Atomausstieg? Die Wahrheit Teil 23: Hermesbürgschaften sorgen für den nächsten GAU

Deutschland steigt aus. Bis 2022 sollen in einem Stufenplan alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden, das erste bereits 2015. Schwarz/gelb feiert das eigene Einknicken im Fortbestand der Atomenergie als Erfolg, rot/grün stimmt mit dem Argument “alternativlos” zu. Doch mithilfe von Hermesbürgschaften zum Bau neuer Atomkraftwerke hilft die Bundesregierung zahlreichen Staaten ihre Atomprojekte zu realisieren.

Hermesbürgschaften oder Hermesdeckungen sind die umgangssprachlichen Bezeichnungen für Exportkreditgarantien der Bundesrepublik Deutschland, ein bedeutender Bestandteil der deutschen Außenwirtschaftsförderung. Hermesdeckungen schützen vor einem Zahlungsausfall aus wirtschaftlichen und politischen Gründen bei der Lieferung in schwierige und risikoreiche Märkte: Zahlt der ausländische Abnehmer nicht, springt der deutsche Staat ein. Dadurch ermöglichen sie die Erschließung neuer Märkte und auch die Aufrechterhaltung von bestehenden Kundenbeziehungen. Für die Absicherung von Exportgeschäften sind 2010 bis zu 120 Mrd. € eingeplant.

Rot/grün hatte mit dem Atomkonsens Hermesbürgschaften für Atomprojekte verboten. Schwarz/gelb hat 2009 das seit 2001 geltende Atomausschlusskriterium bei der Vergabe von Hermesbürgschaften ausgesetzt. Seitdem sichert Deutschland die Exportgeschäfte der deutschen Atomwirtschaft und somit die weltweite Weiterverbreitung der Kernenergie bis hin zum Neubau von Atomkraftwerken wieder mit deutschen Steuergeldern finanziell ab. Dabei fördert die Bundesregierung die deutsche Atomindustrie auch in Schwellenländern, deren Sicherheitsstandards und institutionalisierten Kontrollmechanismen weit hinter denen im eigenen Land zurückliegen.

Allein zwischen Oktober 2009 – also nach der Bundestagswahl 2009 bzw. dem Regierungswechsel – und August 2010 wurden Garantien für Lieferungen zu zehn Atomanlagen in China, Frankreich, Japan, Südkorea, Litauen, Russland und Slowenien prinzipiell übernommen. Anfragen soll es für Exportgarantien für sechs weitere Projekte unter anderem in Südafrika und Vietnam geben.

  • Seit dem Jahr 2009 sind acht Anträge zur Lieferung für Neubauten von Kernkraftwerken mit einem Volumen von insgesamt 1,38 Milliarden Euro für Standorte in Brasilien, China, Frankreich und Russland eingereicht worden. Davon seien zwei Anträge mit einem Volumen von insgesamt 28 Millionen Euro (Frankreich und Russland) zurückgezogen worden, schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort (17/5532) auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion (17/5277) zur Förderung der Kernenergie im Ausland durch Hermesbürgschaften.
  • Seit 2009 seien zudem 16 Anträge für Exportgarantien im Zusammenhang mit Nukleartechnologie eingereicht worden. Endgültig übernommen habe die Bundesregierung davon elf Exportgarantien (35 Millionen Euro). Der Antrag auf Übernahme einer Exportgarantie für die Fertigstellung des Atomkraftwerks Angra 3 in Brasilien sei grundsätzlich angenommen worden, heißt es weiter.

Angra 3 in Brasilien

Mehr als 25 Jahre lang liegen Teile für den Weiterbau des einzigen brasilianischen Atomkraftwerks Angra im Süden des Landes schon auf Eis. Noch älter dürfte die Technologie für einen geplanten dritten Meiler in dem erdbebengefährdeten Gebiet zwischen den Metropolen Rio de Janeiro und São Paulo sein. Der schwarz-gelben Bundesregierung, die als Reaktion auf das Atom-Desaster in Japan sieben deutsche Kernkraftwerke vorerst abgeschaltet hat, scheinen die offensichtlichen Risiken des geplanten neuen Blocks Angra 3 ziemlich egal zu sein. Ein Antrag der Grünen und der SPD im Bundestag, geplante Exportgarantien – sogenannte Hermesbürgschaften – für den Bau in Brasilien zurückzuziehen, wurde Ende März 2011 von der Mehrheit der Regierungsfraktionen abgelehnt.

