Sicherheit für Milliarden: Kontraste leakt AKW-Prüfkatalog der Bundesregierung
Interne Unterlagen der Bundesregierung, die KONTRASTE exklusiv vorliegen, belegen: Allen deutschen Kernkraftwerken droht das AUS. Experten fordern neue Sicherheitsstandards, deren Umsetzung die Energiewirtschaft Milliarden kosten würde.
In Deutschland hat die Katastrophe zu einer komplett neuen Bewertung der Atomkraft und der Frage der Sicherheit geführt. Kanzlerin Angela Merkel hat heute Vormittag dazu in einer Regierungserklärung Stellung genommen:
Angela Merkel (CDU), Bundeskanzlerin
„Die unfassbaren Ereignisse in Japan, sie lehren uns, dass etwas, was nach allen wissenschaftlichen Maßstäben für unmöglich gehalten wurde, doch möglich werden konnte. (…) Und wenn das so ist, wenn also in einem so hoch entwickelten Land wie Japan das scheinbar Unmögliche möglich, das absolut Unwahrscheinliche Realität wurde, dann verändert das die Lage.“
Die Bundesregierung hat deshalb, wie Sie wissen, beschlossen, die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke für drei Monate auszusetzen. Außerdem sollen sämtliche Reaktoren neu auf Sicherheit überprüft werden. Doch was bedeutet das konkret? KONTRASTE liegt exklusiv ein bislang geheimes Papier des Bundesumweltministeriums vor, das unter Umständen das Aus aller 17 Atomreaktoren zur Folge haben könnte. Ursel Sieber und Chris Humbs berichten.
Heute Vormittag in Bonn. Die Mitglieder der Reaktorsicherheitskommission tagen hinter verschlossenen Türen. Auf der Tagesordnung bislang geheim gehaltene, neue Sicherheitsanforderungen des Bundesumweltministeriums.
Das Gremium wurde von der Bundesregierung beauftragt, alle Reaktoren auf Sicherheitsdefizite zu überprüfen. Die Mitglieder sind hauptsächlich Atombefürworter, nicht selten Entsandte der großen Energiekonzerne. Sie geben sich schweigsam.
- Teilnehmer 1: „Im Augenblick sage ich da gar nichts zu, wir werden erstmal darüber beraten.“
- Teilnehmer 2: „Also, ich möchte jetzt da mich da jetzt auch nicht weiter auf Diskussionen einlassen.“
Rücksprung. Dienstag. Die Bundesregierung erklärt die Kehrtwende in der Atompolitik. Gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Länder.
Angela Merkel (CDU), Bundeskanzlerin
„Wir werden angesichts der Lage eine Überprüfung aller Kernkraftwerke durchführen, eine Sicherheitsüberprüfung – darauf haben sich Bund und Länder geeinigt.“
Während die Kanzlerin vor die Presse tritt, um den neuen Kurs in der Atompolitik mit Details zu unterfüttern, wird in den Hinterzimmern noch getagt – mit Fachleuten aus den Atomaufsichtsbehörden der Bundesländer und des Bundesumweltministeriums.
Dieses Papier ist die Grundlage, wie es mit den AKW weitergehen soll. Es liegt KONTRASTE exklusiv vor. Eine Art Katalog, der vorgibt, wie in den nächsten drei Monaten, also während des Moratoriums, die Reaktoren in Deutschland überprüft werden sollen. Und: welchen Sicherheitsanforderungen die Mailer genügen müssen, damit sie überhaupt weiter laufen dürfen.
Die Forderungen aus dem Bundesumweltministerium sind äußerst brisant. Denn die Sicherheitsnormen werden massiv nach oben gesetzt. Die Hürden für die Betreiber sind so hoch, dass damit das Ende des deutschen Atomzeitalters eingeläutet werden könnte.
