Die Fingerabdrücke bitte!
„Präventive erkennungsdienstliche Behandlung“, so lautet die Anordnung der Polizeidirektion Lüneburg gegen nunmehr sieben AtomkraftgegnerInnen aus dem Wendland. In zwei Fällen wurde nach einer Beschwerde davon abgesehen, fünf AktivistInnen mussten nach der Ablehnung der Klage gegen den „Sofortvollzug“ vorstellig werden. Größe, Finger- und Handflächenabdrücke wurden aufgenommen, besondere Merkmale aufgeschrieben und zahlreiche Fotos gemacht. Und warum? Damit künftige Ermittlungsverfahren erleichtert werden.
Im mehr als 30 jährigen wendländischen Widerstand gegen die Atomanlagen hat es in der Vergangenheit immer wieder ED-Behandlungen gegeben. Doch diese präventiv durchzuführen hat eine neue Qualität. In den sieben Fällen aus 2011 und 2012 war ein zeitlicher Zusammenhang mit den Atommülltransporten gegeben. Alle Betroffenen spielen dabei eine mehr oder weniger zentrale Rolle und sind seit Jahren im Widerstand aktiv.
Die sog. „Anlasstat“, auf der das staatsanwaltliche Engagement aufbaut, ist bei fünf in 2011 Betroffenen auf Pfingsten 2010 zurückzuführen, als die Zäune des Erkundungsbergwerks überwunden wurden. In den Begründungen zur ED-Behandlung und in der Ablehnung der Klage gegen den Sofortvollzug wird aber auch auf das langjähriges Engagement der Einzelnen verwiesen, bei dem immer wieder die Aufmerksamkeit der Ermittlungsbehörden geweckt wurde. Bei fast allen sind die dort genannten Verfahren allerdings eingestellt, teilweise ohne einen Cent Bussgeld zu zahlen. Weiter unterstellt der Staat den Aktivisten, auch künftig straffällig zu werden. Es geht also gar nicht unbedingt um konkrete Ermittlungsarbeiten, sondern um gezielte Einschüchterung.
Eigentlich gilt vor einer richterlichen Verurteilung jeder Mensch nach dem deutschen Gesetz als unschuldig. Die Schuld, eine Straftat – oder wie bei den Protesten gegen Atomkraft viel häufiger – eine Ordnungswidrigkeit begangen zu haben, muss ihm nachgewiesen werden. Doch im Polizeirecht hat diese Unschuldsvermutung keinen Bestand, dort gilt der „Resttatbestand“ und rechtfertigt damit über präventive ED-Behandlung bis hin zur mehrtägigen Inhaftierung. Eine Lüneburger Aktivistin war im Vorfeld des Castors 2010 davon betroffen.
Vor dem Lüneburger Verwaltungsgericht sind derzeit noch zwei Klagen gegen die ED-Behandlung an sich anhängig. Es soll geprüft werden, ob die Massnahme überhaupt rechtmäßig war. In beiden Fällen ist der Erfolg in Aussicht gestellt – allerdings wohl erst in der nächsten Instanz. Da es sich um ein Grundsatzurteil handelt, das im Namen der Betroffenen verhandelt werden soll, kann es aber wegbereitend sein für alle Aktivisten, auf die solche Massnahmen im Rahmen der „Datensammelwut“ des Staates zukommen könnten.
Bei einem Erfolg vor Gericht würden dann zumindest – oder hoffentlich – alle Informationen aus den staatlichen Datenbanken gelöscht. Der Nebeneffekt ist aber, dass diese Verwaltungsklagen im Verhältnis zu Ordnungswidrigkeiten viel Geld kosten. Allein für das Einreichen der Klage gegen den Sofortvollzug der ED-Behandlung waren 360 Euro fällig. Insgesamt werden sich die Kosten auf einige tausend Euro pro Person belaufen.
- Die Aktivisten sind auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Zweckgebundene Spenden nimmt der EA Wendland entgegen: Konto 129 45 300, BLZ 258 619 90 (Volksbank Clenze-Hitzacker), Stichwort: ED-Behandlung.