Die Bundesregierung hat bereits im Februar 2010 die Grundsatzzusage für eine Bürgschaft über 1,3 Milliarden Euro für das Atomkraftwerk Angra 3 erteilt, diese aber bis heute nicht in eine endgültige Bürgschaft umgewandelt. Mit dem Geld soll der Bau durch den französischen Atomkonzern Areva, an dem Siemens beteiligt war, ermöglicht werden.

„Die Finanzierung ist ins Stocken geraten, weil die beteiligten französischen Banken zusätzliche Sicherheitsanalysen gefordert haben. Es ist ein Armutszeugnis, dass Banken aus dem atomfreundlichen Frankreich kritischer nachfragen als die Bundesregierung“, kommentiert Regine Richter, Energieexpertin von urgewald.

In ihrer Bewertung von Angra 3 kommt die Bundesregierung zu dem Schluss, dass die Katastrophenpläne für diesen Reaktor unzureichend sind und er nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert ist. Zudem sind die geologischen Verhältnisse in diesem von Erdbeben und Erdrutschen gefährdeten Küstengebirge zwischen Rio und São Paulo weder für Atomkraftwerke noch für die Zwischenlagerung von strahlendem Müll geeignet. Ein weiteres Sicherheitsrisiko stellt die Nicht-Berücksichtigung des drohenden Meeresspiegelanstiegs in den Umweltverträglichkeitsstudien dar. Vom Stand der Technik ist Angra 3 vergleichbar mit dem in den 70er Jahren in Deutschland errichteten Kraftwerk Grafenrheinfeld. Dabei handelt es sich um einen Druckwasserreaktor der zweiten Generation. Der Neubau eines Atomkraftwerkes nach diesen Standards wäre heute in Westeuropa nicht mehr genehmigungsfähig. Im Falle eines atomaren Unfalls müssten auch in Brasilien, ähnlich wie jetzt in Japan, in einem 20-km-Radius ca. 170.000 Menschen evakuiert werden. Die derzeit gültigen Notfallpläne in Brasilien sehen jedoch lediglich die Evakuierung von Betroffenen im 5-km-Radius vor.

Trotzdem hält Schwarz-Gelb an dem Projekt fest.

„Wenn es um gute Geschäfte geht, ist der deutschen Regierung die Sicherheit von uns Brasilianern wohl egal“, sagt Sérgio Dialetachi, brasilianischer Energieexperte. „Gerade in Sachen Katastrophenschutz und Sicherheitsstandards birgt der brasilianische Atomsektor enorme Risiken in sich. So etwas darf die Bundesregierung nicht mit einer Bürgschaft unterstützen.“

Die Vergangenheit hat außerdem gezeigt, dass ehrgeizige Atomprojekte die Verschuldung in Entwicklungs- und Schwellenländern massiv vorantreiben. Für das Atomkraftwerk Angra 2 beispielsweise musste Brasilien 1,4 Milliarden Euro Schulden allein aus geplatzten Hermes-Bürgschaften gegenüber Deutschland abstottern.

Nukleares Know-How für den Iran

Auch der heftig umstrittene iranische Atomreaktor Buschehr wurde mit Hermesbürgschaften abgesichert. Deutschland ist an den Verhandlungen zum iranischen Atomprogramm beteiligt, um die Gefahr einer neuen Atomwaffenmacht zu bannen.

Im Juli 2008 verklagte der iranische Geschäftsmann Abolfath Mahvi, einst einer der engsten Vertrauten des persischen Schahs, Siemens vor der Internationalen Handelskammer (ICC) in Paris und forderte 75 Millionen Euro an offenen Provisionszahlungen. Hintergrund ist das vielleicht größte Schmiergeldgeschäft der Siemens-Geschichte – der Bau des umstrittenen Kernkraftwerks Bushehr Anfang der 70er Jahre. Als Vorbereitung für den 4 Mrd. Euro Vertrag zwischen der Siemens-Tochter KWU und dem damaligen Schah-Regime wurde der Iraner beauftragt, „ein vorteilhaftes Geschäftsklima“ zu schaffen. Dafür sollte er 400 Mio. Mark kassieren, erhalten hat er allerdings nur 266 Mio. Das besonders Brisante an dem Fall ist zweierlei: Erstens, dass von Pierer selbst tief in den Fall verstrickt ist. Als Hausjurist und später als Kaufmann der KWU war er direkt für das Projekt mitverantwortlich. Der Iraner wirft von Pierer vor, beim Bushehr-Projekt Korruption organisiert und von Kick-backs an andere Siemensianer gewusst zu haben. Auch bei der Übergabe eines Provisionsabschlags im Jahr 1982 soll von Pierer persönlich zugegen gewesen sein. Zweitens erklärt Mahvi in seinem Schreiben an das ICC die Gründe, warum der persische Herrscher damals mit Siemens ins Geschäft kommen wollte, dass es nämlich die Absicht Irans war, außer dem „zivilen nuklearen Programm“ auch „militärisches Nuklear-Know-how und Kapazitäten“ von Siemens zu erhalten. Anders ausgedrückt: Siemens sollte dem Iran die technischen Voraussetzungen zum Bau der Atombombe liefern. Ein Projekt, an dem der Iran vermutlich bis heute arbeitet.