Wolfgang Renneberg war lange Jahre Chef der Abteilung für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium. Er kennt alle Reaktoren und deren Sicherheitsdefizite. Ihm zeigen wir dieses bis dato geheime Papier:
Wolfgang Renneberg, ehem. Leiter Bundesatomaufsicht
„Solche konsequenten Forderungen sind bisher nicht bekannt geworden. Im Gegenteil: Das Bundesumweltministerium hat bislang alles getan, um Sicherheitsanforderungen, die eigentlich nach Stand von Wissenschaft und Technik gestellt werden müssten, nicht zu stellen. Insofern ist das eine unglaubliche Entwicklung.“
Kein Kernkraftwerk ist sicher. Nicht in der Ukraine, nicht in Japan. Der GAU ist möglich. Auch in Deutschland. Alle unsere Reaktoren haben Sicherheitsdefizite. Bis dato wurde das Restrisiko genannt. Und genau dieses so genannte Restrisiko will man nun radikal minimieren. Das Aus von vier älteren und besonders anfälligen Kernkraftwerken wurde bereits beschlossen.
Das Papier des Ministeriums stellt nun auch höhere Anforderungen an die neueren Kernkraftwerke. Wobei die ‚Neueren’ auch schon vor über 30 Jahren konstruiert wurden. Auch für diese Reaktoren sollen nun die Sicherheitsauflagen verschärft werden.
Wolfgang Renneberg, ehem. Leiter Bundesatomaufsicht
„Es sind Forderungen, die sich aus tatsächlichen Abläufen, wie wir sie in Japan gesehen haben, zum großen Teil auch ergeben. Dann darf die Sicherheit jetzt erstmal nicht davon abhängen, dass Betreiber davor zurückschrecken und sagen: Das ist mir zu teuer!“
Ein zentraler Punkt im Sicherheits-Katalog des Bundesumweltministeriums: die Erdbebenauslegung. Ein großes Problem für das AKW Neckarwestheim 2. Es liegt in einem Erdbebengebiet. Und es steht auf zerklüftetem, unterhöhltem Kalkgestein. Größere Flächen könnten bei einem Beben einstürzen. Heute dürfte hier, wegen dieser Tektonik, nicht einmal ein Industriegebiet gebaut werden. Das könnte das Aus für Neckarwestheim 2 bedeuten.
Auch das AKW Brokdorf bekommt nun Probleme – wegen der Hochwassergefahr. Der Reaktor steht direkt an der Nordsee.
Wolfgang Renneberg, ehem. Leiter Bundesatomaufsicht
„Es gibt auch an der Nordsee die Gefahr von Tsunamis, ja. Und zwar deshalb, – nicht, weil es da Erdbeben gibt -, sondern weil es in Schottland und in Norwegen gefährdete Fjorde und Felsabhänge gibt, wo man festgestellt hat, dass über kurz oder lang ganze Berge in die Nordsee rutschen. Da können Wellen entstehen von dreißig Meter Höhe.“
Ein nachträglicher Umbau und Schutzeinrichtungen vor solchen Wassermassen, das wäre wohl zu teuer. So dürfte das Kraftwerk Brokdorf das Moratorium kaum überleben. Das gleiche gilt für das AKW Unterweser.
Der Katalog fordert auch den konsequenten Schutz zentraler Anlagenteile gegen Flugzeugabstürze und Terrorattacken. Deswegen sind die Rohrsysteme und auch „sämtliche Notstromdiesel zu verbunkern“, heißt es in dem Papier. Bisher eine große Sicherheitslücke.
Wolfgang Renneberg, ehem. Leiter Bundesatomaufsicht
„Wenn ich Terrorist wäre, ich würde die Leitungen außen kappen und dann würde ich mit ‘ner Rakete die Notstromdiesel wegschießen. Und dann war’s das.“
Nicht nur Phillipsburg1 ist solchen Übergriffen bisher relativ schutzlos ausgeliefert. Eine Nachrüstung bei der geringen Restlaufzeit dieses alten Meilers wäre aber extrem teuer: Das AUS für Philippsburg 1.
Doch die größte Hürde sind letztlich die vielen – auf den ersten Blick – kleinen Anforderungen aus dem Katalog des Ministeriums: Es geht um zusätzliche Rohrsysteme, besser geschützte Abklingbecken und vieles, vieles mehr.
Die in diesem Papier geforderten Umbauten würde viele Jahre dauern – und kosten. Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit:
Zitat
„Die geforderten Maßnahmen sind für alle Anlagen kurzfristig und als Voraussetzung für die Nutzung der zusätzlichen Strommengen aus der Laufzeitverlängerung umzusetzen.“
Vollzieht man den Katalog konsequent – würde nach heutigem Kenntnisstand wohl kein AKW nach dem Moratorium übrig bleiben. Der Druck der Atomwirtschaft auf das Bundesumweltministerium wächst.
