Polen plant Kugelhaufenreaktor an der deutschen Grenze
Polen plant die Errichtung eines Atomreaktors im Dreiländereck zu Deutschland und Tschechien. Die „Leiziger Volkszeitung“ berichtet von Gesprächen zwischen der TU Dresden und polnischen Vertretern. Mit Technik aus Deutschland soll ein „inhärenter“ Reaktor gebaut, Klimaschutz und Energiewende betrieben werden.
Bei dem Kraftwerk handele es sich um einen Kugelhaufenreaktor, auch „Hochtemperatorreaktor“ (HTR), bei dem die Brennelemente die Form von Kugeln oder Würfeln hätten. Die Brennelemente sind mit zwei Schichten Grafit und einer Keramikschicht umschlossen und besonders hitzebeständig. Laut Atomlobby ist der Reaktor „sehr sicher“, weil es wegen der hohen Hitzefestigkeit dieser Hülle keine Kernschmelze geben könne. Zudem müsse die Nachzerfallswärme nach Abschalten der nuklearen Kettenreaktion nicht wie bei herkömmlichen Reaktortypen gekühlt werden.
Kugelhaufenreaktoren eignen sich sehr gut zur Bereitstellung von Prozesswärme für die Industrie. Und gerade in diesem Bereich gelte es ja in den kommenden Jahren nach Alternativen zu fossilen Energieträgern zu suchen, um den Ausstoß von Kohlendioxid zu begrenzen, so Antonio Hurtado, Direktor des Instituts für Energietechnik der TU Dresden. Das Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien sei wegen der Braunkohleindustrie ein idealer Standort, dort könnte mit der Wärme eine kohlendioxidfreie Veredlung der heimischen Braunkohle aus dem dortigen Revier zu ermöglicht werden.
An der TU Dresden existiert ein Kompetenzzentrum für Hochtemperatur-Reaktortechnik. Hier werden zahlreiche Projekte mit internationalen Partnern durchgeführt.
Die Kugelhaufen-Technologie hat in Deutschland allerdings keine rühmliche Vergangenheit:
- AVR Jülich, Forschungsreaktor mit 15 MW, war der erste deutsche Hochtemperaturreaktor. 1967 wurde das Kraftwerk, welches auch Strom ins öffentliche Netz einspeiste, in Betrieb genommen. Nach 21 Betriebsjahren wurde der Reaktor am 31. Dezember 1988 abgeschaltet. Bis zum Jahr 2015 sollen die Rückbauarbeiten beendet und der Zustand „Grüne Wiese“ hergestellt sein, während der Reaktorbehälter 200 m entfernt für gut 60 Jahre zwischengelagert wird. Aufgrund der hohen Kontamination des Kühlkreislaufs bereitet der Rückbau allerdings erhebliche Probleme. Im Jahr 2000 räumten die Betreiber ein, dass die beta-Kontamination (Strontium-90) des AVR-Reaktors sogar die höchste aller Reaktoren und Nuklearanlagen weltweit ist und zudem noch in der ungünstigsten Form, nämlich staubgebunden vorliegt.
Im Mai 1978 traten infolge eines länger unbemerkten Lecks 27,5 t Wasser in den Reaktorkern ein. Dank eines nur kleinen Lecks und zu dem Zeitpunkt geringen Reaktortemperaturen ereignete sich keine chemische Reaktion des Wassers mit dem Graphit unter Bildung explosionsfähiger Gase, was einen der gefährlichsten Störfälle für einen Hochtemperaturreaktor darstellt. Erst im Jahr 1999 wurde entdeckt, dass der AVR-Bodenreflektor, auf dem der Kugelhaufen ruht, im Betrieb zerbrochen war und dass sich einige hundert Brennelemente im gebildeten Riss verklemmt haben. Die Brennelemente konnten großenteils nicht entfernt werden. Zu eventuellen sicherheitstechnischen Auswirkungen dieses Ereignisses gibt es bisher keine Untersuchungen. Unter dem Reaktor befindet sich noch durch den Störfall radioaktiv belastetes Erdreich und Grundwasser. 2008 wurde bekannt, dass die übermäßig starke radioaktive Kontamination des Reaktors auf eine unzureichende Überwachung des Reaktorkerns sowie einen länger andauernden Betrieb bei unzulässig hohen Temperaturen zurückzuführen ist. Dies habe u. a. dazu geführt, dass Spaltprodukte aus den Graphitkugeln austreten konnten. Dabei handelte es sich um inhärente Probleme von Kugelhaufenreaktoren – und nicht nur um ein AVR-Problem. Die Frage wurde aufgewrofen, ob das Kugelhaufenprinzip überhaupt machbar bzw. verantwortbar ist.
- Der THTR Hamm-Uentrop war ein heliumgekühlter Hochtemperaturreaktor mit einer elektrischen Leistung von 300 Megawatt. Nachdem am Versuchsreaktor AVR (Jülich) das Funktionsprinzip des Hochtemperaturreaktors in Kugelhaufen-Bauweise erprobt worden war, wurde der THTR-300 als Prototyp für die kommerzielle Nutzung von Hochtemperaturreaktoren (HTR) gebaut. Er wurde 1983 in Betrieb genommen und im September 1989 endgültig stillgelegt. Zwischen 1985 bis 1989 verzeichnete der THTR-300 störfallbedingt nur 16.410 Betriebsstunden.
