Gorleben: Keine Castortransporte mehr, zweijährige Galgenfrist
Erst am Mittwoch hatte Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel Gorleben besucht und betont: der Standort muss vom Tisch. Wenige Tage später verkündet er gemeinsam mit Bundesumweltminister Altmaier und Ministerpräsident Weil eine „Einigung“ im Streit um das geplante Endlagersuchgesetz: keine Castortransporte mehr nach Gorleben, aber Gorleben bleibt vorerst im Topf. Zwei Jahre soll ein neues Moratorium weilen, während dessen eine Enquete-Kommission Kriterien für einen Endlagerstandort entwickeln und so „Aktzeptanz“ in der Bevölkerung schaffen soll. Atomkraftgegner meinen: Mogelpackung.
Das am Sonntag präsentierte Papier, mit dessen Hilfe Niedersachsens Zustimmung zu einem Endlagersuchgesetz erreicht werden soll, umfasst im Wesentlichen folgende Punkt:
- Eine Kommission unter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Kräfte soll demnach Ausschlusskriterien und Mindestanforderungen an Standorte für ein mögliches Endlager erarbeiten. 24 Mitglieder aus Politik, Umweltverbänden, Wirtschaft, Gewerkschaften, Wissenschaft und Kirche sollen bis 2015 öffentlich die Grundlagen der Atommüll-Lagerung erarbeiten. Nach Abschluss der Arbeit der Enquete-Kommission wird das Standortsuchgesetz im Lichte der Ergebnisse evaluiert und gegebenenfalls von Bundestag und Bundesrat geändert. Entscheidungen sollen in der Kommission nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit gefällt werden können.
- Über den Standort des Endlagers wird wie vorgesehen durch Parlamentsbeschluss entschieden.
- Die so genannte Legalplanung per Bundesgesetz ist vom Tisch und damit die verwaltungsgerichtliche Überprüfung des Verfahrens durch Klagen von betroffenen Bürgern möglich.
- Die zentrale Streitfrage, ob Gorleben in die Endlagersuche einbezogen werden soll, wurde erneut ausgeklammert. Erstmal bleibt der Standort im Verfahren, die Erkundungsarbeiten sind aber „unbefristet eingestellt“.
- keine Castortransporte mehr nach Gorleben. Noch geplante Transporte sollen auf andere Zwischenlager verteilt werden, was allerdings die Zustimmung der betroffenen Bundesländer voraussetzt.
- der Entwurf für das Endlagersuchgesetz soll noch vor der parlamentarischen Sommerpause von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden.
- Am 7. April wird ein Bund-Länder-Spitzentreffen über den Vorschlag beraten.
„Der Vorschlag macht einige Schritte in die richtige Richtung, hat aber einen entscheidenden Fehler: Es macht keinen Sinn und ist schädlich, ein Verfahren für die Endlagersuche bereits jetzt gesetzlich festzulegen, bevor die Enquete-Kommission wesentliche Fragen für die Ausgestaltung dieses Verfahrens beantwortet hat“, mahnt Jochen Stay von ausgestrahlt. „So entsteht der Eindruck, dass die Enquetekommission lediglich dazu eingerichtet wird, damit Niedersachsen dem bestehenden mangelhaften Gesetzentwurf zustimmt.“
„Dass über die Kommission auch Vertreter/innen der Zivilgesellschaft mit beteiligt werden sollen, ist grundsätzlich positiv. Doch um das strittige Thema Gorleben drücken sich Altmaier, Weil und Wenzel weiter herum“, meint Sue Jacoby von campact. Dieser neue Kompromiss stehe entgegen der Wahlkampf-Aussage des niedersächsischen Umweltministers, der so strenge Sicherheitskriterien garantieren wollte, dass Gorleben automatisch aus dem Verfahren ausscheide.
„Es widerspricht diametral dem Wahlversprechen und der Einsicht, dass in Gorleben nur mit Hilfe von Verfahrenstricks und Lügen ein sogenanntes Erkundungsbergwerk aufgefahren werden konnte“, sagt auch Wolfgang Ehmke, Sprecher der BI Lüchow-Dannenberg.
Die versprochene öffentliche Atommülldebatte begrüßt die BI allerdings. Entscheidend werde sein, welche Kompetenzen einer solchen Kommission eingeräumt werden und dass die Debatte dann auch verbindlich sei.