Wolfgang Renneberg, ehem. Leiter Bundesatomaufsicht
„Bei solchen Papieren besteht die Gefahr, dass sie verwässert werden. Sie können verwässert werden dadurch, dass geschlossene Kommissionen hier sich neue Maßstäbe bilden. Meines Erachtens ist es ganz wichtig, diese Punkte im Parlament, in Hearings, mit der Öffentlichkeit, mit der Fachöffentlichkeit zu diskutieren“
Das Dokument kann unter http://tinyurl.com/6bp7j8w heruntergeladen werden. Zusätzlich ist es auch auf der KONTRASTE-Seite bei Facebook einsehbar.
Sicherheits-Katalog des Bundesumweltministeriums:
Arbeitsgruppe RS I 3 Bonn, 16. März 2011
RS I 3 13042/9 Hausruf: 2850
Erste Überlegungen zu Konsequenzen Fukushima – Sicherheitsüberprüfung deutscher Kernkraftwerke und Neubewertung, Stand: 16.03.2011
Die Unfallszenarien bei japanischen Kernkraftwerken seit dem 11. März 2011 geben Anlass, auch für Deutschland die Sicherheitslage neu zu bewerten. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Fukushima-Szenarien (I.), ähnlicher Schadensszenarien (II.) als auch hinsichtlich einer generellen Neubewertung von Risiken (III.). Die Durchführung der Überprüfungen muss darüber hinaus gehen, dass alte Prüfungsergebnisse lediglich nachvollzogen werden (IV.). Die geforderten Überprüfungen und Maßnahmen sind für alle Anlagen kurzfristig und als Voraussetzung für die Nutzung der zusätzlichen Strommengen aufgrund der gesetzlichen Laufzeitverlängerung nach dem (aktuellen) Stand von Wissenschaft und Technik umzusetzen.
Die nachfolgende Liste basiert auf vorläufigen Überlegungen nach dem jetzigen Erkenntnisstand. Sie wird insbesondere unter Berücksichtigung der Fortentwicklung der Erkenntnisse aus den japanischen Kernkraftwerken und den Zwischenergebnissen des Überprüfungsergebnisses gegebenenfalls weiterentwickelt werden.
I. Fukushima-Szenario – Schlussfolgerungen für deutsche KKW
1. Erdbebenauslegung und Bodendynamik
a) Die Erdbebenauslegung wird nach Stand von Wissenschaft und Technik mit aktuellen Erdbebenlasten kurzfristig neu berechnet. Nachrüstmaßnahmen werden ggf. unverzüglich umgesetzt.
b) Einwirkungen aus bodendynamischen Prozessen wie Erdfälle und Subrosion, Erdrutsche und sonstige Massenverlagerungen aller Art, und zwar als direkte Einwirkung als auch ausgelöst in Folge Erdbeben, werden in den Neuberechnung der Erdbebenauslegung mit einbezogen. Nachrüstmaßnahmen werden ggf. unverzüglich umgesetzt.
c) Insbesondere werden alle für den sicheren Betrieb bei und nach einem Erdbeben erforderlichen Komponenten aller vier Sicherheitsebenen überprüft und ggf. entsprechend ersetzt oder ertüchtigt.
2. Hochwasserauslegung
a) Die Hochwasserauslegung wird nach Stand von Wissenschaft und Technik unter Berücksichtigung des Klimawandels kurzfristig neu berechnet und ggf. Nachrüstmaßnahmen unverzüglich umgesetzt. Bei der Berechnung von Überflutungen werden auch Flutwellen (Nordsee) und größere Wogen an angrenzenden Gewässern betrachtet, die z. B. durch Erdbeben oder Stürme überlagert mit Hochwässern hervorgerufen werden.
