Weltweites Risiko: AKW-Zeitbomben in Erdbebenregionen
Wo die Erde bebt: Atomkraftwerke befinden sich teilweise in riskanter Lage. Das Reaktorunglück von Fukushima vor fast einem Jahr zeigte einmal mehr, dass Atomenergie eine riskante Technologie ist. Besonders groß ist die Gefahr, wenn sich die Reaktoren auch noch in Erdbebengebieten befinden. Atomkraftgegner fordern, die betroffenen Reaktoren umgehend stillzulegen – es sind weltweilt eine ganze Reihe, die faktisch Zeitbomben darstellen!
Es kommt unverhofft und eine Prävention gegen die massiven Naturgewalten ist nur schwer möglich. Die Betreiber von Atomkraftwerken schützen ihr Anlagen mit Bauteilen, die Schwingungen durch Erdstösse kompensieren sollen, damit keine Kühlwasserleitungen bersten, Anlagenteile einstüzen oder außer Betrieb gesetzt werden.
- Doch am Ende ist es ein Spiel mit dem Feuer, denn die Auslegung der Reaktoren ist eine Abwägung zwischen technischer Machbarkeit, Risikoeinschätzung und Wirtschaftlichkeit. Versagen die Schutzmechanismen – wie in Fukushima – kommt es zur nuklearen Katastrophe.
Im Mai 2008 entging China knapp einem GAU: In der Provinz Sichuan, in der mehrere Nuklearanlagen stehen, kam es zu einem schweren Erdbeben der Stärke 7,9. Auch nach der Katastrophe von Fukushima hält China an den AKW-Ausbauplänen fest.
Der Inselstaat Taiwan liegt wie Japan auf einem Vulkangürtel, dem pazifischen Feuerring. In diesem Gebiet gibt es immer wieder Tsunamis und Erdbeben, 18 500 gefühlte und ungefühlte Erdbeben werden im Jahr in Taiwan registriert. Die Entfernung der zwei betagtesten Atomkraftwerke Taiwans, beide um die 30 Jahre alt, beträgt weniger als 30 Kilometer zur Hauptstadt Taipeh, einem Ballungsraum mit mehr als zehn Millionen Menschen. Nahe an den Jinshan und Guosheng genannten Anlagen verläuft eine Erdbebenspalte. 1867 rollte eine Flutwelle über genau den Bereich, in dem sich die Reaktoren befinden. Beide Kraftwerke wurden in der selben Ära errichtet wie das japanische Unglückskraftwerk Fukushima. Doch während in Japan 2007 die Sicherheit gegen Erdbeben durch neue Maßnahmen erhöht wurde, blieb bei den Anlagen in Taiwan alles auf dem alten Stand. Maanshan, Taiwans drittes Kraftwerk, liegt in einem dicht bebauten Tourismusgebiet und ebenfalls gefährlich nah an einer aktiven Erdbebenspalte. Bis zu siebzig Unterwasservulkane, darunter elf aktive, liegen nach Einschätzung des Geologen Lee Chao-shing im Umkreis von 80 Kilometern um das vierte AKW in Longmen – mehr als um irgendein anderes Atomkraftwerk auf der Welt. Dessen erster Reaktor ist erst 2011 fertiggestellt worden, Block 2 befindet sich in Bau.
In Indien soll die leistungsstärkste Nuklearanlage der Welt gebaut werden – mitten in erdbebengefährdeter Region. Der französische Areva-Konzern ist beauftragt, sechs „Europäische Druckwasserreaktoren“ in Jaitapur an der Ostküste des Landes, rund 300 Kilometer südlich der Hauptstadt Mumbai zu installieren. Von 1985 bis 2005 gab es dort rund 90 Erdbeben. Das stärkste Beben ereignete sich 1993. Damals wurde ein Wert von 6,3 auf der Richterskala gemessen.
