Verzögerung bei Wiederanfahren von AKW Brokdorf
Das Atomkraftwerk Brokdorf soll nach mehrwöchiger Revision wieder ans Netz gehen. Die Atomaufsicht gibt aber kein grünes Licht, weil Unterlagen fehlen. Es ist eines der letzten neun AKW in Deutschland, zwar neuer als die stillstehenden Anlagen, aber nicht weniger umstritten.
Update 20.07.: Die Atomaufsicht in Kiel erteilte dem Betreiber Eon am Dienstag noch keine Zustimmung, um das AKW Brokdorf nach Wochen der Revisionsarbeiten wieder anzufahren. Eon sei geb
eten worden, weitere Prüfungsunterlagen vorzulegen, teilte ein Sprecher des zuständigen Justizministeriums in Kiel mit. Die Prüfung sowie die Instandhaltung des AKW haben insgesamt rund fünf Wochen in Anspruch genommen und dauerten gut zwei Wochen länger als ursprünglich geplant. Insbesondere die Beladung des Reaktordruckbehälters mit Brennelementen habe sich hingezogen, hatte das Ministerium mitgeteilt.
Ursprünglich sollte der Meiler bereits vergangene Woche wieder Strom liefern, aber die Revisionsarbeiten dauern länger als geplant. Warum ist nicht bekannt. 44 von 133 Brennstäben wurden ausgetauscht.
Brokdorf ist für eine ganze Generation von Westdeutschen noch heute Synonym für den Widerstand gegen die Atomkraft. Gehüllt in gelbe Regenjacken, den Bauarbeiterhelm auf dem Kopf oder zumindest im Rucksack wanderten sie Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre immer wieder zu Zehntausenden an die Unterelbe, um dort den umzäunten „Bauplatz zur Wiese“ zu machen, wie es hieß. Vor über 30 Jahren, am 28. Februar 1981, zogen mehr als 100.000 Atomkraftgegner zum Bauzaun. Mehr oder minder handgreiflich protestieren sie gegen die Errichtung des Reaktors. Es war die größte Brokdorf-Demonstration und bis 2011 eine der größten Anti-AKW-Demonstrationen in der deutschen Geschichte.
- Brokdorf war damals Symbol der Anti-AKW-Bewegung, so wie es heute noch Gorleben ist.
Bereits 1976 wurde per Gerichtsbeschluss einen Baustopp durchgesetzt. Der Grund: die Entsorgungsfrage ist ungeklärt. Ab 1981 wurde weitergebaut, nachdem Deutschland den Entsorgungsweg über die Wiederaufarbeitung eingeschlagen hatte. Damals war noch der Bau einer WAA in Deutschland die Grundlage für die Aufhebung des Baustopps.
Am 8. Oktober 1986 ging das AKW schließlich ans Netz – als weltweit erstes AKW nach dem Super-GAU von Tschernobyl.
Eine bleibende Spur hinterließ der Protest vom 28. Februar 1981 auch in der Rechtsgeschichte. Der Kreis Steinburg hatte damals ein flächendeckendes Demonstrationsverbot erlassen. Dagegen reichten Atomkraftgegner aus Itzehoe Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Vier Jahre später verkündete das Gericht seinen berühmten Brokdorf-Beschluss. Die Grundsatzentscheidung von 1985 gab den Klägern Recht und räumte dem Versammlungsrecht ähnlich hohen Wert wie der Presse- und Meinungsfreiheit ein.
Brokdorf ist ein Druckwasserreaktor der 3. Baulinie. Entwickelt wurde das Design in und ist technisch längst überholt. Umfangreiche Sicherheitsnachrüstungen sollen den Reaktor immer wieder auf den „Stand der Technik“ bringen. Druckwasserreaktoren wurden ursprünglich als Antrieb von Atom-U-Booten entwickelt und sind daher kompakt gebaut, mit hoher Leistungsdichte. Das Wasser, das den Reaktor kühlt, steht unter so hohem Druck, dass es nicht siedet. Dieses Druckwasser zirkuliert im Primärkreislauf und gibt seine Wärme über Dampferzeuger an den Sekundärkreislauf ab, an den die Turbine angeschlossen ist. Aufgrund der hohen Leistungsdichte kommt es bei einem Druckwasserreaktor bei Ausfall der Kühlung rascher als bei anderen Reaktortypen zu einer Kernschmelze. Ein Beispiel ist der US-Reaktor Three Mile Island (Harrisburgh), in dem sich 1979 eine Kernschmelze ereignete.
In Brokdorf werden zur Kernspaltung auch plutoniumhaltige MOX-Brennelemente eingesetzt. Diese Brennelemente sind besonders umstritten, weil sie den giftigsten Stoff der Welt enthalten, der in Wiederaufarbeitungsanlagen beim „Recyling“ alter Brennstäbe produziert wird. Dabei wird nachweislich die Umwelt verseucht.