b) Insbesondere werden alle für den sicheren Betrieb bei einem Hochwasserereignis erforderlichen Komponenten für alle vier Sicherheitsebenen überprüft und ggf. entsprechend ersetzt oder ertüchtigt
3. Weitere externe Ereignisse
a) Die Auslegung und die Betriebsvorschriften der KKW im Hinblick auf weitere externe Ereignisse werden nach Stand von Wissenschaft und Technik auch unter Berücksichtigung des Klimawandels kurzfristig überprüft (z. B. extreme Wetterbedingungen, Flugzeugabsturz, Cyberangriff, Pandemie). Nachrüstmaßnahmen werden ggf. unverzüglich umgesetzt. Dabei wird u. a. geprüft, inwieweit die Auslegungsannahmen (z. B. für Erdbeben, Hochwasser) in die Systemauslegung eingehen und ob mögliche Einwirkungen durch das Versagen anderer Systeme und Komponenten (z. B. Hilfssysteme) hinreichend berücksichtigt sind.
4. Kombinationswirkung von externen Ereignissen
Es wird überprüft, welche Kombinationen von Ereignissen (z. B. Erdbeben und großflächiger Stromnetzausfall) nach Stand von Wissenschaft und Technik bei der Auslegung zu berücksichtigen sind. Nachrüstmaßnahmen werden ggf. unverzüglich umgesetzt.
5. Konkrete Maßnahmen
a) Die Erdbebensicherheit insbesondere der Notstromversorgungsanlagen incl. aller für deren Betrieb notwendigen Hilfs- und Versorgungseinrichtungen wird nach Stand von Wissenschaft und Technik überprüft.
b) Die sicherheitstechnisch relevante Nebenkühlwasserversorgung ist zudem im Hinblick auf Ereignisse mit „common cause Potential“ wie Fremdstoffe (Heu, Muscheln, Quallen etc.) zu überprüfen und ggf. zu ertüchtigen.
c) Zur Kenntnis des Anlagenzustandes muss die Messung von systemwichtigen Betriebs- Störfall und Unfalldaten von der Warte und der Notsteuerstelle aus sichergestellt sein. Zudem muss sichergestellt sein, dass diese Daten kontinuierlich den Aufsichtsbehörden übermittelt werden (Überprüfung der Notfallplanungen). Hierzu sind redundante Messungen erforderlich die über örtlich getrennte Wege geführt werden.
d) Die Kern- und Störfallinstrumentierung ist nach Stand von Wissenschaft und Technik zu überprüfen, um auch im Auslegungsüberschreitenden Bereich aussagekräftige Werte sicherzustellen.
e) Eine Notsteuerstelle für jeden Reaktorblock ist vorzusehen, entsprechend zu verbunkern und räumlich so anzuordnen, dass sie auch bei größeren Freisetzungen auf dem Anlagengelände durchgängig besetzt werden kann.
f) Die Autarkie der Notstromversorgung ist für 72 Stunden sicherzustellen.
g) Die Notfallmaßnahme zum Fluten des Reaktordruckbehälters (RDB -Außenkühlung) ist nach Stand von Wissenschaft und Technik zu überprüfen. Nachrüstmaßnahmen werden ggf. unverzüglich umgesetzt.
h) Rückfördermaßnahmen aus dem Reaktorgebäude (SWR) oder dem Ringraum (DWR) sind für Lecks aus dem Sicherheitsbehälter vorzusehen.
i) Es sind Maßnahmen zu ergreifen, die die Auswirkungen von Wasserstoffexplosionen bei einem Stör- oder Unfall soweit mindern, dass die Störfall- und Notfallsysteme funktionsfähig bleiben.
j) Bei SWR: Verstärkung der Einspeisemöglichkeiten in einen unter Druck (>10bar) stehenden RDB zusätzlich zu TJ und TM, um weniger von einer Druckentlastung und Einsatz der ND-Systeme abhängig zu sein.
k) Bei DWR: Verstärkung der Einspeisemöglichkeiten in den Primärkreis durch eine dampfgetriebene Pumpe wie bei SWR vorhanden, die nur von Steuerstrom, nicht aber Leistungsstrom abhängig ist.
