In Gorleben wurde gemauschelt
Wann, von wem und warum wurde Gorleben als Standort für ein Atommüllendlager ausgewählt? Mit dieser Frage quälen sich die Abgeordneten den Bundestags-Untersuchungsausschusses seit eineinhalb Jahren. Bei der Entscheidung über den Endlagerstandort Gorleben hat Niedersachsen offenbar bewusst die Unwahrheit gesagt. Das geht aus neu aufgetauchten Akten hervor. Atomkraftgegner sehen ihren Verdacht, dass nicht Wissenschaft sonden allein Wirtschaftlichkeit entscheidend war, erneut bestätigt und fordern das sofortige Ende von Gorleben.
Ob schwarz/gelb auch nach dieser Offenbarung weiter an dem Salzbergwerk im Wendland festhält, ist fraglich. Vertrauliche Dokumente der damaligen Landesregierung stützen laut tageszeitung die Vorwürfe der Opposition, dass nicht nach fachlichen sondern nach wirtschaftlichen Kriterien eine Standortauswahl stattfand. Gorleben war kurzfristig durchgedrückt worden, weil dort mit wenig Widerstand gerechnet wurde. Die Akten aus dem Jahr 1976 belegen nicht nur, in welch kurzer Zeit Gorleben durchgedrückt wurde; sie zeigen auch, dass das Land die Öffentlichkeit offenbar bewusst getäuscht hat.
Walter Leisler Kiep, der vor allem durch seine Rolle in der CDU-Spendenaffäre in Erinnerung geblieben ist, war 1976 Wirtschaftsminister in Niedersachsen. Er war dabei, als Gorleben urplötzlich als neuer Standort auftauchte und dann vom Land Niedersachsen in kurzer Zeit als einzige Option nominiert wurde. Gestern musste er vor dem Untersuchungsausschuss im Bundestag aussagen.
Aus seinen Tagebüchern geht hervor, dass am 8. November 1976 in einer vertraulichen Kabinettsvorlage des von Leisler Kiep geführten Wirtschaftsministeriums lediglich die drei ursprünglich ausgewählten niedersächsischen Salzstöcke (Wahn, Lichtenmoor und Lutterloh) auftauchten. Bei einem Ministergespräch am 11. November wurde Gorleben dann erstmals von Leisler Kiep ins Gespräch gebracht. Laut seinen Tagebuchaufzeichnungen schreibt Kiep, er habe „seinen Gedanken“ zum Standort Lüchow-Dannenberg bei einem Treffen von drei Bundesministern und dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) erfolgreich eingebracht. Albrecht äußerte damals die Absicht, mit Gorleben „die Ostzonalen“ so richtig ärgern zu wollen. Kiep konnte sich im Untersuchungsausschuss selbst nicht mehr erinnern, ob er den Standort Gorleben ins Spiel gebracht habe. Kurz vor der Sitzung am 11. November 1976 habe er sich aber nach eigenen Aufzeichnungen mit einem Vertreter der Atomindustrie getroffen. Warum er sich damals für Gorleben stark machte, konnte der CDU-Politiker aber auch nicht sagen: „Ich glaube aber nicht, dass der Gedanke von der Industrie kam.“
Eine nur kurz danach entstandene Notiz aus der niedersächsischen Staatskanzlei legt dann einen detaillierten Plan für das weitere Vorgehen vor: Um Gorleben durchzusetzen, sollte das Ministerium „rein theoretisch weitere Standorte (3 + L/D + X)“ ermitteln: die drei bekannten Salzstöcke plus Lüchow-Dannenberg plus weitere.
- Die weiteren Standorte sollten offenbar nur zur Vortäuschung eines neuen Auswahlverfahrens dienen. Für die Außendarstellung sollte laut Kabinettsvorlage eine „objektive, synoptische Gegenüberstellung“ enthalten sein, doch intern war klar: „Kabinett wird politisch Vorentscheidung treffen“ – wobei „strengste Vertraulichkeit“ gewahrt werden sollte. Als Zeitrahmen wurden „drei Wochen“ vorgegeben.
Union und FDP halten nach den bisherigen Zeugenaussagen daran fest, dass es ein geordnetes Untersuchungsverfahren gab.
