Strahlendes Material auf Reisen
Wie ein dichtes Netz überziehen die Pfade der Urantransporte den gesamten Globus. Per Schiff, mit dem Flugzeug, per Bahn und LKW tragen sie das atomare Risiko über alle Transportwege, weltweit. Allein in Deutschland finden jährlich knapp 600.000 Atomtransporte statt. Zahlen aus anderen Ländern sind kaum bekannt.
Für die »zivile« Nutzung von Uran für die Atomenergie finden Transporte von den Uranminen zur Anreicherung, ins Atomkraftwerk, zur Wiederaufarbeitung und in so genannte Endlager statt. Oft geschieht dies über Umwege und Zehntausende von Kilometern. Einen sicheren Schutz vor Unfällen, Entführungen oder Sabotage gibt es nicht. Eine Möglichkeit, gegen Atomtransporte zu klagen, ebenfalls nicht. In Frankreich fallen alle Informationen über Atomtransporte unter das Militärgeheimnis. Auch in Deutschland werden die Transporte geheim gehalten, selbst die Behörden und Institutionen entlang der Strecken erhalten keinerlei Information. Nur die unmittelbare Begleitgruppe ist informiert. Als Motiv wird die Gefahr von Terrorismus und Anschlägen angeführt. Mit der Geheimhaltung werden zudem Menschen an den Atomstrecken unter Generalverdacht gestellt, wenn sie sich den Gleisen nähern.
Erst im August 2011 wies das niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg die Klagen zweier AnwohnerInnen im Wendland ab, die gegen eine 2003 durch das Bundesamt für Strahlenschutz erteilte Transportgenehmigung vorgehen wollten. Das Grundstück eines Klägers ist 510 Meter von der Verladestation entfernt, an der die Castor-Behälter von den Zügen auf Laster umgeladen werden. Die zweite Klage legte eine Anwohnerin ein, die unmittelbar an der nachfolgenden Straße zwischen der Verladestation und dem Atommüll-Lager Gorleben wohnt. Die AnwohnerInnen der für Castor-Transporte verwendeten Bahnstrecken und Straßen können nicht gegen die radioaktiven Transporte klagen, hieß es in den beiden Urteilen. Der Rechtsschutz reiche nicht so weit wie bei ortsfesten Atomanlagen, entschied das OVG (Az. 7 LB58/09 und 7 LB 59/09).
Transportunfälle in Ländern des globalen Südens dringen nur vereinzelt an die Öffentlichkeit. So kam es auf der 800 Kilometer langen Straße von der nigrischen Stadt Arlit zur Südgrenze des Niger im Januar 2004 zu einem Unfall mit fünf Toten, als ein Laster einen Urantransport überholte. Zwei LKWs der staatlichen Transportgesellschaft SNTN, beladen mit vielen Tonnen des in der Fabrik COMINAK auf 75 Prozent Urangehalt raffinierten Yellow Cake, kamen vom Weg ab, mehrere Fässer zerschellten auf dem Boden. Die Aufräumarbeiten ließen auf sich warten, und erst einen Monat nach dem Unfall wurden Bodenproben entnommen, die das Zehnfache der zulässigen Strahlenbelastung enthielten. Der Transport war auf dem Weg ins 1.750 Kilometer entfernte Cotonou, der Hauptstadt Benins, von wo aus das raffinierte Uranerz aus Arlit verschifft wird, zum Beispiel ins französische Malvesi in die Anreicherungsanlage von COMURHEX. Entlang der Staubpisten ist die alltägliche Staubbelastung durch LKW-Transporte gefährlich, weil sich radioaktive Partikel leicht am Feinstaub anhängen und eingeatmet werden. Am 27. Juli 2010 hatte ein Lastwagen mit Yellow Cake von der Uranmine Kayelekera in Malawi einen schweren Unfall. Zwei Menschen wurden getötet. Die Uranfirma Paladin reagierte ebenso wenig wie die malawische Regierung. In der Rössingmine in Namibia wurde im Januar 2014 ein Leck in einem Tank festgestellt, die Minenarbeiter wurden zunächst nicht informiert. Die Liste der in den USA und Europa nachgewiesenen Atomtransportunfälle, die für die Nichtkontrollierbarkeit und zugleich für fehlende Transparenz und lückenhaften bis abwesenden Katastrophenschutz stehen, ist lang. Am 27. September 1977 überquerte eine Herde wilder Pferde im US-Bundesstaat Colorado den Highway 287. Ein Lastzug mit hoher Geschwindigkeit bremste scharf ab, kam ins Schleudern und kippte. Zwanzig Tonnen Urankonzentrat in gelben 200-Liter Fässern flogen durch die Luft und schlugen hart auf. Die meisten Fässer platzten, auf einer Fläche von 500 Quadratmetern breitete sich eine strahlende Schicht aus. Die Unfallstelle wurde erst nach zwölf Stunden abgesperrt. Drei Tage lang blieb das radioaktive Uran auf der Straße und den angrenzenden Feldern liegen.