Wesentlich häufiger als vorausberechnet gab es Bruchschaden an den Brennelementen: Insgesamt wurden 18.000 beschädigte Brennelemente gefunden, das waren 1000 mal mehr als erwartet. Die Kugeln flossen nicht so wie erwartet. was dazu führte, dass der Reaktor im Zentrum zu heiß wurde. Überheiße Gassträhnen beschädigten vermutlich 36 Haltebolzen der Heißgasleitung, so dass sie 1988 brachen. Nach einem Störfall mit Freisetzung von Radioaktivität am 4. Mai 1986 wurde der THTR vorerst stillgelegt: innerhalb eines kurzen Zeitraums war wegen einer Fehlsteuerung in der Beschickungsanlage eine größere Menge von radioaktiven Aerosolen über den Abluftkamin emittiert worden. Die Auswertung des Aerosolfilters ergab, dass in der Woche vom 28. April bis 4. Mai 1986 – während über Deutschland Tschernobylfallout niederging – zirka zwei Drittel der Aerosol-Aktivität emittiert wurde, die gemäß den Festlegungen des Genehmigungsbescheids innerhalb von 180 aufeinanderfolgenden Kalendertagen abgegeben werden durfte. Die Betreiber behaupteten zunächst, es habe sich um eine normale Abgabe von Radioaktivität im Rahmen des Genehmigungsbescheids gehandelt.
Nach einer weiteren Stillstandsphase geriet der Betreiber im August 1989 an den Rand der Insolvenz, die THTR-Brennelementefabrik in Hanau musste 1988 aus Sicherheitsgründen stillgelegt werden. Aufgrund von sicherheitsrelevanten und wirtschaftlichen Überlegungen sowie wegen des geschwundenen Interesses der Energiewirtschaft an Kugelhaufenreaktoren wurde dann am 1. September 1989 die Stilllegung des THTR-300 beschlossen. Von Oktober 1993 bis April 1995 wurden die Brennelemente in Castor-Behältern in das Transportbehälterlager Ahaus transportiert. Der Reaktor selbst wurde bis 1997 in den so genannten „sicheren Einschluss“ überführt und verursacht weiter Kosten in Höhe von 6,5 Mio. € jährlich. Frühestens 2027, nach Unterschreiten der relevanten Grenzwerte, kann er endgültig abgerissen werden.
Die Kehrseite
- die mechanische, thermische und chemische Beständigkeit der Brennstoffkügelchen und die Dichtheit gegen Austritt von Spaltprodukten lässt eine Wiederaufarbeitung der gebrauchten HTR-Brennelemente sehr kostspielig werden. Eine wirtschaftliche Energieversorgung mit HTR setzt also die Entscheidung für die direkte Endlagerung des Atommülls voraus. Polen besitzt keinerlei Endlagerpläne.
- speziell beim Kugelhaufenreaktor kann durch geringe Verweildauer des einzelnen Brennelements erreicht werden, dass relativ reines Plutonium-239, also für Kernwaffen geeigneter Brennstoff entsteht. Wird der erhöhte Aufwand der Aufarbeitung in Kauf genommen, kann dieser Reaktortyp also ein Proliferationsrisiko darstellen.
Sowohl der Kugelhaufen-Forschungsreaktor in Jülich als auch der nach den damit gewonnenen Erfahrungen gebaute kommerziell betriebene Thorium-Hochtemperaturreaktor THTR-300 wiesen einmal mehr ein Grundproblem der Kernenergie nach: Physikalische Prinzipien allein reichen nicht als Sicherheitsgarant, wenn der Stand der Technik nicht mithalten kann.
Nach dem Scheitern der Technologie in Deutschland gab es weitere Foschungen in Südafrika: Die Regierung stellte allerdings Anfang 2010 die Förderung des Reaktors „PBMR“ ein, da sich weder Investoren noch Kunden für dieses Kugelhaufenreaktorprojekt finden ließen. Internationale Banken verweigerten Kredite für die Weiterführung des Projektes. Ungelöste technische Probleme und ein gravierender Kostenanstieg hatten mögliche Investoren abgeschreckt. 2003 gab die chinesische Regierung bekannt, bis zum Jahr 2020 dreißig Kernreaktoren dieses Typs errichten zu wollen. Der Baubeginn verzögert sich jedoch von Jahr zu Jahr.
Polen besitzt bislang noch keine Atomkraftwerke, hat sich aber für den Bau entschieden. Vom Wirtschaftsministerium in Warschau wurde kürzlich eine Liste von 28 möglichen AKW-Standorten veröffentlicht. Ganz oben steht ?arnowiec, ein kleiner Ort an der Ostsee, einige Kilometer nordwestlich von Danzig, der nach Ansicht der Planer die besten Voraussetzungen bietet. Ein erster AKW-Bau dort war 1982 aufgrund von Protesten eingestellt worden. Auf der Standort-Liste tauchte auch Gryfino auf, südlich von Stettin, nahe der brandenburgischen Grenze. Allerdings erklärte Warschau dazu, dass dort kein AKW gebaut werden solle.
Quellen (Auszug): welt.de, focus.de, de.wikipedia.org, mdr.de (Bild); 12.04.2011