 37. www.cancer-sh.de/berichte/Bericht%20.Wewelsfleth.pdf
  2. Junge Welt, 01.12.2010, „Aufkklärungswillen bezweifelt.“, Junge Welt, 06.12.2010, „Regierung: Krebs nicht von Atommüll.“, Junge Welt, 07.12.2010, „Asse: Krebshäufigkeit ist kein Zufall.“, Junge Welt. 11./12.2010, „Niedersachsen widerspricht Röttgen.“
  3. Junge Welt, 11./12.2010 „Niedersachsen widerspricht Röttgen.“, Kusmierz R, Voigt K, Scherb H (2010): Is the human sex odds at birth distorted in the vicinity of nuclear facilities (NF)? A preliminary geo-spatial-temporal approach. In: Greve K, Cremers A B (Eds.): EnviroInfo 2010. Integration of Environmental Information in Europe. Proceedings of the 24th International Conference on Informatics for Environmental Protection. Cologne/Bonn, Germany: 616-626 www.helmholtz-muenchen.de/ibb/homepage/hagen.scherb/proceedings.html

Textquelle: www.maus-bremen.de, 27.02.2011