Vor 30 Jahren: Wendlandblockade
Motto: „Keiner ruft auf, alle gehen hin…“ die Zufahrtsstraßen zum Landkreis Lüchow-Dannenberg für 12 Stunden zu blockieren, um gegen Europas größtes Atomklo zu protestieren… Ich gehe davon aus, dass die Idee irgendwo im Wendland Ende 1983 und oder anderswo vordiskutiert wurde. Sicherlich waren mit der Aktionsform nicht alle vor Ort einverstanden. Am Horizont tauchte die Blockadeidee als „Fata Morgana“, als etwas völlig neues auf…
Da ich damals in drei sozialen Bewegungen so richtig aktiv war (Dritte-Welt-Bewegung, Friedensbewegung und Anti-AKW-Bewegung) wurde ich von den beiden letztgenannten bei regulären Treffen Ende 1983 gebeten, ein bundesweites Treffen in Frankfurt am Main zu organisieren. Am 21. /22.01.1984 fand die von mir vorbereitete Arbeitsgruppe der Bundeskonferenz der autonomen Friedensgruppen (BAF), gemeinsam mit Anti-AKW-Bürgerinitiativen und der Atommüllkonferenz in der Jugendherberge zu Frankfurt am Main statt.
Polizeibeamte, vermutlich in Zivil, fragten im Tagungsgebäude beim Herbergsvater der Jugendherberge am Main nach, ob „alles in Ordnung“ sei. Kurze Zeit später wollte ich mit dem Herbergsvater noch was organisatorisches Abklären. Der noch immer sichtlich irritierte Herbergsvater meinte zu mir: Er hätte Ihnen gesagt „So lange ich hier stehe, habe ich alles Griff“. Sein Gesichtsausdruck zeigte immer noch ein unverständliches Staunen, über das Auftauchen der Polizeibeamten.
Beschluss: Die gemeinsame Arbeitsgruppe der Bundeskonferenz (BAF) und der Anti-AKW-Bewegung unterstützen die beiden geplanten Aktionen im Landkreis Lüchow-Dannenberg zur Menschenkette am 24.03.1984 (12.000 Menschen) und zur Blockade der Zufahrtswege nach Gorleben am 30.04.1984 (so etwa 4.000 Menschen).
Wendland-Blockade 30.04.1984
Motto: „Keiner ruft auf, alle gehen hin…“ die Zufahrtsstraßen zum Landkreis Lüchow-Dannenberg für 12 Stunden zu blockieren, um gegen Europas größtes Atomklo zu protestieren. Rund 4.000 Menschen beteiligten sich über den Tag verteilt daran. Da wir privat übernachtet hatten, wurden wir von der Polizei in der Nacht davor nicht im Zeltlager abgegriffen und in Gefängnisbusse verschleppt und irgendwo in der Pampa außerhalb des Landkreises Lüchow-Dannenberg freigelassen.
Andere AtomkraftgegnerInnen fuhren mit Autos den Polizeibussen hinterher und sammelten die Menschen wieder ein um sie in den Landkreis zurückzubringen, so das am nächsten Morgen oder später alle wieder da waren oder zu den geplanten Aktionen dazu kommen konnten.
Um 6:30 Uhr sind wir an der B 216, über uns kreisen Hubschrauber. Bei Metzingen tauchen die ersten Wannen auf. Etwas weiter räumt die Polizei eine Blockade von 1.000 Menschen und 150 PKW ab. Wir fahren zur B 191. Dort angekommen sehen wir einige Barrikaden: Zementrohre sind ineinander verkeilt. Dazu totes Holz. Von Einheimischen erfahren wir, dass unter einer Eisenbahnbrücke Leitblanken verbogen auf der Straße liegen, größere Baumstämme sind miteinander vernagelt. Hier läuft kein Verkehr mehr. Wir fahren nach Clenze im Süden des Landkreises. Dort steht eine Blockade durch eine aus Pappe gebauten überdimensionalen schwarzen Krake mitten auf der Straße, die die DWK (Gesellschaft zur Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen oder unser Spitzname Die Will Keiner) symbolisiert.
Nach 11:00 Uhr fahren wir nach Pudripp zurück. Die Polizei hat die ersten Barrikaden geräumt, neue sind entstanden. Die Straße ist unpassierbar. An einem Bahndamm unweit der Straße machen wir entspannt Mittag und essen gemütlich auf halber Höhe des Bahndammes. Langsam schiebt sich auf der Straße ein Polizeikonvoi vor, hinter dem Konvoi entstehen aber gleich wieder neue Barrikaden. Ein Unimog mit Schaufel kommt auf unserem Blickwinkel der Augen zum Stehen: Vermutlich Plattfuß durch Krähenfüße! Der nun fällige Reifenwechsel ist eine Gaudi. Die Polizei blamiert sich, so gut sie konnte. In der „Formel I reifen Zeit“ von nur etwas über eine Stunde ist der Reifen gewechselt. Noch immer ist die B 191 völlig dicht. Unsere Mittagspause ist zu Ende.
Wir fahren nach Clenze. Im Autoradio hören wir „Radio freies Wendland“. Die Blockade auf der B216 steht immer noch. Die Polizei geht dazu über, die abgestellten PKW zu zerstören, da sie völlig überfordert ist. Die Frauenblockade bei Bösen gibt es auch noch. Die Stimmung dort ist gut. Die Blockade mit der DWK- Krake hat Pause am Rande einer Kreuzung. Die beginnende Abendsonne spiegelt sich in der Straße. Es ist warm und sieht fast dörflich idyllisch aus. Eine Gruppe macht Musik. Kinder wuseln umher, ältere Leute, Einheimische und viele aus der Friedensbewegung sitzen stehen unterhalten sich. Es ist kurz vor 18 Uhr, einige gehen schon, da das Ziel des Tages erreicht wurde. Ein Hubschrauber taucht auf, die Polizei ziehen die Helme auf, zwei Hundertschaften BGS rückten vor. Wir weichen zurück. Unter allgemeinem Beifall räumen die BGS-Leute die DWK- Krake ab.
Alles in allem war es für uns ein erfolgreicher Tag. Vier der Fünf Zufahrtsstraßen waren mehr als 10 Stunden blockiert. (Die 30 Traktoren der Bauernblockade hatte die Polizei in den Straßengraben gefahren.) Größere Auseinandersetzungen blieben aus, weil die Polizei nicht so beweglich war wie die DemonstrantenInnen. Ein weiteres Zeichen für den Widerstand gegen den atomaren Wahnsinn, gegen die Bedrohung durch Atomkraftwerke ist gesetzt. Und doch hat es einen Verletzten gegeben. Ein Polizist hat sich einen Zeh gebrochen – durch eigene Schusseligkeit, wurde erzählt.
Dieter Kaufmann, Arbeitskreis gegen Atomanlagen Frankfurt am Main.
(BGS = Bundesgrenzschutz, heute BP = Bundespolizei)
- Unruhetag – Atomkraftgegner protestieren im Wendland
2. Oktober 2010 – Atomkraftgegner wollen heute mit Straßenblockaden gegen die Weitererkundung des Salzstocks Gorleben als Atomendlager protestieren. Mehrere Initiativen haben zu einem sogenannten Unruhetag im Wendland aufgerufen. Wir berichten hier aktuell von den Ereignissen auf den Straßen.