Schwarz/gelb hält an einem „Dialog-Verfahren“ zur Durchsetzung von Gorleben fest. Mit wenig Erfolg. In mehreren Anzeigen im Wert von 92.000 Euro wurden Bürgerinnen und Bürger zur Teilnahme am umstrittenen Dialog aufgefordert – bislang sind nach Medienberichten aber erst 18 Fragen eingegangen. Umweltminister Röttgen macht aber weiter, u.a. mit massiver Werbung in der Elbe-Jeetzel Zeitung.
Atomkraftgegner fordern, nun endlich reinen Tisch zu machen.
„Nach dieser Offenbarung muss auch einem Umweltminister Röttgen, der am 12. Oktober für die nächste Runde Gorleben-Dialog ins Wendland kommen will, die Absurdität deutlich werden. Es gab kein wissenschaftlich fundiertes Auswahlverfahren sondern den politischen Willen, und der wird gegen alle Zweifel und Beweise bis heute durchgesetzt. Schwarz/gelb klammert sich an einen aussichtslosen Plan, bei dem nachweislich getrickst, manipuliert und getäuscht wurde. Aber eines wurde absolut vernachlässigt: die transparente Information der Öffentlichkeit. Und dafür ist es jetzt zu spät. Kein Euro darf mehr in ein ‚Dialog‘ oder den Salzstock gesteckt werden. Nach dem jüngsten Strahlenskandal im Zwischenlager ist die Gefährdung der Bevölkerung durch die Castor erwiesen. Die Äera Gorleben ist endgültig vorbei – und der schwarz/gelbe Traum von der billigen Entsorgung geplatzt!“
- www.gorleben-akten.de – Originaldokumente zur Standortbenennung und Erkundung des geplanten Endlagers für hochradioaktiven Atommüll im niedersächsischen Gorleben.
- Strahlenwerte in Gorleben seit 2003 zu hoch – Messungen sind gefälscht!
29. September 2011 – Nach Berechnungen von Atomkraftgegnern sind die Strahlengrenzwerte am Atommüllzwischenlager in Gorleben bereits seit 2003 überschritten. Demnach rechne der Betreiber, die Gesellschaft für Nuklearservice (GNS), seit Jahren mit einem falschen Wert für die natürliche Strahlung. Der Nullpunkt sei berechnet worden, als bereits Castoren eingelagert wurden, kritisiert die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI).
- Entscheidung über Castor-Transport nach Gorleben fällt Ende Oktober
22. September 2011 – Das Umweltministerium in Hannover will bis Ende Oktober über die Einlagerung weiterer Castor-Behälter im Zwischenlager Gorleben entscheiden. Das geht aus einem Mittwoch vom Ministerium veröffentlichten Zeitplan hervor. Zur Zeit rollen aber bereits Container für die Polizei durch den Landkreis Lüchow-Dannenberg. Und am 12. Oktober stattet der Umweltminister einen nächsten “Dialog-Besuch” ab.
- Gorleben: Weniger Mädchen und noch mehr Müll
3. September 2011 – Im Umkreis von 35 Kilometern um Gorleben werden seit der Lagerung von Atommüll weniger Mädchen geboren. Die Ursache dafür ist noch nicht bekannt. Aber der Betreiber des Zwischenlagers plant, noch mehr hochaktiven Müll einzulagern als vertraglich nötig.
- Niedersachsen setzt weiter auf Gorleben – Erkundungsarbeiten gehen weiter
14. April 2011 – Die schwarz-gelbe Landesregierung hält trotz eines anders lautenden FDP-Beschlusses am Fahrplan für die Erkundung von zum Atommüllendlager Gorleben fest. Es müsse geklärt werden, “ob sich der Salzstock als Endlager für hochradioaktive Abfälle eignet”, sagte Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) am Donnerstag im Landtag in Hannover. Erst nach weiterer Erkundung könne man eine Eignungsaussage machen. Heute wurde zudem die Klage gegen den Sofort-Vollzug zurückgeweisen.
- Analysiert: Gorlebendialog stockt
2. März 2011 – Die geringe Beteiligung am „Gorlebendialog“ des Bundesumweltministeriums (BMU) zeigt, wie schwer es die Regierung hat, als Dialogpartner akzeptiert zu werden. Die Ergebnisse der Onlinebefragung des BMU sind raus. 324 Personen haben abgestimmt. 5 Nutzer haben den Aufruf kommentiert.
Quellen (Auszug): taz.de, dpa, ; 30.09.2011