Wie die Atomlobby den Ausstieg aus dem Ausstieg lancierte
Aufwendige Pressereisen, inszenierte Festreden, Einfluss auf Wissenschaftler: Die Atomlobby bereitete die Laufzeitverlängerung durch die schwarz-gelbe Regierung Jahre im Voraus minutiös vor. Die „taz“ veröffentlicht nun interne Dokumente der für die Kampagne zuständigen Agentur. Im Fokus steht das deutsche Atomforum, der Lobbyverein der Atomindustrie.
Es war kein einfacher Auftrag, den die Kommunikationsagentur Deekeling Arndt Advisors (DDA) im Frühjahr 2008 annahm: Sie sollte bis zur Bundestagswahl im September 2009 das Image der Atomkraft aufpolieren und so der Laufzeitverlängerung nach dem erhofften schwarz-gelben Wahlsieg den Weg ebnen. Auftraggeber war das Deutsche Atomforum, eine Lobbygruppe in der die vier Betreiber der hierzulande aktiven Meiler zusammengeschlossen sind: RWE, E.on, EnBW und Vattenfall.
Konkret stellt die taz zwei Dokumente ins Internet, in denen die Agentur ihrem Kunden, dem Atomforum, Strategie und Einzelmaßnahmen der Kampagne skizziert:
- Eine Präsentation vom 12. Dezember 2008, eine Art Zwischenbericht, die die Kampagne bis zu diesem Zeitpunkt analysiert und Empfehlungen für den weiteren Verlauf gibt, sowie
- eine nicht näher datierte Zusammenfassung und Bewertung der Kampagne aus dem Herbst des Jahres 2009.
Es handelt sich um „schlichtweg handwerklich gut umgesetzte Öffentlichkeitsarbeit“, so die taz. Denn versucht haben die PR-Profis offenbar vieles: Von der direkten Einflussnahme auf die Berichterstattung in „reichweitenstarken Medien“ über inszenierte Gastredner-Auftritte bis hin zu einem Auftrag für ein wissenschaftliches Gutachten, bei dem die Zahlung nicht an den Auftragnehmer oder dessen Universität, sondern an die Ehefrau des Wissenschaftlers erfolgen sollte.
Einer der Kernpunkte der Kampagne war die von der Agentur so genannte „Medienoffensive“: So brüstet sich DDA beispielsweise mit der durch „Hintergrundgespräche ermöglichten Platzierung eigener Botschaften in wichtigsten deutschen Tageszeitungen (FAZ, BILD-Zeitung)“. Konkret führen die PR-Profis einen Artikel in der „Bild“-Zeitung vom 8. Juli 2009 unter der Überschrift „Die 7 Wahrheiten über unsere Energie“ auf – hier sei eine Veröffentlichung der atomkraftfreundlichen Thesen erreicht worden.
Tatsächlich illustrierte die „Bild“-Zeitung den Artikel mit einem abgeänderten Anti-Atomkraft-Logo, auf dem statt „Atomkraft, nein danke!“ der Schriftzug „Der Irrsinn mit dem Atomausstieg“ die lachende Sonne umrandete. Gleich daneben durfte RWE-Chef Jürgen Großmann in einem Interview die Sicherheit der deutschen Atommeiler beteuern.
In anderen Fällen will die Lobby-Agentur Berichterstattung verhindert haben. So behauptet sie in ihrer Präsentation wörtlich, sie hätte eine „Verschiebung der bereits geplanten Veröffentlichung weiterer Kinderkrebs-Studie durch Süddeutsche Zeitung auf Zeitpunkt nach Bundestagswahl erreicht“. Am 27. und 28. Januar 2009 führte DDA laut ihrer Präsentation eine Pressereise in die Schweiz durch – das Nachbarland galt damals als besonders atomfreundlich. An der Reise nahmen demnach „16 Journalisten, darunter zahlreiche Key-Journalisten deutscher Meinungsführer-Medien“ teil. Auch einige Interviews mit prominenten Atomkraftbefürwortern wie den VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch oder dem Ex-SAP-Chef Henning Kagermann in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ bzw. der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ („FAS“) will die Agentur gezielt platziert haben. Zudem initiierte die Agentur insgesamt vier Beilagen unter dem Titel „Zukunftsfragen“, die im Zeitraum vom September 2008 bis kurz vor der Bundestagswahl in der „FAS“, der „Welt am Sonntag“ und teilweise auch in der „Bild am Sonntag“ erschienen. Weder der Springer- noch der FAZ-Verlag konnten für eine Stellungnahme erreicht werden.
