Vor 25 Jahren: „Anti-WAAhnsinnsfestival“ in Wackersdorf
Anfang der 80er-Jahre formierte sich der Widerstand gegen eine im bayerischen Wackersdorf geplante Wiederaufbereitungsanlage für Atommüll. Als Zeichen des Protests entstand das Anti-WAAhnsinnsfestival. Die fünfte Auflage am 26. und 27. Juli 1986 wurde zu einem Höhepunkt der Bürgerproteste.
„Ein echtes Wahnsinnsfestival, liebe Leute. Ich freu mich total, dass ich hier bin … „
Herbert Grönemeyer, BAP, Wolf Maahn, Wolfgang Ambros und Udo Lindenberg waren nur einige der prominenten Musiker, die am 26. Juli 1986 beim Anti-WAAhnsinnsfestival, der bis dahin größten Rockveranstaltung Deutschlands, im bayerischen Burglengenfeld auftraten. Gemeinsam mit 100.000 Besuchern demonstrierten sie gegen die in Wackersdorf geplante Wiederaufbereitungsanlage für Atommüll.
Die Bürger der idyllischen Gegend hatten schon vier Jahre Protest gegen die WAA hinter sich und waren dafür von Bayerns Ministerpräsident Franz-Josef Strauß als „Verhaltensgestörte“ beschimpft worden. Dabei war der Widerstand keine Sache nur der linken Szene. Der Stadtrat von Burglengenfeld beschloss mit Mehrheit gleich mehrmals, das Festival am 26. und 27. Juli 1986 stattfinden zu lassen. Daraufhin bettelte der CSU-Bürgermeister bei der Landesregierung geradezu um ein Verbot. Da hatten die Veranstalter schon 60.000 Karten verkauft. Wolfgang Niedecken von BAP erinnert daran, dass die letztgültige Genehmigung des Verwaltungsgerichts München – verbunden mit vielen Auflagen – erst vier Tage vor der Veranstaltung kam.
„Das hat die bayerische Landesregierung ja ganz, ganz, ganz geschickt gemacht und damit auch im Endeffekt auch sehr große Kosten verursacht. Du musstest ja auf Teufel komm raus dieses Ding jetzt in Wackersdorf auf die Reihe kriegen, nachdem feststand, so dass wird jetzt hier laufen. Eine Woche vorher hieß es noch, es würde vielleicht in Nürnberg stattfinden, weil die Erlaubnis einfach nicht kam, beziehungsweise Gerüchte ausgestreut worden sind, es würde gar nicht stattfinden.“
6.000 Polizisten wurden aufgeboten, um für Sicherheit zu sorgen. Teilnehmer des Festivals warfen ihnen vor, aus purer Schikane nicht nur ihre Kontrollen besonders langsam abzuwickeln, sondern auch willkürlich Gegenstände wie Taucherbrillen oder Wagenheber als vermeintlich gefährliche Gegenstände zu konfiszieren.
„Ich fühle mich wie im Osten. Da darf man ja auch seine Meinung frei äußern – solange es der offiziellen Meinung nicht entgegen spricht. Aber wenn man anderer Meinung ist, kriegt man halt einen über die Rübe.“
Bewusst hatten die Veranstalter darauf verzichtet, Parteivertreter auftreten zu lassen. Und sie unterbanden auch alle Aufrufe, vom Festival zum Bauzaun der Wiederaufbereitungsanlage zu marschieren. Uli Kick berichtete am ersten Festivaltag live für die ARD aus Burglengenfeld.
„Bei den Stageansagen der Musiker geht es überhaupt nicht um Politik. Aber es gab zwei Reden heute. Also, die erste Rednerin, das war die Freda Meißner-Blau, die österreichische Präsidentschaftskandidatin der Grünen. Sich wehren, bewährt sich, sagte sie in Anspielung auf Zwentendorf. Das ist das einzige Atomkraftwerk, das in Österreich jemals gebaut wurde und durch einen Volksentscheid dann erst zu Fall kam. Sie schloss ihre Rede mit einem Wort: Wackersdorf ist Atomdiktatur.“
Sonntagnacht, am 27. Juli, beschloss Rio Reiser als letzter von 21 Bands das Festival, bei dem alle Künstler auf ihre Gagen verzichteten und das in der deutschen Pop-Protestgeschichte bis heute einzigartig geblieben ist. Dennoch gab es rückblickend auch Kritik einiger Musiker an dem Ereignis. Und auch Wolfgang Niedecken fragte nur wenige Monate später nach den politischen Folgen solcher Benefizveranstaltungen.
„Zu bedenken ist vor allen Dingen einmal, ob man seine Möglichkeiten nicht überschätzt. Von außen kommen immer diese Überschätzungsdinger, dass man also von außen denkt, aha, die Musiker denken jetzt, damit kriegen wir das Problem aus der Welt. Natürlich habe ich mir nie eingebildet, mit einer Benefizsingle wie „Nackt im Wind“ den Hunger aus der Welt schaffen zu können. Aber ich konnte halt da meinen Teil dazutun, Leute aufmerksam zu machen – und mehr ist das auch nicht.“
Nur drei Jahre nach dem 5. Anti-WAAhnsinnsfestival kam es zum Baustopp der Wiederaufbereitungsanlage. Nach dem Tod von Franz-Josef Strauß 1988 sah die Betreibergesellschaft keine Möglichkeit, das Projekt angesichts des massiven Widerstands der Bevölkerung und der immensen Kosten fertigzustellen. Den 100.000 Menschen, die mit Musik friedlich gegen die Atomkraft demonstriert hatten, errichtete die Stadt Burglengenfeld später ein Denkmal.
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Quelle: Michael Kleff / dradio.de; 26.07.2011