Das Atomkraftwerk Cofrentes in Spanien liegt direkt auf einer Erdbebenlinie. Auch der Meiler im slowenischen Krsko stellt ein Sicherheitsrisiko dar. Nur 100 Kilometer entfernt ereignete sich im Jahr 2004 ein Erdbeben der Stärke 5. Der Reaktor blieb damals glücklicherweise unbeschädigt.
Das Atomkraftwerk Mezamor in Armenien ist nicht nur wegen des hohen Erdbebenrisikos eines der gefährlichsten in Europa. Bei einem Beben der Stärke 6,9 mussten im Dezember 1988 die zwei Blöcke russischer Bauart abgeschaltet werden. Block 1 wurde in der Folge endgültig stillgelegt.
Im Hinblick auf Erdbeben befindet sich auch der Iran in einer ungünstigen Lage: 2010 wurde das erste AKW in Betrieb genommen – im Süden und im Westen des Landes stoßen die Arabische und die Eurasische Platte aufeinander.
In Bulgarien wird mit deutscher Hilfe seit Jahrzehnten an dem AKW-Projekt Belene gebaut. Das Gebiet wurde 2009 von einem Beben der Stärke 5,3 heimgesucht. Forscher gehen davon aus, dass hier Beben einer Stärke bis zu 8,5 möglich sind. Der deutsche Energiekonzern RWE plante eine Beteiligung – trotz der bekannten Risiken. Auch Indonesien will den Einstieg in die Atomkraft. Das Land ist jedoch stark gefährdet durch Beben und Tsunamis.
Die Türkei möchte ein erstes Atomkraftwerks in Akkuyu bauen. In der Region ereignete sich 1999 ein Erdbeben der Stärke 7,8 – 20.000 Menschen wurden getötet. Der Bauplatz befindet sich knapp 25 Kilometer von einer Erdbebenspalte entfernt. In der Türkei bebt die Erde weltweit am häufigsten.
Das pakistanische AKW Karatschi liegt am Arabischen Meer, in einer Region, wo die Indische und die Arabische Erdplatte kollidieren.
Mit den AKW San Onofre und Diablo Canyon befinden sich zwei der 104 amerikanischen Reaktoren unmittelbar im kalifornischen Erdbebengebiet und sind aufgrund ihrer Lage am Meer auch den Gefahren eines Tsunamis ausgesetzt. Nach einem Erdbeben ist am 23.08.2011 war die externe Stromversorgung des Atomkraftwerks North Anna im Osten der USA ausgefallen. Die 2 Reaktoren mussten über Notstromaggregate mit Energie zur Kühlung versorgt werden. Das AKW North Anna liegt knapp 40km vom Epizentrum des mit 5,9 stärksten Bebens seit langem entfernt. Von dem Erdbeben waren noch zwei weitere Reaktoren des AKW Surry betroffen, insgesamt wurden aus 7 Atomkraftwerken Störfälle gemeldet.
Das einzige AKW in Mexico befindet sich in Laguna Verde, das direkt am Meer liegt. An der Ostküste treffen die Pazifische und die Nordamerikanische Kontinentalplatte aufeinander, deshalb kommt es in der Region auch immer wieder zu schweren Beben.
Direkt an der deutschen Grenze befindet sich am Hochrhein das französische AKW Fessenheim. Fessenheim ist laut Betreiber für Erdbeben bis zur Stärke 6,7 ausgelegt. Dabei wird aber davon ausgegangen, dass das Epizentrum gut 30 Kilometer weiter südlich bei Basel liegt. In der Region um die ältesten Reaktoren im Land sind Erdstöße bis zu einer Stärke von 7,5 möglich – und die Sicherheit der zwei alten Meiler mangelhaft. Auch der Standort Chooz liegt in seismisch aktivem Gebiet. Entlang des Hochrheins hat auch die Schweiz ein Atomkraftwerke gebaut: Leibstadt. Nach Angaben der Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats soll der Atommeiler bis zu einem Erdbeben der Stärke 7 sicher sein. In der ebenfalls betroffenen Region Benken soll ein unterirdisches Atommülllager gebaut werden. Am 5. Mai 2009 hat ein Erdbeben mit mit der Stärke 4,5 die Region Hochrhein erschüttert. Das Epizentrum lag nur etwa 35 km Luftlinie vom schweizer AKW Leibstadt und vom französischen AKW Fessenheim entfernt.
