„Energy Roadmap 2050“: 40 neue Atomkraftwerke in der EU?
Trotz des Atomausstiegs in Deutschland plädiert EU-Energiekommissar Günther Oettinger offenbar für den Bau neuer Atomkraftwerke. Im bislang vertraulichen Entwurf der EU für die “Energy Roadmap 2050″ bezeichnet die Kommission die Atomkraft als “wichtigen Faktor”. Unterhändlern zufolge sehen die Details mehrerer Szenarien den Neubau von 40 Kernkraftwerken allein bis 2030 vor. Auch Suventionen für den Neubau können sich die „Experten“ vorstellen. Atomkraftgegner warnen vor einen Rückfall ins Atomzeitalter.
Das Papier soll in der kommenden Woche in Brüssel vorgestellt werden und ein europäisches Gerüst für die nationale Energiepolitik der nächsten Jahrzehnte liefern. Bis Mitte des Jahrhunderts – so hat es die EU beschlossen – soll der Ausstoß der Treibhausgase gegenüber 1990 um mehr als 80 Prozent reduziert werden. In ihrem Fahrplan spielen Oettingers Experten sechs Szenarien durch, wie dieses Ziel zu meistern ist – und in einem davon spielt die Atomkraft eine große Rolle. „Die Atomenergie steht heute für den größten Anteil CO2-freier Energie und sie bleibt ein wichtiger Lieferant klimafreundlichen Stroms zu vergleichsweise niedrigen Kosten“, so das Papier.
„Wir halten dabei weder an der Atomkraft fest noch befürworten wir den Ausbau von neuen Atomkraftwerken“, versucht sich Oettinger nun aus der Affäre zu ziehen. Eines der sechs Szenarien sei „falsch gedeutet“ worden. Unter der Voraussetzung einer deutlich verlangsamten Einführung der CCS-Technik halten die Fachleute einen stärkeren Einsatz von Kernenergie für notwendig, um das für 2050 festgelegte Klimaziel zu erreichen. Bei CCS wird Kohlendioxid aus Kraftwerkabgasen gefiltert und unterirdisch eingelagert, ein großes Forschungsprojekt von Vattenfall wurde kürzlich aus politischen Gründen beendet.
Auch die Zweifel vieler Europäer an der Atomkraft erwähnt der Plan. Oettingers Experten halten sie aber dank neuer Technologien für überwindbar. Vor allem die Risiken der Nukleartechnik würden nach Fukushima nicht akzeptiert werden und die Probleme um die Endlagerung seien ungelöst. „Eine neue Generation der Atomtechnik könnte helfen, die Abfall- und Sicherheitsbedenken zu adressieren“, so das Papier.
Auch eine finanzielle Förderung der Atomenergie in Mitgliedstaaten ähnlich dem Erneuerbare-Energien-Gesetz hält die Kommission Unterhändlern zufolge für möglich. Sie könnte demnach Subventionen für Neuinvestitionen in Atomkraftwerke, zum Beispiel in Großbritannien, erlauben.
„Oettinger hat die Zeit verschlafen“, urteilt Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. „Nach den Reaktorkatastrophen von Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima, die fast unheimlich im Prognosetakt erfolgten, gehöre die Atomkraft auf den Misthaufen der Energiegeschichte.“ Zudem würde auch eine neue Generation der Atomtechnik nicht helfen, die Abfall- und Sicherheitsbedenken zu lösen. „Damit liegt Oettinger gleich doppelt falsch, denn das Festhalten an der Atomkraft wird ein Aufreger wie das Festhalten an ungeeigneten Standorten wie Gorleben.“
Atomkraftgegner warnen vor einem Rückfall ins Atomzeitalter: „Der Neubau von Atomanlagen in der EU gehört verboten, ebenso wie die finanzielle Förderung mit Steuergeldern. Nach den Massenprotesten in Deutschland macht derzeit Frankreich mobil für eine strahlenfreie Zukunft. Oettinger bricht seiner Partei mit derartigen Plänen endgültig das Genick, das werden kommende Wahlen zeigen! Wir fordern von deutschen Regierungsvertretern für die Anliegen ihrer Bevölkerung einzustehen – und das ist der Atomausstieg!“, so Jan Becker von contrAtom.
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Quellen (Auszug): sueddeutsche.de, spiegel.de, bi-luechow-dannenberg.de; 09.12.2011