28 Jahre nach Tschernobyl: Deutsche Strahlenschutzkommission ignoriert Folgen von Tschernobyl für den Katastrophenschutz
Auch 28 Jahre nach der Tschernobylkatastrophe ignoriert die deutsche Strahlenschutzkommission (SSK) die gesundheitlichen Folgen von Tschernobyl. Infolge dieser kurzsichtigen Logik empfiehlt sie in ihrer neuesten Publikation vom 24.02.2014 zu „Planungsgebieten für den Notfallschutz in der Umgebung von Kernkraftwerken“ viel zu hohe Eingreifrichtwerte für Evakuierungen und „nimmt damit – konservativ geschätzt – billigend Zehntausende Opfer nach einem Super-GAU in Kauf“, so IPPNW-Ärztin Dr. Angelika Claußen.
Bei den Empfehlungen für die Katstrophenschutzplanung im Falle eines Super-GAUs würden nur schwere akute Strahlenschäden, wie die „akute Strahlenkrankheit“ berücksichtigt, obwohl Langzeitfolgen wie Krebserkrankungen, Fehlbildungen, Erbgutschäden, Totgeburten, Herzkreislauferkrankungen und Störungen der Immunabwehr mittlerweile gut erforscht seien.
Während die SSK empfiehlt für die Bevölkerung in einem Umkreis von bis zu 20 km eine sofortige Evakuierung vorzusehen, muss in angrenzenden Zonen von 20 km bis zu 100 km eine radioaktive Belastung von 100 Millisievert (mSv) innerhalb von 7 Tagen erreicht werden, damit die Bevölkerung ein „Anrecht auf Evakuierung“ hat. Zum Vergleich: In Fukushima lag die Grenze für Evakuierungen bereits bei 20 mSv, in Tschernobyl wurde sogar schon bei einem Eingreifrichtwert von 10 mSv evakuiert und bei 5 mSv bestand ein Anrecht auf dauerhafte Umsiedelung.
Wenn man zudem berücksichtigt, dass es nach Tschernobyl über 11 Tage anhaltende radioaktive Ausstöße gab und die Dauer der radioaktiven Ausstöße in Fukushima 25 Tage betrug, so wird sich jeder Laie fragen, warum die SSK in ihrem Papier von einer Dauer der radioaktiven Ausbreitung von nur 50 Stunden ausgeht.
Die Folgen eines Super-GAUs in Deutschland wären immens. So kam eine Studie des Öko-Instituts 2007 zu dem Ergebnis, dass je nach Wettersituation in Gebieten bis in eine Entfernung von etwa 600 km und mit einer Breite von bis zu 50 km eine Evakuierung erforderlich werden könnte. Auch das Bundesamt für Strahlenschutz hielt es in seiner „Analyse der Vorkehrungen für den anlagenexternen Notfallschutz für deutsche Kernkraftwerke“ vom April 2012 für angemessen, mit „Umsiedlungen“ noch in 100 bis 170 km Entfernung vom Unfallort zu rechnen.
„Von den damals über 800.000 in Tschernobyl eingesetzten sogenannten Liquidatoren sind mittlerweile 125.000 gestorben, Hunderttausende sind schwer krank“, gibt IPPNW-Ärztin Dr. Angelika Claußen zu bedenken.
Die Anzahl allein der Krebstodesfälle durch Tschernobyl liegt gemäß unterschiedlicher Schätzungen bei über 30.000 Fällen. Scheinbar haben die Mitglieder der Strahlenschutzkommission nichts gelernt – weder aus Tschernobyl noch von Fukushima. Mag es daran liegen, dass drei Mitglieder des elf-köpfigen Gremiums Leiter von Atomkraftwerken bei RWE, EON und Vattenfall sind bzw. waren?
Der Kinderarzt und stellvertretende IPPNW-Vorsitzende Dr. Alex Rosen fordert daher: „Ein neues Tschernobyl muss verhindert werden. Wer die Bevölkerung nicht schützen kann, muss alle laufenden Atomkraftwerke in Deutschland umgehend abschalten und stilllegen.“
Quelle: ippnw.de, 24.04.2014