„Krümmel-Syndrom“ in Brokdorf: Verformte Brennelemente und Trafo-Schaden
Wegen Verformungen an Brennelementen hat sich die Kieler Atomaufsicht während der Revision des Atomkraftwerkes Brokdorf an das Bundesumweltministerium gewandt. In einem Schreiben vom 15. Juli empfahl das Ministerium, die Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) einzuschalten. Das wurde im Rahmen der Trafoprobleme im norddeutschen AKW bekannt. E.ON plant derzeit das Wiederanfahren des beschädigten Kraftwerks mit nur einem Transformator. „Krümmel-Syndrom“ in Brokdorf: Atomkraftgegner haben Proteste angekündigt, denn der Pannenmeiler soll vom Netz bleiben!
Es gehe um Verformungen an bestimmten Brennelementen, bestätigte der Leiter der Kieler Atomaufsicht, Wolfgang Cloosters, am Mittwochabend der Deutschen Presse-Agentur. Solche Probleme seien in Brokdorf schon 2010 aufgetreten, aber auch aus anderen Anlagen in Deutschland seit etwa 2007 bekannt. Schleswig-Holstein habe sich an das Bundesumweltministerium gewandt, damit dieses Problem auf Bundesebene für alle Atomkraftwerke geklärt wird. Denn: Vergleichbare Probleme könnten nach Angaben des Experten auch in Zukunft nicht ausgeschlossen werden.
- „Bei der Revision im Juli war festgestellt worden, dass es an einzelnen Brennelementen im Rahmen eines zulässigen Toleranzbereiches Verformungen gab“, erklärte Cloosters. Das könnte Einfluss haben auf die sogenannten Fallzeiten von Steuerelementen, die bei einer Schnellabschaltung in die etwa 4,80 Meter langen Brennelemente ohne jede Störung hinunterfallen müssen. „Die Messungen der Fallzeiten in Brokdorf lagen alle im Toleranzbereich – sonst hätten wir ein Wiederanfahren nicht erlaubt“, sagte Cloosters weiter. Nach Angaben einer Sprecherin des Betreiberkonzerns Eon handelte es sich um „minimale Abweichungen“.
Ein ungeheuerliches Spiel mit dem Feuer finden Atomkraftgegner. Denn wenn die Verformungen der Brennelemente im Leistungsbetrieb weiter vorschreiten, könnte die volle Funktion des Notabschaltsystems nicht mehr gewährleistet sein.
„Es liegen offenbar mögliche Sicherheitsdefizite vor – und weder Atomaufsicht noch Betreiber handeln. Parallel brennt ein Trafo durch, obwohl die sogenannten Experten während der Revision keine Mängel gefunden hatten. Im AKW Brokdorf setzt sich das fort, was in Brunsbüttel und Krümmel für die endgültige Stilllegung gesorgt hatte: eine beispiellose Pannenserie. Der Mythos der neuen, sicheren AKW, die nach dem Atomausstieg teilweise noch mehr als zehn Jahre laufen sollen, krank gewaltig!“, so Jan Becker von contrAtom.
Kritik ist aber auch aus ganz anderer Perspektive angebracht: „Eon informiert die Öffentlichkeit nur dann über Probleme im Kraftwerk, wenn sie wegen ‚meldepflichtiger Ereignisse‘ gesetzlich gezwungen werden. Den gleichen Fehler hat Vattenfall 2007 und 2009 bei den Störfällen in den AKWs Krümmel und Brunsbüttel gemacht – und wurde mit deren Stilllegung und Kundenschwund abgestraft.“
Aber selbst die Atomaufsicht stellt die Anlagensicherheit in Brokdorf in Frage: In einer Antwort der schleswig-holsteinischen Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen zur Revision 2011 in Brokdorf wurde mitgeteilt, „dass die Gewährleistung der Abschaltsicherheit des Reaktors durch zusätzliche wiederkehrende Prüfungen nach vier und acht Monaten erneut nachzuweisen ist“. Eine vergleichbare Auflage habe es bereits nach der Revision 2010 gegeben.