Laufzeitverlängerung statt Sicherheit
Atomausstieg? 3 Jahre mehr hat Brokdorf mit dem schwarz/gelben Atomkonsens im Vergleich zum vorher geltenden Atomausstieg von rot/grün erhalten. Zwar reduziert sich die Laufzeit gegenüber der Verlängerung vom Herbst 2010 von 2033 auf 2021.
Im Atomkraftwerk Brokdorf haben sich seit Inbetriebnahme bis Ende Mai 2011 212 meldepflichtige Störfälle ereignet – rechnerisch etwa 8,5 pro Jahr: 1988 weisen die Kupplungen der Notspeise-Dieselmotoren diverse Mängel auf. 1993 muss die Anlage abgeschaltet werden, weil aus einem Reinigungssystem Schwefelsäure in den sekundären Kühlkreislauf fließt. 1995 werden undichte Brennelemente entdeckt. 1999 fällt auf, dass Fußmuttern an den Brennelementen fehlen. Zuletzt schaltete sich im März 2011 eine Kühlwasserpumpe nicht automatisch ein.
Nur das Reaktorgebäude selbst hält angeblich den Absturz eines großes Flugzeug aus. Selbst wenn das Reaktorgebäude aber dem Aufprall standhält, kann es durch die Erschütterungen zu Lecks im Primärkreislauf und einer Beschädigung des Sicherheitsbehälters kommen. Katastrophale Folgen sind auch zu erwarten, wenn andere Anlagenteile wie Warte oder Maschinenhaus zerstört werden oder wenn ein Brand ausbricht.
Nach einem schweren Störfall im schwedischen AKW Barsebäck mussten die Betreiber von Druckwasserreaktoren das „Sumpfsiebproblem“ eingestehen, das bis heute nicht gelöst ist: Isoliermaterial verstopfte die Kühlung und führte beinahe zur Kernschmelze.
Als weitere Kritikpunkte sind das Notstromsystem zu nennen, das „nur weitgehend entmascht“ ist. Das AKW Brokdorf liegt außerdem nur knapp über Normalnull und ist nicht ausreichend gegen Hochwasser gesichert. Zusammenfassend ist der Reaktor nicht auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik.
Wir akzeptieren kein weiteres Jahrzehnt mit diesen Atommeilern mehr!
Aus Protest gegen die Laufzeitverlängerung, nach der Brokdorf bis 2033 laufen sollte, bildeten am 24. April 2010 rund 120.000 Menschen zwischen den drei Meilern Krümmel, Brokdorf und Brunsbüttel eine rund 120 Kilometer lange Menschenkette. Mitte Juni 2011 mit Beginn der Revision setzten sich 250 Aktivisten unter dem Motto „Schluss endlich!“ vor die Tore und blockierten den Schichtbetrieb.
Die Proteste werden weitergehen.
- Untersuchung erhöhter Krebsraten in Umgebung des AKW-Brokdorf gefordert
28. Februar 2011 – Asse-II, Morsleben, Gorleben, Brokdorf. Um die Atomanlagen sind die Krebserkrankungen signifikant erhöht. Die “Meßstelle für Arbeits- und Umwelt-Schutz e.V.” in Bremen fordert eine Untersuchung der erhöhten Krebsraten in Wewelsfleth in der Umgebung des AKW-Brokdorf.
- Atomsumpf: Verstopfte Kühlwasserpumpen könnten zu GAU führen
11. April 2011 – Deutschen Atomkraftwerken drohte ein GAU nicht erst nach einem Flugzeugabsturz oder einem verheerenden Erdbeben wie in Japan. Ein paar verstopfte Kühlwasserpumpen hätten genügt, und dafür reichten schon harmlose Isolierfasern. Das Problem war nach einem Störfall in Schweden seit fast 19 Jahren bekannt. Offiziell gilt es heute als “weitgehend” gelöst.
- USA: 28. März 1979 – Kernschmelze im AKW Three Mile Island
Im Block 2 des amerikanischen Atomkraftwerks Three Mile Island, in der Nähe von Harrisburg, Pennsylvania, geschah in den frühen Morgenstunden des 28. März 1979 das, was die gesamte Atomzunft bislang für ausgeschlossen hielt: Aufgrund zahlreicher Pannen und Defekte in den Sicherheitssystemen der Anlagen versagte die Kühlung des Reaktors, die hochradioaktiven Brennelemente wurden freigelegt und schmolzen. Tagelang drohte der Reaktor zu explodieren.
Quellen: www.greenpeace.de, E.ON Kernkraft, ausgestrahlt.de; 19.07.2011