- Alleine für die Beilagenserie plante DDA ein Budget von mehr als einer Million Euro ein. An Geld mangelte es der Atom-Lobby ohnehin kaum: Insgesamt ergeben sich aus den in den Präsentationen genannten Budget-Posten Kosten von mindestens 3,8 Millionen Euro.
Einen weiteren Kernpunkt der Kommunikationsstrategie war offensichtlich der Einsatz scheinbar unabhängiger Dritter. Laut „taz“ hielt etwa der Zeithistoriker Arnulf Baring nicht nur die Festrede bei der 50-Jahres-Feier des Atomforums am 1. Juli 2009, er ließ sich demnach von der Agentur inhaltlich zuarbeiten und bezahlen. Ein Ökonomie-Professor der Berliner Humboldt-Universität sollte der „taz“ zufolge eine Studie zur „Gesellschaftsrendite der Kernenergie“ anfertigen – allerdings sei das Projekt nicht über der Universität gelaufen, stattdessen sollte das Honorar von 135.000 Euro auf das Konto der Firma seiner Ehefrau fließen. Allerdings erschien die Studie nie – die Agentur nennt in ihrer Bilanzpräsentation unter anderem die „unzureichende Qualität der Ergebnisse“ als Grund, der Wissenschaftler erklärte der „taz“, er sei nicht bereit gewesen, ein „Gefälligkeitsgutachten“ zu schreiben.
Allerdings musste die Agentur auch einige ausgesprochene Pleiten hinnehmen: So wollte sie eigentlich Frauen als „neue Zielgruppe“ besonders intensiv ansprechen. Am Ende mussten die Kommunikationsprofis jedoch resümieren, ihnen sei „trotz intensiver Bemühungen und guter Kontakte keine Platzierung in Frauenzeitschriften“ gelungen. Diesen sei die Verknüpfung von Anzeigenschaltung und redaktionellem Inhalt zu eng gewesen. Eine Abfuhr holte sich die Atomlobby auch an anderer Stelle: „Auftritt bei Deutschem Evangelischen Kirchentag 2009 seitens Veranstalter nicht erwünscht“, führen die Agentur-Profis in ihrer Bilanz auf.
Interessant ist auch, dass das Deutsche Atomforum offenbar nicht jede Gelegenheit nutzen wollte, für die Atomkraft zu werben. So habe die Agentur laut der Präsentation eine Platzierung atomfreundlicher Thesen bei der n-tv-Talkshow „Unter den Linden 1“ ermöglicht. Doch die von der Ex-RTL-Nachrichtenlegende Heiner Bremer moderierte Sendung missfiel den Auftraggebern offenbar: Sie lehnten das Angebot ab.
Atomkraftgegner werfen schwarz/gelb vor, den Atomkonzernen auf dem Leim gegangen zu sein.
„Mit der Entscheidung zur Laufzeitverlängerung hat die millionenschwere Kampagne der Atomlobby vor allen in den Betonköpfen der Unions- und FDP-Politiker gefruchtet“, so Jan Becker von contrAtom. Erst nach dem GAU von Fukushima mussten sie einsehen, dass derartig wirtschaftsfreundliche Entscheidungen mit dem deutschen Demokratieverständnis nicht vereinbar sind. „Nach dieses Veröffentlichungen können wir uns eine direkte Einflussnahme auf damals führende Atom-Politiker wie zum Beispiel Frau Merkel vorstellen. Wir fordern, nachdem die Apokalypse Laufzeitverlängerung zum Glück abgewendet ist, die Debatte um die Zukunft der Atomenergie in Deutschland ehrlich zu führen – dazu gehört auch das Benennen der tatsächlichen Beweggründe zum Weiterbetrieb der letzten neun Meiler und das Festhalten an Gorleben.“
Quelle (Auszug): taz.de, spiegel.de; 29.10.2011