Atommüllzwischenlager Würgassen: Das ist also „AKW-Rückbau“
Der Atomkonzern E.ON verkündet stolz: Nach 17 Jahren ist der Rückbau des Atomkraftwerks Würgassen beendet. Was bleibt ist allerdings ein Zwischenlager mit 10.000 Fässer Atommüll, von dem heute noch niemand weiss, wohin damit. Auch in der Vergangenheit ist das AKW an allen Kehrseiten der Atomkraft beteiligt: von der Asse über Morsleben bis nach Gorleben. „Zusammengefasst ein Desaster“ attestieren Atomkraftgegner.
Das Atomkraftwerk Würgassen war ein Siedewasserreaktor der ersten Generation und nahm 1975 den Betrieb auf. Geplant war ursprünglich ein Betrieb des Kraftwerkes bis ins Jahr 2010. Im Oktober 1994 wurden allerdings bei einer Routineinspektion Haarrisse im Kernmantel am Reaktorkern gefunden, die eine Länge bis zu 60 mm hatten. Werkstofffehler bei der Fertugung wurden attestiert, doch ob die Risse während des Baus oder Betriebs entstanden sind, konnte nicht ermittelt werden. Die Behörden verlangten umfangreiche Reparaturarbeiten, die der Betreiber auf 200 Millionen Mark bezifferte und eine Stillstandzeit von zwei Jahren bedeutet hätte – das wirtschaftliche Aus für den Meiler an der Weser. Bis zur Stillegung wurden etwa 280 Störfälle gemeldet.
Bei den tausenden Fässern, die nun nach Abschluss des Rückbaus noch auf dem Gelände lagern, handelt es sich um „leicht und mittelstark verstrahltem Schutt“ an zwei Lagerstätten (2.500 Fässer mit Abbruchmüll und 8.000 Fässer à 200 Liter mit kontaminiertem Abbruchschrott, der noch in 300 Container gepresst werden soll), der in dem von E.ON „erhofften“ Endlager Schacht Konrad entsorgt werden soll. Der Konzern spekuliert auf zehn Jahre, erst dann sollen die leer stehenden Hallen, darunter auch das Reaktorgebäude, abgerissen und die versprochene „grüne Wiese an der Weser“ entstehen. Das Zwischenlager hat allerdings eine Betriebsgenehmigung bis 2032. Und ob Schacht Konrad jemals in Betrieb gehen wird ist umstritten.
Bis Ende 1978 hatte das AKW Würgassen diese Abfälle in das ehemalige Endlager Asse-2 gebracht. Über 4.000 Fässer wurden damals unter dem Betreiber Preussenelektra in den Salzstock gebracht, der heute als „havariert“ gilt und eine Rückholung der Gebinde versprochen wurde. Damals konnten die AKW-Betreiber ihren Müll in der Asse günstig entsorgen, in der Zukunft ist bei einem starken Wassereinbruch in das Bergwerk die Verseuchung der gesamten Region möglich. Nach der Grenzöffnung ist auch das AKW Würgassen Lieferant im ehemaligen DDR-Endlager Morsleben, das heute ebenfalls als einsturzgefährdet gilt. Etwa 150 Fässer und Container wurden zudem in das Abfalllager Gorleben transportiert, das kürzlich nach dem Eindringen von Wasser wegen unzureichender Überwachung in der Kritik stand. 70 Abfallgebinde stehen noch im Zwischenlager Ahaus (Nordrhein-Westfalen).
Die gesamten hochradioaktiven Brennelemente aus der Betriebszeit (1.989 Stück mit einer Schwermetallmasse von 346 Tonnen) wurden in Castorbehältern in die französische Wiederaufarbeitungsanlage La Hague gebracht. Erst wurde dort durch die Anlage das Meer und die Umgebung verseucht, dann rollte der Müll zurück ins niedersächsische Zwischenlager Gorleben bzw. wartet in Frankreich noch auf eine Entsorgungslösung. Denn ein Endlager gibt es bekanntlich nicht.
Auch das umstrittene Thema „Freimessen“ spielt beim Rückbau des AKW Würgassen eine große Rolle. Schutt, der unterhalb bestimmter Grenzwerte lag, wurde u.a. auf der Hausmülldeponie Wehrden (Nordrhein-Westfalen) entsorgt. 60 Tonnen PCB-haltiger Bauschutt wurde in der Sondermüll-Boden-Verbrennungsanlage Herne verbrannt.
Während der E.ON-Kernkraft Geschäftsführer Dr. Ralf Güldner von einem „Pilotprojekt mit internationaler Beachtung“ spricht, weil Würgassen „das erste kommerziell genutzte Kraftwerk sei, dass komplett zurückgebaut“ wurde, muss auch gesagt werden: der Bau des Meilers kostete ca. 250 Millionen Euro. Der Rückbau – bei offener Endlagerung der Abfälle – bis heute über eine Milliarde.
Zusammengefasst ist also das Projekt „Atomkraftwerk Würgassen“ ein Desaster – in jeder Hinsicht.
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Quellen (Auszug): westfalen-blatt.de, atommuellreport.de, eon-kernkraft.de; 16./17.10.2014