Oettinger will „Pflichtversicherung“ für Atomunfälle
EU-Kommissar Oettinger will die Betreiber von Kernkraftwerken verpflichten, künftig eine Versicherung für Atomunfälle abzuschließen. Die Kommission erwägt im kommenden Jahr einen Regelungsvorschlag vorzulegen. Der weltgrößte Rückversicherer Munich Re kündigt „gewisse Höchstsummen“ an. Atomkraftgegner fordern realistische Deckungsvorsorgen in Höhe von einer Billionen Euro. Das würde Atomstrom so teuer machen werden, dass er unwirtschaftlich wird.
EU-Kommissar Günther Oettinger hat im Rahmen der Vorstellung der Stresstestergebnisse eingeräumt, dass es nicht seine Aufgabe sei, „durch Sicherheitsdumping den Kernkraftstrom billig zu machen“. „Ich bin davon überzeugt, dass gewisse Versicherungspflichten verbindlich europäisch vorgeschrieben werden müssen, damit die Vollkosten für Kernkraftstrom noch mehr einer ehrlichen Vollkostenrechnung entsprechen, als dies bisher der Fall ist“, sagte er am Donnerstagabend in Brüssel. Er fordert von den AKW-Betreibern eine angemessenere Haftpflichtversicherung bzw. „Pflichtversicherung“ für Atomunfälle. Im Frühjahr will er Vorschläge vorlegen.
Heute decken die Haftpflichtversicherung und Deckungsvorsorge aller vier AKW-Betreiber zusammen 2,5 Milliarden Euro ab. Eon hat laut „Frankfurter Rundschau“ eine Versicherung in Höhe von 256 Millionen Euro abgeschlossen, der Rest wird über eine „Solidarvereinbarung“ mit RWE, EnBW und Vattenfall abgedeckt. Darüber hinaus würde „jeder Betreiber unbegrenzt und unabhängig von eigener Schuld für die Folgen eines Unfalls“ haften, so eine Sprecherin des Energiekonzerns E.ON. Geht der Konzern allerdings pleite, muss der Steuerzahler einspringen. E.ON ist aber überzeugt davon, „dass diese Summen für etwaige Schäden ausreichten“. Deutschlands Atomkraftwerke seien „sehr sicher, ein schwerer Unfall sei nach ‚menschlichem Ermessen‘ ausgeschlossen“.
Laut einer Studie von 1992 im Auftrag des FDP-geführten Bundeswirtschaftsministeriums wäre bei einem schweren Kernschmelzunfall in einem deutschen AKW mit Schäden von bis zu 5.500 Milliarden Euro zu rechnen. Eine neue Studie im Auftrag der Versicherungsforen Leipzig aus dem Jahr 2011 errechnete eine Schadenssumme von mindestens 6.090 Milliarden Euro. Die bestehende Haftpflichtversicherung der AKW-Betreiber deckt also selbst im günstigsten Fall nur 0,1 Prozent des finanziellen Schadens ab. Wie teuer Atomstrom sein müsste, wenn Schadensfälle adäquat versichert würden, zeigt die Studie auch: bis zu 2,36 Euro pro Kilowattstunde. Damit wäre Atomstrom im Vergleich zu anderen Energieträgern – vor allem den Erneuerbaren – völlig unwirtschaftlich.
Der weltgrößte Rückversicherer Munich Re sieht neue Geschäftschancen: „Wir werden Überlegungen über erweiterte Versicherungsdeckungen für Nuklearrisiken unterstützen“, sagte Vorstandsmitglied Torsten Jeworrek der „Financial Times Deutschland“. Man könne Nuklearrisiken wegen der immensen möglichen Schäden allerdings nur „innerhalb gewisser Höchstsummen“ tragen. „Aber diese Limits könnten auch deutlich höher sein als bisher“, sagte der Manager.
Den japanischen Energiekonzern TEPCO hat laut Spiegel der GAU der vier Fukushima-Reaktoren bislang etwa 20 Milliarden Euro gekostet. Der Konzern wurde in der Folge des unausweichlichen Konkurses verstaatlicht – die nicht endenden Kosten trägt also die Bevölkerung. Die Staatshilfen für Tepco summieren sich seit Beginn der Atomkrise im März 2011 bis Mitte Mai 2012 auf mindestens 34 Milliarden Euro. Tschernobyl hat bis heute etwa 200 Milliarden Euro gekostet.
Ein Beweis, dass 2,5 Milliarden Euro Vorsorge für den GAU ein „Tropfen auf den heissen Stein“ – und nicht mehr – sind.
„Wir fordern EU-Kommissar Oettinger auf, die Forderung nach einer ‚Pflichtversicherung‘ für deutsche Atomkraftwerke sofort umzusetzen, allerdings müssen Schäden in Höhe von etwa 6 Billionen Euro versichtert werden“, so Jan Becker von contrAtom. „Als logischen Schluss fordern wir von Politik und Betreibern das Eingeständis, dass die Folgen eines GAU nicht versicherbar sind und damit eine ausreichende Vorsorge nicht möglich ist – was unweigerlich zu einer Stilllegung aller Meiler führen muss. Ein schwere Unfall ist jederzeit möglich. Und mit jedem Tag den die Meiler weiter altern, erhöht sich das Risiko.“
- Kaum Versicherungsschutz gegen radioaktive Strahlung
15. August 2011 – Die Frage nach einer adäquaten Absicherung gegen die Folgen atomarer Strahlung ist heutzutage nicht nur hochbrisant, sondern hat durchaus ihre Berechtigung. Die Antwort dürfte nicht überraschen: In solchen Fällen existieren so gut wie keine versicherungstechnischen Möglichkeiten. Das ergab eine Recherche der Arbeitsgemeinschaft Finanzen.
- Atomausstieg? Die Wahrheit Teil 11: Bei einem GAU zahlt der Steuerzahler die Zeche
3. Juli 2011 – Deutschland steigt aus. Bis 2022 sollen in einem Stufenplan alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden, das erste bereits 2015. Schwarz/gelb feiert das eigene Einknicken im Fortbestand der Atomenergie als Erfolg, rot/grün stimmt mit dem Argument “alternativlos” zu. Doch Atomkraftwerke bleiben weiter extrem unterversichert und bei einem schweren Unfall zahlen die Steuerzahler die Zeche.
Quellen (Auszug): fr-online.de, ftd.de, dpa; 06./07.10.2012