Weitere Beispiele für atomare Hermesbürgschaften:

  • Wegen einer Hermes-Bürgschaft für den ab 2005 geplanten Bau des finnischen AKWs FIN 5 richtete Siemens bereits Ende Juni 2003 eine Voranfrage an den Interministeriellen Ausschuß (IMA). Umgehend wurde in einem „letter of interest“ eine Bürgschaft in Aussicht gestellt.
  • Die Zusammenarbeit des Forschungszentrums Jülich mit dem südafrikanischen Energie-Konzern ESKOM, wobei es 2004 um den Export der Hochtemperatur-Technologie nach Südafrika ging. Die PBMR (Pebble Bed Modular Reactor) genannte Variante des auch als Kugelhaufen-Reaktor berüchtigt gewordenen Reaktor-Typs sollte in Südafrika in Serie gebaut und in andere Länder weiterexportiert werden.
  • Der Export der Hanauer Plutoniumfabrik von Siemens an Russland in 2004. Nach den Vorstellungen von Siemens und dem russischen Atomministerium soll in der Anlage russisches Waffenplutonium zusammen mit Uran zu sogenannten MOX-Brennelementen verarbeiten. Das Geschäft platzte später.
  • Weitgehend unbeachtet von den Massenmedien vergab die rot-grüne Bundesregierung – erst wenige Monate im Amt – im Juli 1999 eine 36-Millionen-Mark-Hermesbürgschaft für die Nachrüstung des slowenischen Atomkraftwerks Krsko durch die Siemens AG.
  • Erstmals nach 20 Jahren gewährte 2000 eine deutsche Bundesregierung wieder eine Hermes-Bürgschaft für den Neubau eines Atomkraftwerkes. Mit Beschluss vom 10. März erhielt Siemens diese Bürgschaft für die Beteiligung am Neubau von zwei Atomkraftwerksblöcken (Lianyungang) in einer chinesischen Sonderwirtschaftszone. Siemens errichtete diese Atomkraftwerksblöcke vom russischen Typ WWER-1000 gemeinsam mit der russischen Atomwirtschaft. Bundeskanzler Schröder hatte zuvor gemeinsam mit Siemens-Managern in China die Baustelle des Atomkraftwerkes besichtigt und sich davon begeistert gezeigt.
  • Siemens erhielt zudem eine zweite Hermes-Bürgschaft für die Nachrüstungs- und Reparaturarbeiten am argentinischen Atomkraftwerks Atucha-1.
  • Eine dritte Hermes-Bürgschaft diente einer Zementieranlage für flüssige radioaktive Abfälle beim litauischen Atomkraftwerk Ignalina.
  • Die Bundesregierung enthielt sich am 7. Dezember 2000 bei einer Entscheidung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und ermöglicht damit eine Kreditentscheidung für den Fertigbau der beiden urkrainischen Atomkraftwerksblöcke Khmelnitzki-2 und Rowno-4 (K2R4) unter Beteiligung von Siemens und Framatome. Hätte Deutschland mit „Nein“ gestimmt und hätte sich dann der G7-Staat Italien – wie angekündigt – dem deutschen Votum angeschlossen und der Kredit wäre abgelehnt worden. Da die Ukraine die EBRD-Kriterien für die Kreditvergabe später nicht erfüllen konnte, wurde der Kredit letztlich nicht ausgezahlt.

Ein Land, das selbst aus der Atomkraft aussteigt muss auch die Weiterverbreitung der Technologie unterbinden!

  • Die staatliche Förderung von atomaren Risikovorhaben mit unseren Steuergeldern muss sofort eingestellt werden!
  • Die Bundesregierung muss das Verbot von Hermesbürgschaften für Atomprojekte sofort wieder einführen!

Die Atomkraft ist eine Technologie mit einzigartigem Katastrophenpotenzial. AKWs abschalten – sofort!

Atomausstieg? DIE WAHRHEIT:

Quellen: urgewald.de, maerkischeallgemeine.de, campact.de, neues-deutschland.de, gruene-bundestag.de, netzwerk-regenbogen.de; 18.08.2011