Atomausstieg? Die Wahrheit Teil 22: Sind die „neueren“ AKW sicherer?

Deutschland steigt aus. Bis 2022 sollen in einem Stufenplan alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden, das erste bereits 2015. Schwarz/gelb feiert das eigene Einknicken im Fortbestand der Atomenergie als Erfolg, rot/grün stimmt mit dem Argument “alternativlos” zu. Die „neueren“ Atomkraftwerke dürfen teilweise noch mehr als 10 Jahre laufen. Doch sicher sind die auch nicht.

Bei den neun verbleibenden AKWs in Deutschland handelt es sich um

  • Isar-II, Druckwasserreaktor 4. Baulinie (Konvoi), Betriebsjahre: 23 – geplante Abschaltung: 2022
  • Emsland, Druckwasserreaktor 4. Baulinie (Konvoi), Betriebsjahre: 23 – geplante Abschaltung: 2022
  • Neckarwestheim-II, Druckwasserreaktor 4. Baulinie (Konvoi), Betriebsjahre: 23 – geplante Abschaltung: 2022
  • Brokdorf, Druckwasserreaktor 3. Baulinie, Betriebsjahre: 25 – geplante Abschaltung: 2021
  • Philippsburg-II, Druckwasserreaktor 3. Baulinie, Betriebsjahre: 27 – geplante Abschaltung: 2019
  • Grohnde, Druckwasserreaktor 3. Baulinie, Betriebsjahre: 27 – geplante Abschaltung: 2021
  • Grafenrheinfeld, Druckwasserreaktor 3. Baulinie, Betriebsjahre: 30 – geplante Abschaltung: 2015
  • Gundremmingen-B, Siedewasserreaktor Bauline 72, Betriebsjahre: 27 – geplante Abschaltung: 2017
  • Gundremmingen-C, Siedewasserreaktor Bauline 72, Betriebsjahre: 27 – geplante Abschaltung: 2021

Der Druckwasserreaktor (DWR) ist eine Weiterentwicklung des Siedewasserreaktors. Druckwasserreaktoren wurden ursprünglich als Antrieb von Atom-U-Booten entwickelt und sind daher kompakt gebaut, mit hoher Leistungsdichte. Das Reaktorkühlmittel, in diesem Fall handelt es sich wieder um Wasser, wird die von den Brennelementen durch Kernspaltung erzeugte Wärme abgeführt. Der Druck im Hauptkühlkreis (Primärkreislauf) ist erhöht (15,7 MPa), damit das Kühlmittel nicht siedet. Das Wasser tritt mit einer Temperatur von etwa 291°C in den Reaktor ein und verlässt ihn mit einer Temperatur von rund 326°C. Es gelangt dann in den so genannten Dampferzeuger, wo es aufgrund seiner hohen Temperatur Wasser im zweiten Kühlkreislauf (Sekundärkreislaufes mit geringererem Druck) zum verdampfen bringt. Der Sekundärkreislauf liefert etwa 2,1 Tonnen Dampf pro Sekunde, mit dessen Hilfe eine Turbine angetrieben wird. Die Turbine ist mit einem Generator gekoppelt, der Bewegungsenergie in Strom umwandelt. Das verdampfte Sekundärwasser muss bevor es in den Dampferzeuger zurückgeführt wird, in Kondensatoren verflüssigt werden. Um die Kondensatoren zu kühlen, werden große Mengen Flusswasser genutzt, die anschließend ebenfalls erwärmt in den Fluss zurückgeleitet werden.

  • Wie in jedem Kondensationskraftwerk wird in Atomreaktoren nur rund ein Drittel der durch Kernspaltung erzeugten Wärme zur Stromerzeugung genutzt. Der größere Teil der Energie wird als Abwärme in die Umwelt abgegeben.

Gegenüber der Siedewasserreaktoren ist das Sicherheitskonzeptes der DWR verbessert, da es zwei unabhängige Kühlkreisläufe gibt, die dazu führen, dass nur das Wasser des Primärkreislaufes radioaktiv belastet ist und nicht die Turbine und den Kondensator verstrahlt wird. Atomreaktoren sind grundsätzlich mit einer Reihe von Sicherheitssystemen ausgerüstet, um zu verhindern, dass die bei der Kernspaltung entstehenden radioaktiven Stoffe – wie beispielsweise das tödliche Gift Plutonium – in die Umwelt gelangen. Doch keins davon ist völlig sicher.

  • Aufgrund der hohen Leistungsdichte kommt es bei einem Druckwasserreaktor bei Ausfall der Kühlung rascher als bei anderen Reaktortypen zu einer Kernschmelze. Ein Beispiel ist der US-Reaktor Three Mile Island (Harrisburgh), in dem sich 1979 eine Kernschmelze ereignete.
  • Bei einem Leck im Primärkreislauf besteht die Gefahr, dass es zu einer Überhitzung der Brennelemente und so zu einer Kernschmelze kommen kann. Außerdem verseucht ein solches Leck den Innenraum des Reaktorgebäudes mit radioaktivem Dampf, der über Überdruckklappen in die Umwelt gelangen kann.

Moderne Atomkraftwerke sind von einem so genannten Containment umschlossen, einem riesigen stählernen Behälter, der sie vor Erdbeben, Sabotage und Flugzeugabstürzen schützen soll. Mit Schnellabschalt- und Notkühlsystemen will man Reaktorunfälle beherrschen, auch den GAU, den größten anzunehmenden Unfall.