„Das ist Staatsversagen!“
Von der „präventiven erkennungsdienstlichen Behandlung“ sind sieben AtomkraftgegnerInnen aus dem Wendland betroffen. Im Interview mit der Gorleben Rundschau spricht ein Betroffener über die Massnahme.
GR: Du musstest im letzten Jahr bereits die Massnahme der Polizei über Dich ergehen lassen. Weshalb wurdest Du vorgeladen?
„Nach der Pfingstaktion in Gorleben hat man mir Rädelsführerschaft, schweren Landfriedensbruch und schwere Sachbeschädigung vorgeworfen. Alle Vorwürfe sind haltlos und das Verfahren heute auch eingestellt. Trotzdem hat die Polizei damals auf die ED-Behandlung bestanden. Obwohl zu dem Zeitpunkt noch nichtmal ein Richter darüber befunden hatte, ob ich schuldig bin oder nicht.“
GR: Wie ist das Gefühl, bei der Polizei die Fingerabdrücke abgeben zu müssen?
„Es ist kein schönes Gefühl, mit dem Bewusstsein, dass die Vorwürfe die einem gemacht werden so gar nicht stimmen trotzdem wie ein Verbrecher behandelt zu werden. Es ist dann eine Mischung aus Wut aber auch Machtlosigkeit vor der Justiz, aber vor der Kaserne in Lüchow waren viele Menschen, die haben mir den Gang leichter gemacht.“
GR: Gab es keine Möglichkeit, sich gegen die Massnahme zu wehren?
„Wir haben alles probiert, haben gegen den Sofortvollzug geklagt – aber verloren. Wäre ich dort nicht aufgetaucht, dann hätte man mich abgeholt. Und die Massnahme selbst zu verweigern tut am Ende nur weh. Aber ich denke das war schon gewollt, kurz vor dem Castortransport im Herbst noch einmal Druck auszuüben.“
GR: Wie geht es jetzt weiter?
„Wir klagen jetzt noch vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg gegen die ED-Behandlung, bis zu einem abschließenden Urteil können zwei bis drei Jahre vergehen. Das Ganze wird oder besser hat schon eine Menge Geld gekostet, da sind wir alle auf Unterstützung angewiesen. Aber wichtig ist, das wir uns von den Massnahmen der Polizei nicht einschüchtern lassen. Würde ich wegen des Drucks mein Engagement im Widerstand einschränken, dann hätte der Staat sein Ziel erreicht. Aber es geht hier doch darum, dass wir uns gegen ein völlig untaugliches Endlagerprojekt wehren, das von der Politik durchgedrückt werden soll. Unsere Rechte werden jeden November mit Füssen getreten. Und nur weil ich mal über einen Zaun gestiegen bin, wirft man mir absurde Sachen vor und behandelt mich wie einen Verbrecher. Das ist Staatsversagen.“
- Präventiv die Fingerabdrücke genommen
22. Februar 2011 – Heute mussten zwei Anti-Atom-Aktivisten im Wendland zur “präventiven ED-Behandlung”, ihre Fingerabdrücke wurden genommen und Lichtbilder angefertigt. Keiner der beiden ist strafrechtlich verurteilt und im Hauptsacheverfahren, das die Rechtmäßigkeit dieser Massnahme klären soll, gibt es noch keine Entscheidung. Wären die zwei heute nicht vorstellig geworden, wären sie mittels Zwang vorgeführt worden.
- Wendland: “Erkennungsdienstliche Misshandlung” – Atomkraftgegner müssen zur Polizei
18. Februar 2011 – Zwei von fünf Atomkraftgegnern, darunter am Ende auch ein Vorstandsmitglied der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI), sind jetzt unwiderruflich aufgefordert, sich zu einer “erkennungsdienstlichen Behandlung” einzufinden. Schon Ende September 2010 erging eine erste Aufforderung an die Fünf. Keiner war je rechtskräftig verurteilt worden, bei einem ist ein Ermittlungsverfahren anhängig.
Text: Jan Becker / contrAtom; erschienen in der Gorleben Rundschau, Ausgabe April 2012