II. Ähnliche Schadensszenarien
a) Es wird überprüft, ob der Ausfall der Notkühlung bzw. der Notstromversorgung bei einem Flugzeugabsturz (zufällig, terroristisch) verhindert werden kann.
b) Die Robustheit sowie die Dauer der Wirksamkeit der Notkühlung und der Notstromversorgung (Notstromdiesel, Batterien) werden im Hinblick auf längerfristigen Ausfall der Infrastruktur (z. B. externe Stromversorgung) überprüft.
c) Sämtliche Notstromdiesel sind zu verbunkern.
d) Die Rohrleitungen zur Kühlung der Sicherheitssysteme sind in zugänglichen verbunkerten Rohrleitungskanälen zu führen.
e) Das Not- und Nachkühlsystem wird durchgängig auf vier Stränge mit je 100% Nachkühlkapazität aufgerüstet. Die vier Stränge weisen eine 2+2 Diversität auf. Alle Stränge sind durchgängig gegen Einwirkungen von Außen zu schützen und ggf. räumlich getrennt aufgebaut werden.
f) Jede der Anlagen soll zusätzlich mit einem dampfgetriebenen, batteriegepufferten Hochdruck-Einspeisesystem in Anlehnung an entsprechende Systeme bei den deutschen Siedewasserreaktoren der Baulinie 69 und dem Druckwasserreaktor Biblis A nachgerüstet werden. Diese Systeme sind gegen den Station Black Out (totaler Stromausfall) ausgelegt.
g) Es werden zur Kühlung des BE-Lagerbeckens, neben den zwei hierzu herangezogenen Not- und Nachkühlsträngen, zwei weitere Kühlstränge mit 2×100% Kapazität gefordert, von denen wenigsten ein Strang durchgängig vollständig verbunkert und hochwassergeschützt ist.
h) Die Notstromsysteme, die die Notkühlsysteme mit Strom versorgen, sollen durchgängig auf 4x 100% Notstromkapazität aufgerüstet werden. Die vier Stränge sind diversitär aufzubauen. Je zwei 100% Stränge paarweise in bauartverschiedener Konstruktion der aktiven Notstromkomponenten.
i) Mobile Notstromaggregate sowie die Installation von festen Einspeisepunkten für diese sind vorzunehmen, um sie ohne Zeitverzug anschließen und sicherheitstechnisch wichtige Verbraucher damit versorgen zu können.
j) In allen Anlagen sollen durchgängig zusätzliche Notstandssysteme nachgerüstet werden. Diese sind in den Vor-Konvoi- und Konvoi-Anlagen Stand der Technik. Die nachzurüstenden Notstandssysteme sollen zu den nachzurüstenden Not- und Nachkühlsytemen und den Notstromsystemen konsistent sein. D. h. statt nur 4×50% Kapazität wie bei Konvoi-Anlagen sollen auch hier diversitäre Systeme 4×100% eingerichtet werden, je 2×100% + 2×100% mit bauartverschiedenen aktiven Komponenten. Die Notstandssysteme sind zu verbunkern.
k) In Siedewasserreaktoren ist das Kühlmittelinventar zu vergrößern durch vergrößerte Kühlmittellagerbehälter, die störfallfest auszuführen sind. In Druckwasserreaktoren sollen die sogenannten Flutbehälter in ihrem Fassungsvermögen vergrößert werden.
l) Bei Druckwasserreaktoren soll zur Gewährleistung der dritten Barriere bei sekundärseitigem Abfahren durch Abblasen über Dach, eine sekundärseitige Kondensationskammer nachgerüstet werden. Diese Kondensationskammer soll ein Wasserinventar haben, das als Vorlage zum Abblasen – wie bei Siedewasserreaktoren – dient. Dieses Wasserinventar soll zudem wieder in die Dampferzeuger eingespeist werden können. Für diese DWR-Sekundärkondensationskammer ist ein Wärmeanfuhrsystem zu installieren.
m) Das BE-Lagerbecken ist innerhalb des Sicherheitsbehälters vorzusehen oder mit einer dem Sicherheitsbehälter äquivalenten Barriere gegenüber Freisetzungen zu versehen.
n) Räumlich getrennte, erdbeben- und überflutungsgesicherte verbunkerte Brunnen mit Borlagern, mobilen Notstromgeneratoren und Pumpen vor Ort sind vorzusehen.