Im Lauf der Zeit zeigten die Reaktoren immer wieder Schwachstellen, die bei der Konstruktion nicht berücksichtigt wurden. So mussten in mehreren deutschen Atomkraftwerken kurze Zeit nach Inbetriebnahme in großem Umfang Rohrleitungen ausgetauscht werden, weil es Verarbeitungsmängel gab und der verwendete Stahl sich als nicht geeignet herausstellte. Der als Ersatz eingebaute Super-Stahl Austenit erwies sich nur zehn Jahre später ebenfalls als rissanfällig.

  • Rohrleitungsschäden in Atomkraftwerken sind gefährlich, denn wenn Rohre brechen, kann Kühlwasser auslaufen. Ohne ausreichende Kühlung überhitzt sich der Reaktorkern. Der Reaktor kann außer Kontrolle geraten und im schlimmsten Fall durchschmelzen oder explodieren.

Meist ist es aber eine Kombination von menschlichen Fehlern und technischem Versagen, die zu unvorhergesehenen Zwischenfällen in Atomkraftwerken führt. Selbst Verfechter der Atomenergie müssen einräumen, dass ein Restrisiko bei keinem Reaktortyp auszuschließen ist. Unfälle, bei denen es zu einer Kernschmelze und zu einer schnellen Zerstörung des Containments kommt (Super-GAU), sind auch in einem deutschen Atomkraftwerk jederzeit möglich – sei die rechnerische Wahrscheinlichkeit auch noch so klein.

  • Studien belegen, dass ab einer Betriebsdauer von etwa 20 Jahren das Risiko eines Reaktorunfalls deutlich zunimmt.

Brokdorf zum Beispiel ist ein Druckwasserreaktor der 3. Baulinie. Entwickelt wurde das Design in 70er Jahren und ist technisch längst überholt. Umfangreiche und millionenschwere Sicherheitsnachrüstungen sollen den Reaktor immer wieder auf den „Stand der Technik“ bringen.

Zusatzrisiko MOX

Eine zusätzliche Gefahr ist der Einsatz von plutoniumhaltigen Mischoxid-Brennelementen (MOX) in allen noch in Betrieb befindlichen Reaktoren. Diese Brennelemente sind besonders umstritten, weil sie den giftigsten Stoff der Welt enthalten, der in Wiederaufarbeitungsanlagen beim “Recyling” alter Brennstäbe produziert wird. Dabei wird nachweislich die Umwelt verseucht. Bereits 40 Prozent des Plutoniums eines einzigen MOX-Brennelementes reichen aus, eine Atombombe zu bauen. Auch im Reaktor verringert der Einsatz der MOX-Brennelemente die vorhandenen Sicherheitsspielräume: Die Sicherheit der Steuerstäbe wird leicht verringert, im kalten Zustand sind höhere Borsäure-Konzentrationen im Kühlwasser erforderlich, um den Reaktor unkritisch zu halten. Auch bei der Lagerung von abgebranntem MOX- Brennstoff im Abklingbecken ist der Einsatz stärkerer Neutronenabsorber erforderlich.

Alles sicher?

Die Reaktorsicherheitskommission hat im April 2011 auch die „neueren Meiler“ untersucht und eklatante Misstände festgestellt. So würde besispielsweise das AKW Brokdorf den Absturz eines Flugzeugs nicht standhalten. Ein ausreichender Schutz gegenüber eines extremen Hochwassers der Elbe ist auch nicht gegeben.

Immer wieder Störfälle

Auch gibt es in den verbleibenden neun AKW immer wieder Störfälle, zuletzt fiel der Reaktor Philippsburg-2 durch eine Serie an meldepflichtigen Ereignissen auf.

AKW-Störfälle seit März 2011

AKW-Störfälle seit März 2011

Auch in den „neueren“ Meilern, die allesamt schon länger als 20 Jahren laufen, existiert das Restrisiko. Auch wenn es erechnet verschwindend gering erscheint, ist die Realität – wie Fukushima bewiesen hat – eine andere.

Atommüll ohne Lösung

Bis zur Abschaltung des letzten Atomkraftwerk in Deutschland – Neckarwestheim-2 im Jahre 2022 – werden weitere 2.565 Tonnen hochradioaktiver Atommüll produziert. Allein die zwei Blöcke des AKW Gundremmingen produzieren täglich etwa 170 kg strahlenden Atommüll neu. Darin sind ca. 1,7 kg Plutonium enthalten. Kein Kilo ist bislang sinnvoll entsorgt, sondern steht heute zwar zeitlich befristet aber ohen Perspektive in Zwischenlagern.

Wir fordern alle Atomkraftwerke sofort stillzulegen!

  • AKW-Debakel Europäischer Druckwasserreaktor
    Es war der ersten Reaktorneubau in Europa seit der Tschernobyl-Katastrophe 1986: Der “Europäische Druckwasserreaktor” sollte die Renaissance der Atomkraft einläuten. 2005 wurde mit dem Bau in Finnland begonnen, Ende 2007 in Frankreich mit einem zweiten Reaktor. Seitdem gibt es Pleiten, Pech und Pannen.
  • Sicherheits-Ranking für deutsche Atomkraftwerke
    23. Mai 2011 – Greenpeace hat ein Ranking der 17 deutschen Atommeiler erstellt. Die Rangfolge ergebe sich aus der Prüfung und Bewertung der Ergebnisse aus dem am 17. Mai veröffentlichten Bericht der Reaktorsicherheitskommission (RSK). Danach schneidet das AKW Isar I am schlechtesten ab, der Reaktor Emsland relativ am besten. Jetzt gibt es keine Ausreden mehr, die ältesten AKW sofort stillzulegen!
Atomausstieg? DIE WAHRHEIT: 

Quellen: klimawandel-heute.de, vorort.bund.net, greenpeace.de, bfs.de; 03.08.2011