„Wenzel und Weil haben die Kröte Gorleben entgegen ihren vor der Landtagswahl gemachten Zusagen geschluckt und die Entscheidung über den Salzstock Gorleben in die Enquete-Kommission vertagt“, schreibt Greenpeace. „Trotz aller Beteuerungen möchte eine große Mehrheit der Politiker den Atommüll ungeachtet aller geologischen Mängel lieber im weit entfernten Gorleben wissen als im eigenen Wahlkreis. Auch in der Enquete-Kommission wäre der Druck hoch, alle Sicherheitskriterien wie in der Vergangenheit an den mangelhaften Salzstock Gorleben anzupassen, damit dieser im Verfahren bleibt. Gorleben kontaminiert also weiterhin das gesamte Suchverfahren und macht die Findung des bestmöglichen Standortes nach den höchstmöglichen Sicherheitskriterien nahezu unmöglich“, so Atom-Experte Mathias Edler.
Dass es einen Castor-Stopp geben könnte, nehmen die Gorleben-Gegner weder Altmaier noch Weil und Wenzel ab:
„Wir halten es nicht mit Sankt Florian, ein Castor-Stopp für Gorleben wäre eine Belastung für andere Standorte. Wir fordern einen völligen Atomtransporte-Stopp bis zur Klärung der Frage, wie mit dem Atommüll verfahren werden soll“, so BI-Sprecher Ehmke.
Es geht um insgesamt vier Transporte, drei aus der WAA Sellafield und einer aus La Hague, die vermutlich erst ab 2015 rollen sollen. Die im vorgestellten Papier genannte „Zustimmung der betroffenen Bundesländer“ ist fachlich falsch, denn die Anträge auf Einlagerungsgenehmigungen stellt die im Besitz der Atomstromkonzerne befindliche Betreibergesellschaft der Zwischenlager, die Gesellschaft für Nuklearservice (GNS). Bislang ist eine Einlagerung in andere Standortzwischenlager mit Verweis auf deren Betriebsgenehmigung stets abgewiesen worden, auch weil die Betreiber gar kein Interesse haben, weiteren Müll aufzunehmen. Das Verfahren, die Einlagerung von anderem Atommüll zulässig zu machen, braucht Jahre – erfahrungsgemäß länger als 2015. Damit werden am Ende die Behälter wieder nach Gorleben rollen. Erste Bundesländer haben auch schon angekündigt, keinen Atommüll aufnehmen zu wollen.
„Dass keine Castoren mehr in die niedersächsische Provinz direkt über den Salzstock Gorleben rollen sollen und damit den geplanten Endlagerstandort immer weiter zementieren, ist kein großer Wurf der Politik, sondern sollte eine Selbstverständlichkeit sein, wenn man einen Neuanfang in der Endlagerfrage auch nur halbwegs ernsthaft betreiben will“, meint Mathias Edler von Greenpeace.
„Wir fordern SPD und Grüne und die von ihnen regierten Bundesländer dazu auf, die Verabschiedung des Gesetzes zurückzustellen, bis die Ergebnisse der Enquete-Kommission vorliegen. Es besteht keine Veranlassung, das Gesetz bereits jetzt zu verabschieden, vor allem, da das Suchverfahren sowieso erst beginnen soll, wenn die Kommission ihre Arbeit abgeschlossen hat“, so Jochen Stay von ausgestrahlt.
Atomkraftgegner kündigen für das Treffen am 07. April in Berlin Proteste an. Ein Gesetzentwurf, der am Ende die 35 Jahre alten Lügengebäude um Gorleben ex post auch noch anerkennt, indem der Standort im Rennen bleibt, ruft weiteren Protest und heftigen Widerstand hervor.
- .ausgestrahlt-Analyse des Vorschlags zum „Standortsuchgesetz“ von Peter Altmaier, Stephan Weil und Stefan Wenzel vom 24. März 2013
- BI-Aktion: Unterschriften gegen Gorleben & Atommüll
httpv://www.youtube.com/watch?v=FcFDO3hsQmk
Quellen (Auszug): tagesschau.de, bmu.de, campact.de, bi-luechow-dannenberg.de, ausgestrahlt.de, greenpeace.de; 24./25.03.2013