Biblis, Neckarwestheim und Philippsburg werden abgerissen – was fehlt ist ein Konzept

Es werden endlich Fakten geschaffen: die AKW Betreiber RWE und EnBW haben Anträge gestellt, die stillgelegten Atommeiler Neckarwestheim-1, Philippsburg-1 und Biblis A und B abzureissen. Es wird Jahrzehnte dauern, bis tausende Tonnen Schutt und radioaktiver Abfall entsorgt sind. Denn es fehlt ein Konzept, mehr als ein Jahr nach der Stilllegung ist bei keiner der atomrechtlich zuständigen Landesbehörden ein konkretes Stilllegungskonzept eingegangen. Und die Sicherheit bleibt auf der Strecke.

Protestplakat am 10.08.2010 vor der GKSS

Protestplakat am 10.08.2010 vor der GKSS

Sowohl „sicherheitstechnische als auch ökonomische Aspekte“ hätten für den unmittelbaren Rückbau und damit gegen den sogenannten sicheren Einschluss gesprochen, begründet EnBW die Entscheidung für den Abriss seiner abgeschalteten Meiler in Neckarwestheim und Philippsburg. Damit wird abgerissen – und nicht für Jahrzehnte eingemauert. Der Konzern plant damit aber für die „nächsten Jahrzehnte“. Allein die sog. Nachbetriebsphase wird mehrere Jahre dauern, während der erst Komponenten entfernt werden, vor allem aber das radioaktive Inventar des Reaktors durch das Entfernen der Brennelemente erheblich reduziert wird. Diese Zeit will der Konzern für Vorbereitungen für die Rückbauarbeiten nutzen: Als erstes sollen die Antragsunterlagen für die ersten erforderlichen Genehmigungen des direkten Abbaus der Anlagen erstellt werden. In Neckarwestheim hat EnBW mit den ersten sichtbaren Arbeiten Ende Juni begonnen: Mit dem Abbau der Zellenkühltürme wurde die Abschaltung unumkehrbar. Da sich die Kühltürme nicht im nuklearen Bereich der Anlage befinden, musste keine atomrechtliche Genehmigung bei der Aufsichtsbehörde einholt werden, sondern lediglich ein Bauantrag gestellt werden.

RWE hat am 6. August 2012 beim Hessischen Ministerium für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zwei Anträge zu Stilllegung und Rückbau des Kernkraftwerks Biblis – getrennt nach Block A und B – eingereicht. Auch diese Meiler sollen abgerissen werden, allein die Genehmigungserteilung wird laut RWE mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Mitte 2014 könnte es im öffentlichen Genehmigungsverfahren zu einem Erörterungstermin kommen. Das Ministerium gab als Termin mit Mitte/Ende 2015 an. Ab Erteilung der Genehmigung seien für den Abbau und die Entlassung der Anlage aus dem Geltungsbereich des Atomgesetzes mindestens 10–15 Jahre zu rechnen.

In allen Reaktoren, die nicht vom Brennstoff befreit werden, müssen die aktiven Kühlsysteme und Sicherheitseinrichtungen trotz des abgeschalteten Reaktors in Betrieb bleiben. Für Biblis plant der Betreiber eine Entladung der hochaktiven Brennelemente aus dem Reaktorkern und den Abklingbecken etwa Ende 2014 (Block A) bzw. 2016 (Block B). Sicherheitstechnisch wäre eine schnelle Entladung der bestrahlten Brennelemente in Castorbehälter von großem Vorteil, da dann keine aktiven Kühlsysteme mehr erforderlich wären. Störfälle mit Freisetzungen radioaktiver Stoffe bleiben daher weiterhin möglich. Vor allem in den wenig geschützten alten Siedewasserreaktoren ein nicht hinnehmbares Risiko – denn wegen der geringeren Sicherheitsreserven waren sie zwangsweise abgeschaltet worden.

„Vor Beginn der Stilllegung soll deren Gefahrenpotenzial möglichst weitgehend verringert werden. Bei einem AKW ist hierfür der entscheidende Schritt die Entfernung der Brennelemente“, so Wolfgang Neumann, Reaktor-Experte der INTAC Hannover.

Doch die Betreiber lassen sich für die Reduktion dieser Gefahren Zeit. Es fehlt an Castoren, Endlagern, Richtersprüchen. Behälter für die Brennelemente könnten wegen des „plötzlichen“ Atomausstiegs nicht in ausreichender Zahl gefertigt werden. Tatsächlich werden aber erst noch laufende Meiler versorgt, um deren Betrieb sicherzustellen. Im AKW Krümmel stehen ein Jahr nach dem Atomausstieg nur zwei Castoren zur Verfügung – ausreichend für ein Zehntel aller Brennelemente, die sich noch in Abklingbecken und Reaktor befinden. Weiter führen die AKW-Betreiber die Verzögerung der Inbetriebnahme von Schacht Konrad für schwach- und mittelaktive Abrissabfälle an. Nicht wie geplant 2014, sondern 2019 ist nach heutigen Annahmen damit zu rechnen.

Vattenfall hält sich offenbar sogar ein Comeback seiner maroden Meiler offen: bis zu einer Entscheidung über Schadensersatz für die zwangsweise Stilllegung seiner AKW in Krümmel und Brunsbüttel und ob die 13. Novelle des Atomgesetzes verfassungswidrig ist, soll der Rückbau aufgeschoben werden. Auch das kann Jahre dauern. Derzeit wird in Krümmel die Außenfassade umfangreich saniert.

„Es ist nicht hinzunehmen, dass Konzerne die Jahrzehnte Milliardengewinne mit Atomstrom machten, die Entsorgung verschleppen und die Bervölkerung einem unnötigen Risiko ausgesetzt wird“, so Jan Becker von contrAtom. „Wir fordern von den AKW-Betreibern die sofortige Entladung des Brennstoffs aus den Reaktoren. Die Bundesregierung spricht von Sicherheit, beschert den AKW-Betreibern aber eine möglichst bequeme Zukunft, weil Empfehlungen von Experten ignoriert werden.“

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Quellen (Auszug): nuklearforum.ch, 09.08.2012; manager-magazin.de, 08.08.2012; neues-deutschland.de, 29.06.2012, robinwood.de; 07.08.2012