In Brasilien soll mit Hilfe einer deutschen Hermesbürgschaft Block 3 des AKW Angra fertiggestellt werden. Schon die zwei in Betrieb befindlichen Reaktoren sind erdbebengefährdet, zudem drohen Erdrutsche.
Die Gefahr durch Erdbebens ist für deutsche Atomkraftwerke vergleichsweise gering, da Deutschland direkt auf einer Kontinentalplatte liegt. Doch gerade im Südwesten der Republik können Beben auftreten. Das Atomkraftwerk Neckarwestheim zum Beispiel steht in einem Erdbebengebiet. Block 1 wurde nach Fukushima stillgelegt, Block 2 darf aber noch bis 2022 laufen. Die beiden stillgelegten Blöcke des AKW Biblis befindet sich zwar nicht unmittelbar in der gefährlichen Zone, doch auch hier wurden schon Beben der Stärke 3,4 gemessen. Experten bezeichnen das Erbebenrisiko in Deutschland zwar als überschaubar, dennoch kommt es bei uns etwa alle zehn Jahre zu einem Beben der Stärke 5,1 auf der Richterskala. Daher schreibt der Kerntechnische Ausschuss (KTA) vor, dass deutsche Nuklearanlagen Belastungen standhalten müssen, die über die Stärke eines Erdbebens, die Forscher für das jeweilige Gebiet erwarten, hinausgehen.
Der Geowissenschaftler Eckhard Grimmel vom Hamburger Institut für Geografie sagte im März 2011, dass ein Blick in die länger zurückliegende Geschichte zeige, dass mit wesentlich stärkeren Erdbeben gerechnet werden müsse, als dies bei der Planung der deutschen Atommeiler geschehen sei. Deutsche Atomkraftwerke würden seiner Ansicht nach mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit historischen Beben in Mitteleuropa, wie beispielsweise dem Beben von Basel im Jahr 1356 nicht standhalten. Entlang des Rheingrabens hat es Beben gegeben, die auf der Richterskala die Marke 6 überschritten hätten.
- 24.02.2012 – Einmal im Monat wackelt es im Südwesten spürbar
Die Erdbebengefahr zwischen Rhein und Schwäbischer Alb wird landläufig unterschätzt – Katastrophale Erschütterungen sind möglich – mehr
Ein positives Beispiel die Geschichte des Reaktors Mülheim-Kärlich bei Koblenz, der auf gefährlichem Boden steht. Nach Gerichtsprozessen durfte die Anlage trotz Fertigstellung nie in Betrieb gehen, weil das Erdbebenrisiko nur unzureichend berücksichtigt worden war. Auch das Atomkraftwerk Bataan in der gleichnamigen philippinischen Provinz wurde nie in Betrieb genommen. Es wurde zwar schon vor 20 Jahren fertiggestellt, liegt aber mitten im Erdbebengebiet, direkt am Fuße eines Vulkans.
Die Reaktoren in Fukushima waren für ein Beben der Stärke 8,0 bis 8,3 ausgelegt worden. Das Erdbeben am 11. März hatte aber die Stärke 9.
Atomkraftgegner fordern ein Ende für die nuklearen Zeitbomben:
„Die Anlagen laufen weltweit zugunsten des Profits der Betreiber. Und die nächste Katastrophe kann nicht ausgeschlossen werden. Es darf nicht sein, dass sich jederzeit ein schwerer Unfall ereignen kann bzw. dieser sogar durch die Wahl des Bauplatzes fahrlässig in Kauf genommen wird. Die Last eines GAU trägt die gesamte Menschenheit, denn Radioaktivität kennt keine Grenzen – und kann schon in geringen Dosen töten.
