Siemens: Der Atomkonzern No.1 steigt aus
Jahrzehntelanger Protest und der Aufruf zum Boykott haben Erfolg: das deutsche Traditionsunternehmen Siemens, das alle deutschen Atomkraftwerke gebaut hat und mit Instandhaltung, Wartung und Ersatzteillieferung Milliarden verdient, will die nukleare Ära beenden. „Das Kapitel ist für uns abgeschlossen“, so Konzernchef Peter Löscher. Doch der Schein trügt.
Siemens ist in Deutschland der Atomkonzern Nr. 1. Das Unternehmen hat in Deutschland mehr als 20 kommerzielle Atomkraftwerksblöcke gebaut. Neun dieser Atomreaktoren sind derzeit noch in Betrieb. Vier weitere Atomkraftwerke errichtete Siemens als Generalunternehmer in den Niederlanden (Borssele, 1973), in Argentinien (Atucha-1, 1974), in der Schweiz (Gösgen, 1979) und in Spanien (Trillo-1, 1988). Darüber hinaus entwickelte und baute Siemens mehrere Forschungsreaktoren. Auch am umstrittenen AKW-Projekt Angra-3 in Brasilien ist Siemens beteiligt.
„Wir beabsichtigen, unser Engagement in Schritten auch in den nuklearen Kreislauf hinein auszuweiten“, sagte Siemens-Vorstand Wolfgang Dehen. „Heute bietet der Markt ein fantastisches Potenzial.“ (Ex-Chef von Siemens zum Joint Venture mit Rosatom; Spiegel Online am 24.02.2009)
Zuletzt war Siemens mit seinem ehemaligen französischen Partner AREVA mit dem gemeinsamen Bauprojekt „Europäischer Druckwasserreaktor“ (EPR) in Finnland gescheitert. Das schlüsselfertig zum Festpreis angebotene AKW wird immer teurer als geplant und die Inbetriebnahme verzögert sich immer weiter. Aber schon für das AKW Olkiluoto-3 lieferte Siemens lediglich die „konventionelle Kraftwerkstechnik“, also keine Reaktorteile – sondern Elemente, wie sie auch in anderen konventionellen Kraftwerken zum Einsatz kommen. Zum Beispiel Dampfturbinen, und dieses Geschäft will Siemens auch künftig weiterführen. Weiter gehören zur Produktpalette für AKW Generatoren und die sogenannte „Leittechnik“.
Aus dem Geschäft mit AREVA stieg Siemens vor zwei Jahren aus und wollte künftig gemeinsam mit Russland Atomkraftwerke bauen. Zu diesem Joint-Venture solle es laut Löscher nicht mehr kommen, es gäbe eine „Grundsatzentscheidung zum Rückzug aus der Atomtechnik“, berichtete das Handelsblatt bereits im Mai. Die Entscheidung, sagte der Siemens-Chef jetzt in einem Interview, sei die Antwort seines Unternehmen „auf die klare Positionierung von Gesellschaft und Politik in Deutschland zum Ausstieg aus der Kernenergie“ nach der Atomkatastrophe von Fukushima.
Richtige Entscheidung und falsches Spiel.
Doch so sehr diese Entscheidung zu begrüßen ist, um so geringer ist die Freude über das falsche Spiel, was der Atomkonzern betreibt: Siemens müsste künftig auch auf die Lieferung von „konventioneller Kraftwerkstechnik“ für Atommeiler zu verzichten, wenn der Konzern es Ernst meint.
„Siemens betreibt falsches Spiel“, so Jan Becker von contrAtom. „Selbstverständlich wird Siemens keine Atomkraftwerke mehr bauen, die Zeiten sind vorbei, dafür gibt es keine Akzeptanz mehr. Aber mit Dampfturbinen und Generatoren liefert der Konzern wichtige Bauteile für AKW – und ist damit weiter im Atomgeschäft beteiligt. Wenn Siemens es ernst meint, dann müssen alle Arbeiten in Atomanlagen und Lieferungen an AKWs sofort beendet werden.“
Mit einem Aufruf zum „Siemens-Boykott“ wird seit vielen Jahren vom IPPNW dazu aufgefordert, keine Produkte des Konzerns mehr zu kaufen, bis dieser sich vom Atomgeschäft verabschiedet. Im April 2009 starteten wir zudem eine Mailingaktion gegen die Rosatom-Pläne, die an den Konzernchef Löscher gerichtet war. Mit Erfolg, muss jetzt festgestellt werden. Damals schrieben hunderte Atomkraftgegner: „Ich fordere Sie und Ihr Unternehmen auf, sich an keinen neuen Atomkraftwerksprojekten zu beteiligen!“
Quellen (Auszug): news-yahoo.de, spiegel.de, handelsblatt.de; 18.09.2011