Inzwischen steht fest, dass der defekte Transformator nicht mehr reparabel sei und ausgetauscht werden müsse. Die Ursache des Defekts sei aber immer noch nicht geklärt. E.on plant derzeit die Wiederinbetriebnahme des beschädigten AKW mit nur einem Maschinentransformator. Bis Freitag solle eine Entscheidung vorliegen. Die Kieler Atomaufsicht vermutet hingegen, dass eventuell auch der zweite Transformator durch den Zwischenfall Schaden genommen hat. Jetzt müsse „zunächst die Ursachenklärung im Vordergrund“ stehen.
Laut Eon würde der verbliebene funktionsfähige Transformator technisch ausreichen, um den Reaktor mit halber Leistung zu fahren. Eine atomrechtlich mögliche Lösung, mit der Vattenfall aber schon Mitte 2007 gescheitert war: Nach dem Brand des Trafos sollte auch Krümmel mit nur einem Stromwandler ans Netz gehen. Nach weiteren Störfällen folgte aber ein Stillstand, der 2011 dann in der endgültigen Stilllegung endete.
- Atomkraftgegner spekulieren, dass wohl einer der fabrikneuen Maschinentrafos aus dem AKW Krümmel, die dort zwar angeliefert und eingebaut aber nie in Betrieb gingen, in Brokdorf installiert werden könnte. Dafür wäre ein Transport aus Krümmel nach Brokdorf nötig, der nur mithilfe eines Binnenschiffs erfolgen kann. Dieser Prozess könnte Monate dauern. „Wir werden uns dem Wiederanfahren des AKW Brokdorf entgegenstellen“ kündigen Atomkraftgegner an.
Auch aus Schleswig-Holstein kommt Kritik: „Reicht ein Transformator allein nicht aus, um das Kraftwerk voll funktionsfähig zu halten, dann muss Brokdorf eben vom Netz bleiben, bis es wieder ordnungsgemäß funktioniert“, sagte der umweltpolitische Sprecher der Landtagsfraktion des Südschleswigsche Wählerverband (SSW).
Proteste am 01. September
Am 1. September will der Betreiber E.on das 25 jährige Betriebsjubiläum feiern. Brokdorf ist im Herbst 1986 als weltweit erster Atomreaktor nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl in Betrieb genommen worden. Ein regionales Bündnis, initiert von der Anti-Atom-Initiative im Kreis Pinneberg, ruft für den 1. September ab 16 Uhr zu Gegenaktionen und einer Infoveranstaltung (18.30 Uhr) direkt vor dem AKW auf.
- Brokdorf bleibt wahrscheinlich noch Wochen vom Netz
9. August 2011 – Das Atomkraftwerk Brokdorf wird wahrscheinlich noch einige Wochen vom Netz bleiben. Der defekte Transformator muss vermutlich ausgetauscht werden, so Betreiber Eon. Erinnerungen an das Trafo-Drama um das AKW Krümmel werden wach.
- Notabschaltung im AKW Brokdorf
8. August 2011 – Zu einer “unplanmäßigen Abschaltung” kam es gestern morgen im Atomkraftwerk Brokdorf. Ein Defekt an Transformatoren sorgte für den Stillstand, der laut Betreiber E.on keine Gefahr darstellt. Brokdorf ist kürzlich erst nach umfangreichen Wartungsarbeiten wieder in Betrieb.
- Atomausstieg? Die Wahrheit Teil 22: Sind die “neueren” AKW sicherer?
3. August 2011 – Deutschland steigt aus. Bis 2022 sollen in einem Stufenplan alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden, das erste bereits 2015. Schwarz/gelb feiert das eigene Einknicken im Fortbestand der Atomenergie als Erfolg, rot/grün stimmt mit dem Argument “alternativlos” zu. Die “neueren” Atomkraftwerke dürfen teilweise noch mehr als 10 Jahre laufen. Doch sicher sind die auch nicht. Diesen Beitrag weiterlesen »
Quellen (Auszug): dpa, news.yahoo.com; 11.08.2011