Das Frachtschiff Mont Louis sank nach dem Zusammenstoß mit einer Fähre am 25. August 1984 im Ärmelkanal vor der belgischen Küste. Die Mont Louis war unterwegs von Frankreich nach Riga. An Bord waren 30 zylindrische Stahlbehälter mit rund 375 Tonnen französischem Uranhexafluorid (UF6). Auf Grund eines Vertrages aus dem Jahr 1973 sollten sie in der Sowjetunion in Sibirien angereichert werden. Die westlichen europäischen Länder hatten den Anreicherungsvertrag, der in der Öffentlichkeit nicht bekannt war, abgeschlossen, um das Urananreicherungsmonopol der USA zu brechen. Ohne den Untergang des Frachtschiffes wäre dieser Vertrag nie bekannt geworden. Da UF6 in der Reaktion mit Wasser tödlich ist, wurde besonders befürchtet, dass einige der auf Unterdruck gehaltenen Behälter lecken könnten. Nachdem Greenpeace an einem Strand in Belgien einen Behälter entdeckte, wurden alle Strände in Belgien gesperrt und von der Polizei bewacht. In diesem Fall konnte nach einer extrem schwierigen und sechs Wochen andauernden Bergung der letzte der Uranhexafluorid-Behälter unversehrt geborgen werden. Die Bremer Polizei stoppte am 8. März 2010 einen Lastwagen mit einem UF6-Transport, da das Gestell, auf dem der Behälter transportiert wurde, teilweise durchgerostet war. Der Behälter war auf dem Seeweg von den USA nach Hamburg gekommen und sollte von dort zur Anreicherungsanlage Gronau gebracht werden.
von Dieter Kaufmann, Arbeitskreis gegen Atomanlagen Frankfurt am Main
Aus: iz3w 334 | Globale Geschäfte mit Uran
Angereicherte Gefahr | die süd-nord-politische Zeitschrift aus Freiburg
Inhalt: siehe https://www.iz3w.org/zeitschrift/ausgaben/344_uran
Hörbeiträge: https://www.iz3w.org/projekte/suednordfunk/August%202014
- Defekte, Unfälle, Protest: Weltweite Atomtransporte – eine Auswahl
29. September 2012 – Atomtransporte sind ein Spiel mit dem Feuer. Wie ein Spinnennetz überziehen die Pfade der Atomtransporte den gesamten Globus. Per Schiff, mit dem Flugzeug, per Bahn und Lastkraftwagen (LKW) tragen sie das atomare Risiko über alle Transportwege, weltweit. Den vollkommenen Schutz vor Unfällen, vor Entführungen oder Sabotage gibt es nicht. Die atomare Transportkatastrophe bei der Plutonium oder radioaktive Spaltprodukte in Umwelt gelangen, kann jederzeit geschehen. Sie ist nicht weniger wahrscheinlich wie der Super Gau in Majak (1957), Sellafield (1957), Harrisburg (1979) Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011).
- “Geheimhaltung schützt Atomindustrie”: Fast 1.000 heimliche Atomtransporte seit 2012
14. Juli 2014 – In Deutschland haben zwischen Anfang 2012 und Ende Mai 2014 insgesamt 988 Atomtransporte stattgefunden. Diese Fuhren fanden in der Regel geheim statt. Atomkraftgegner weisen auf Sicherheitsdefizite hin und fordern den Stopp der Transporte.
- Kanada: Unfall mit Urantransport
16. März 2014 – Im Hafen des kanadischen Halifax ist es am Donnerstag zu einem Unfall mit atomarer Fracht gekommen. Spezialkräfte mussten die Folgen beseitigen.
- Frankreich: Atommülltransport entgleist
26. Dezember 2013 – Ein Waggon mit sechs Tonnen hochradioaktiver Abfälle ist in Frankreich entgleist. Der Vorfall ereignete sich am 23. Dezember nur zehn Kilometer von Paris entfernt.
- England: Castor entgleist
31. Oktober 2013 – In England ist ein Zug mit leeren Castorbehältern auf dem Weg in die Plutonium-Fabrik Sellafield entgleist. Der Vorfall ereignete sich bereits Ende September, berichtet die britischen Umweltorganisation CORE (Cumbrians Opposed to a Radioactive Environment).
- Atomfrachter kollidiert auf der Ostsee
20. Oktober 2013 – Wie am Samstag bekannt wurde, ist der für Atomtransporte bekannte Frachter Mikhail Lomonosov am frühen Freitagmorgen vor Rügen mit einer Yacht zusammen gestoßen. Die 15 Meter lange Yacht wurde bei der Kollision mit dem 100m langen Schiff schwer beschädigt und anschließend von der Seenotrettung in den nächsten Hafen geschleppt.