Auch Deutschland darf die Gefahr nicht weiter verschleiern und muss wegen der Erdbebengefahr mindestens Block 2 des Atomkraftwerks Neckarwestheim sofort stilllegen. Außerdem muss auf alle betroffenen Staaten Druck ausgeübt werden, die erdbebengefährdeten AKW-Projekte zu beenden. Hermesbürgschaften für Risiko-AKW sind grundsätzlich absurd und gehören verboten!“
- Atomkraftwerke in der Türkei sind unverantwortlich: geplantes AKW Akkuyu liegt nur 25 Kilometer neben einer Erdbebenspalte
26. Oktober 2011 – Atomkraftwerke im Erdbebenland Türkei sind allein schon aus tektonischen Gründen nicht zu verantworten. Statt um Verantwortung und Sicherheit geht es beim geplanten Bau von AKW im türkischen Akkuyu um machtpolitische Interessen. Die internationalen Proteste müssen dringend verstärkt werden.
- Freisetzung aus Fukushima-Reaktoren schon unmittelbar nach dem Erdbeben
25. Oktober 2011 – Nach Angaben der Atomlobby hätten die Fukushima-Reaktoren das Erdbeben schadlos überstanden und seien erst durch den Tsunami zerstört worden, so dass es zur Kernschmelze kam. Eine internationale Studie widerlegt diese Annahmen und lässt an der Erdbebensicherheit aller Meiler zweifeln: Schon das Erdbeben hat die Reaktoren von Fukushima zerstört, so dass es zur Freisetzung von Radioaktivität gekommen ist.
- Schwarz/gelb hält an Kredit für brasilianisches AKW fest
23. September 2011 – Es steht in Erdbebenregion, der Katastrophenschutz ist mangelhaft und der Reaktortyp veraltet. Trotzdem verlängert Schwarz-Gelb die Finanzzusage für das im Bau befindliche brasilianische Akw Angra 3. Atomkraftgegner kritisieren die Entscheidung und fordern, das die Regierung zum Atomausstieg stehen muss.
- Erdbebenrisiko in US-Atomkraftwerken unterschätzt
2. September 2011 – Bei dem ungewöhnlich starken Erdbeben in der vergangenen Woche sind 27 mehr als hundert Tonnen schwere Atommüllbehälter im US-Atomkraftwerk North Anna verruscht. Eine Analyse von vorläufigen Regierungsdaten ergab, dass das Erdbeben-Risiko eines ernsthaften Zwischenfalls in amerikanischen AKW erheblich unterschätzt wurde.
- Katastrophale Zustände in russischen AKW
22. Juni 2011 – Ein neuer bisher nicht veröffentlichter Bericht der russischen Atombehörde offenbart wichtige Sicherheitslücken in den Atomkraftwerken Russlands. Konkret geht es um Schutz gegen Naturkatastrophen wie Erdbeben, gegen die die zehn Atomstandorte nur sehr schlecht gesichert sind. Russlands Premier Wladimir Putin hingegen bekräftigt nocheinmal, dass Atomenergie für Russland unverzichtbar ist.
- Keine Laufzeitverlängerung in Taiwan
7. November 2011 – Dass die Erde immer wieder mal bebt, daran haben die Menschen in Taiwan sich gewöhnt. Und an billigen Atomstrom auch. Drei Atomkraftwerke mit sechs Reaktoren sind in Betrieb, ein viertes im Bau. Dabei liegt die Insel von der Größe Baden-Württembergs in einer der am häufigsten von Erdbeben heimgesuchten Regionen der Welt und wird auch von Tsunamis bedroht. Nun hat das Land einen schrittweisen Atomausstieg beschlossen.
Quellen (Auszug): focus.de, teleboerse.de, urgewald.de, handelsblatt.com, spiegel.de, schwaebische.de; 02.03.2012