Radioaktivität in Tokio knapp unter Evakuierungsgrenze

Gut sieben Monate nach der Atomkatastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima haben die Behörden des Landes laut Medienberichten in der Hauptstadt Tokio radioaktive Strahlung knapp unter dem für Evakuierungen vorgesehenen Grenzwert gemessen. An einer Stelle am Straßenrand im Westen der Stadt betrage die Strahlung 3,35 Mikrosievert pro Stunde, berichtet der Fernsehsender NHK.

Bei einer Hochrechnung entsprechend den Vorgaben des japanischen Wissenschaftsministeriums ergebe dies einen Jahreswert von 17,6 Millisievert. Ab 20 Millisievert (mSv) im Jahr wäre eine Evakuierung des Gebiets erforderlich. Nach dem Super-GAU hatte die Regierung die zulässige Dosis für Kinder auf 20 Millisievert (mSv) pro Jahr hochgesetzt. Dieser Maximal-Dosis dürfen in Deutschland ausschließlich Menschen ausgesetzt werden, die beruflich mit Strahlung zu tun haben. Für die Bevölkerung gilt 1 mSv pro Jahr. In Österreich darf die maximale Jahresdosis von über 6 mSv auch bei Betriebspersonal in Atomanlagen nicht überschritten werden – wobei jährliche ärztliche Untersuchungen vorgeschrieben sind. Der AKW-Betreiber Tepco erhöhte nach dem Unfall die Grenzwerte für Strahlenbelastung der Arbeiter auf 100 Millisievert pro Stunde.

Nach NHK-Angaben wurde die Strahlung einen Meter über dem Boden an einer Hecke gemessen. Andere Stellen auf dem Bürgersteig wiesen demnach niedrigere Werte auf. Die städtischen Behörden in Tokio bestätigten die Angaben nur indirekt. Genaue Gründe für mögliche hohe Strahlungswerte seien nicht bekannt, sagte eine Sprecherin. Experten seien dabei, die Zahlen zu prüfen und das betroffene Gebiet zu dekontaminieren.

Bereits am Mittwoch hatten die Behörden des westlichen Stadtteils bekannt gegeben, in der vergangenen Woche an einer Stelle einen Radioaktivitätswert von 2,7 Mikrosievert pro Stunde gemessen zu haben. Sie wiesen Schulkinder an, den betroffenen Gehweg zu meiden. Das havarierte Atomkraftwerk Fukushima liegt 220 Kilometer von Tokio entfernt.

Wie die Nachrichtenagentur Kyodo berichtet, wurde auch in Yokohama, das insgesamt 250 Kilometer vom havarierten Atomkraftwerk Fukushima Daiichi entfernt ist, radioaktives Strontium nachgewiesen. Mit einem Wert von 195 Becquerel, das in Ablagerungen auf einem Hausdach im Bezirk Kohoku in der Stadt nachgewiesen werden konnte, ist es das erste Mal das radioaktives Material von über 100 Becquerel pro Kilogramm in einer Entfernung von mehr als 100 Kilometer vom AKW Fukushima Daiichi festgestellt wurde. Bei einer Aufnahme etwa durch Einatmung oder Nahrungsaufnahme, lagert sich Strontium in den Knochen ab und kann zu Knochenmarkskrebs und Leukämie führen. Die Belastung mit Cäsium habe 63 Bq/kg betragen. Laut eines Mitarbeiters der Stadtverwaltung habe man mittlerweile an mehr als 2.200 Stellen Strontium gefunden. Bislang hatte die Regierung immer von unter 100 Fundorten gesprochen und darauf beharrt, nur Cäsium könne so weit transportiert werden.

Im Katastrophengebiet rund um das havarierte AKW Fukushima laufen die Dekontaminierungsarbeiten auf Hochtouren. Nach neuesten Berechnungen beläuft sich der Schaden auf etwa 5,7 Billionen Yen (rund 74 Milliarden US-Dollar). Den Berechnungen liegen Angaben über die bislang schwersten Atomunglücke im ukrainischen AKW Tschernobyl und im US-amerikanischen Atomkraftwerk Three Mile Island zugrunde. Die Demontage von vier beschädigten Reaktoren in Fukushima werde 14,9 Milliarden Dollar kosten. 52 Milliarden Dollar seien für Entschädigungen, für die Entseuchung von Böden und sonstige Schritte zur Beseitigung der Havariefolgen bestimmt. Die Bewertung sei aber nicht endgültig. Weil die Kosten für die Dekontaminierung verseuchter Böden immer wieder steige, könnte der Schaden noch höher ausfallen.

In der Region Fukushima müssen sich unterdessen rund 360.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren einer Krebsvorsorge unterziehen: Ärzte begannen mit der medizinischen Untersuchung von Kindern und Jugendlichen in der Region. Unregelmäßigkeiten der Schilddrüse werden untersucht, diese sind wesentlich anfälliger für Krebs als die Organe Erwachsener, wenn sie Strahlung ausgesetzt sind. Bei einer ersten Untersuchung waren insgesamt 130 Mädchen und Jungen bis 16 Jahre auf ihre Schilddrüsenfunktion untersucht worden. Zehn von ihnen wiesen bereits veränderte Hormonwerte auf.

  • Atomkraftgegner forderten bereits wenige Tage nach Beginn der Katastrophe, wenigstens Schwangere und Kinder zu evakuieren. Die japanische Regierung reagierte aber mit der Erhöhung der Grenzwerte.

Quelle (Auszug): news.yahoo.com, spiegel.de, spreadnews.de, ; 14.10.2011