Atomausstieg? Die Wahrheit Teil 13: Uran für deutsche AKW zerstört Lebensgrundlagen
Deutschland steigt aus. Bis 2022 sollen in einem Stufenplan alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden, das erste bereits 2015. Schwarz/gelb feiert das eigene Einknicken im Fortbestand der Atomenergie als Erfolg, rot/grün stimmt mit dem Argument “alternativlos” zu. Doch der Brennstoff für deutsche Atomkraftwerke zerstört in den Herkunftsländern die Zivilisation und Umwelt.
Von wo bezieht Deutschland das Uran für die Atomkraftwerke? Ganz klar ist das nicht. Denn Frankreich, einer der wichtigsten Lieferanten, ist selbst nur Zwischenhändler – möglicherweise für Brennstoff aus Niger. Die Bundesregierung hält genauere Informationen über die Herkunft dennoch für überflüssig: In Antworten auf parlamentarische Anfragen der Grünen und der Linken verweigert die Regierung genaue Angaben darüber, wie viel Nuklearbrennstoff aus Lieferländern wie Niger oder Kasachstan stammt.
- Größte Lieferanten für Uran sind Frankreich und Großbritannien: 2009 lieferte Frankreich 44 Prozent, 2008 sogar 55 Prozent. Weitere 30 beziehungsweise 22 Prozent kamen aus Großbritannien.
Doch der Rohstoff wird in diesen Ländern nicht abgebaut, sondern nur aufbereitet und zwischengehandelt. Die Bundesregierung schreibt, genauere Informationen über die Herkunft seien „nicht erforderlich und nicht verfügbar“.
Uranabbau im Niger
Expertenschätzungen zufolge bezieht das Lieferland Frankreich ein Viertel seines Urans aus Niger. Frankreich war dort bis 1960 Kolonialmacht, noch vor der Unabhängigkeit des afrikanischen Landes gründeten die Franzosen in dem Land die erste Minengesellschaft, der Atomkonzern Areva schürft seitdem in Afrika.
Doch reich geworden ist Niger durch seine großen Uranvorkommen nicht, ganz im Gegenteil – der Staat zählt zu den ärmsten der Welt. In Niger bestehen Armut und Reichtum in krasser Weise nebeneinander. Die überwiegende Mehrheit lebt in existenzieller Armut und muss zusehen, wie die Gewinne aus der Nuklearindustrie von Wenigen abgeschöpft werden. Das ist einer der Gründe für die politische Instabilität der Region, die seit Jahren auch von Gewalt gezeichnet ist. Die Tuareg forderten einen höheren Anteil an den Gewinnen aus dem Uranabbau. 10 bis 15 Prozent davon sollten verwendet werden, um den dünn besiedelten Norden des Landes zu entwickeln: um Schulen, Straßen und Krankenhäuser zu bauen. Außerdem forderten sie Arbeitsplätze und eine stärkere Vertretung von Tuareg in den zentralen Funktionen des Staates: in Armee, Verwaltung, Politik. Nach fünf Jahren gewalttäiger Auseinandersetzung versprach die Regierung, sie werde die Forderungen erfüllen, und beide Seiten unterzeichneten einen Friedensvertrag. Doch der Norden kam nicht zum Erblühen, stattdessen wuchs dort die Enttäuschung. Seit Febuar 2007 wurden mehrfach AREVA und chinesische Bergbauunternehmen direkt angegriffen und Arbeiter entführt.
In Niger sind die Auswirkungen des Uranabbaus besonders deutlich: Notwendige Sicherheitsmaßnahmen – wie zum Beispiel Atemschutzmasken für Minenarbeiter – sind jahrzehntelang missachtet worden. Radioaktiver Abraum wird unter freiem Himmel gelagert. Mit dem Wind wird der Staub davongetragen.