III. generellen Neubewertung von Risiken
a) Sofortige Inkraftsetzung des neuen kerntechnischen Regelwerks (Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke).
b) Das Einzelfehlerkonzept ist zu überprüfen, u. U. ist das gleichzeitige Auftreten von mehreren Einzelfehlern zu unterstellen.
c) Die Beherrschung der Auslegungsstörfälle, die nach dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik zu unterstellen sind (Modul 3 Sicherheitskriterien), muss nachgewiesen werden.
d) Ein wirksames IT-Security-konzept wird in allen deutschen Anlagen kurzfristig umgesetzt. Dadurch wird gewährleistet, dass der sichere Betrieb der Anlagen nicht durch IT-Angriffe beeinträchtigt werden kann.
e) Digitale Systeme im Reaktorschutz werden nur eingeführt, wenn diese mit gleicher Sicherheit vor Manipulationen geschützt werden können, wie die derzeit verwendete Analogtechnik.
f) Auswirkungen auf die Sicherheit von KKW aufgrund von Stromnetzausfällen z.B. bei simultanen IT-Angriffen auf Einrichtungen der Stromversorgungsinfrastruktur müssen ausgeschlossen werden.
g) Es wird geprüft, ob durch simultane IT-Angriffe auf mehrere KKW gleichzeitige Schnellabschaltungen ausgelöst werden können.
h) Kurzfristige Umsetzung von Sicherheitsverbesserungen auf der Basis der „Nachrüstungsliste“ des BMU unter Verzicht auf die Konditionierung von Nachrüstforderungen durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen (P2-Punkte) als Voraussetzung für die Nutzung der zusätzlichen Strommengen aus der Laufzeitverlängerung.
i) Die Qualität von Einrichtungen und Maßnahmen zur Beherrschung von Ereignissen, die bisher als seltene Ereignisse der Sicherheitsebene 4a zugeordnet wurden, soll an das Niveau der Sicherheitsebene 3 herangeführt werden.
j) Systematische Überprüfung der Einrichtungen und Maßnahmen der Sicherheitsebene 4 b und c in Hinblick auf Qualität und Wirksamkeit, entsprechend dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik.
k) Die Auslegung für Reaktordruckbehälter und deren Einbauten bei Siedewasserreaktoren der Baulinie 69 sind mit Verfahren nach Stand von W&T für alle Schwachstellen hinsichtlich Ermüdung und Versprödung mit allen möglichen Belastungsfällen (für aktuelle Kernbeladungen, Anreicherungen, Abbrandzuständen, Schwingungen) nachzuvollziehen. Dabei sind die eingeschränkten Prüfmöglichkeiten hinsichtlich Auffindbarkeit von Rissen sowie mögliche Korrosion zu berücksichtigen.
l) Für alle Behälter und Rohrleitungen der Druckführenden Umschließung ist der Bruchausschluss für die nach dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik möglichen Belastungsfälle (Flugzeugabsturz, Erdbeben, Störfälle, ATWS) für die vorgesehene Betriebszeit zu gewährleisten. Der Zustand (Ermüdung, Verlagerungen, Schwingungen, Dehnungen) sind kontinuierlich zu ermitteln und auszuwerten.
m) Für alle Behälter und Rohrleitungen sind die Nachweise für die Verankerungen (z.B. Dübel) der sicherheitstechnisch wichtigen Systeme nach Stand von W&T und allen Belastungen vorzulegen.
n) Freischaltungen der Sicherheitskühlsysteme während des Leistungsbetriebes zur vorbeugenden Instandhaltung sind unzulässig. Sie sollen stattdessen in der Revision erfolgen.
IV. Überprüfungsverfahren
a) Für jede Anlage wird ein Gutachterteam gebildet, dem nur Mitarbeiter von Sachverständigenorganisationen angehören, die nicht in der jeweiligen Anlage als Hauptgutachter tätig waren, also: andere TÜV, GRS, Öko-Institut, Physikerbüro, ESN u. a.
b) Die Bundesaufsicht erhält ohne Einschränkung alle gewünschten Unterlagen und zieht die RSK zu übergeordneten Fragen hinzu.
c) Die geforderten Maßnahmen sind für alle Anlagen kurzfristig und als Voraussetzung für die Nutzung der zusätzlichen Strommengen aus der Laufzeitverlängerung umzusetzen.
Textquelle: kontraste.de, 18.03.2011