Die Tagebaumine ist ein gigantisches Loch in der Erde: Bis zu 80 Meter tief haben sich die Menschen in die Tiefe gesprengt, um an die uranhaltigen Schichten zu kommen. Staubwolken steigen auf: nach jeder Sprengung und jedes Mal, wenn ein Bagger seine Schaufel über einem der riesigen Lkw entlädt. Betrieben wird die Mine seit rund 40 Jahren von einer Tochterfirma des staatlichen französischen Nuklearkonzerns, der früher Cogema hieß und heute AREVA heißt. Der Staat Niger hält an der Firma knapp 40 Prozent der Anteile.
AREVA wird im Jahr 2013 in einer weiteren Mine Nigers Uran fördern. Sie wird zu den größten weltweit gehören: 5000 Tonnen Uran sollen dort jährlich ausgebeutet werden. Viel mehr, als derzeit in den beiden bereits bestehenden Minen zusammen. Insgesamt will Niger seine Förderleistung in den kommenden Jahren auf jährlich 10.500 Tonnen erhöhen. Der Wüstenstaat würde damit der größte oder zweitgrößte Exporteur der Welt.
Im November 2009 hat Greenpeace, in Zusammenarbeit mit dem unabhängigen französischen Labor CRIIRAD und einer Umweltorganisation aus Niger, in den Städten Arlit und Akokan im Norden Nigers Untersuchungen durchgeführt. Die Ergebnisse sind schockierend. Durch den frei herumwehenden Uranstaub aus den Tagebauminen und von den Müllhalden sind Luft, Wasser und Boden teilweise stark verseucht. Bei vier von fünf Wasserproben aus der Umgebung von Arlit, nur wenige Kilometer von einer Mine entfernt, liegt die Urankonzentration höher als der WHO-Grenzwert für Trinkwasser zulässt. Im benachbarten Akokan liegen die Strahlungswerte 500-fach höher als die normalen Hintergrundwerte in der Umgebung. 80.000 Menschen sind durch die radioaktive Belastung gefährdet.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat kürzlich an den Vorsitzenden der Ethikkommission für den Atomausstieg, Klaus Töpfer, appelliert, sich bei der Bundesregierung für eine Offenlegung der Herkunft des in Deutschland genutzten Urans einzusetzen.
„Wenn die Bundeskanzlerin eine Ethikkommission einberuft, um über den Atomausstieg zu beraten, dann ist es nur folgerichtig, sich auch mit ethischen Fragen des Uranbergbaus zu beschäftigen.“ Denn ohne Uran aus Übersee würden die deutschen Atomkraftwerke schon lange stillstehen, so der GfbV.
Vor allem Ureinwohner sind vom Uranbergbau massiv betroffen. Denn die meisten Uranminen liegen auf dem Land von indigenen Völkern: von Tuareg in Niger, Aborigines in Australien, Indianern und Inuit in Kanada, Indianern in den USA und Adivasi in Indien. Rücksichtslos wird der lukrative Rohstoff abgebaut, ohne die Arbeiter und Anwohner über die Gefahren des Bergbaus zu informieren und vor den katastrophalen gesundheitlichen Folgen angemessen zu schützen.
- Die Energiewirtschaft hat kein Interesse an einer Offenlegung der Herkunft des Urans, da sie möglichst kostengünstig produzieren möchte.
Während sich die Bundesregierung ihrer Verantwortung entzieht, nehmen unter den Ureinwohnern nahe der Uranminen Leukämie, Haut- und Lungenkrebs stark zu. Wer Atomenergie nutzt, muss sich auch zu seiner Verantwortung für die Opfer des Atomkreislaufs bekennen!
- Kurzfilm über Uranabbau und Umweltrassismus: Indigene Uran-AktivistInnen aus dem Niger, Namibia und den USA berichten über ihr Leben mit den tödlichen Hinterlassenschaften von Uran – http://strahlendesklima.de/augenhoehe/
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Quellen (Auszug): spiegel.de, epo.de, dradio.de; 06.07.2011