USA: Neue Meiler nur mit Staatshilfe

Die Atomfans sehen nach deren Scheitern in Europa nun die „atomare Renaissance“ in den USA. Kürzlich wurde der Bau von zwei Reaktoren am Standort Vogtle im Bundesstaat Georgia genehmigt. Doch bei näher Betrachtung ist eine Finanzierung nur mithilfe des Staates möglich – der AKW-Bau politisch motiviert, damit noch lange nicht wirtschaftlich. Kritik gibt es auch am Reaktortypen AP-1000.

In Europa lassen sich neue Atomkraftwerke nicht finanzieren. Wegen der unsicheren Marktlage und der breiten Ablehnung sind geplante Projekte auch langfristig nicht umsetzbar. Besonders nach dem GAU in Fukushima ziehen sich immer mehr Investoren von Atomprojekten wie in Bulgarien oder Polen zurück – und machen den Bau damit unmöglich.

Die USA hat nun erstmals seit 33 Jahren den Bau eines neuen Atomkraftwerks genehmigt. Am 28. März 1979 war es im AKW Harrisburgh-2 zur Kernschmelze gekommen. Aufgrund zahlreicher Pannen und Defekte in den Sicherheitssystemen der Anlage versagte die Kühlung des Reaktors, die hochradioaktiven Brennelemente wurden nicht mehr von Wasser umgeben und schmolzen. Tagelang drohte der Reaktor zu explodieren, Radioaktivität wurde freigesetzt. Ein Unglück, das in dieser Art bis dahin ausgeschlossen wurde. Der Reaktor war erst im Dezember 1978 in Betrieb genommen worden.

Nun stand es am Ende vier Stimmen gegen eine: die Nukleare Regulierungskommission in den USA hat den Bau von zwei Atomreaktoren am Standort Vogtle genehmigt. Mit dem rund elf Milliarden Euro teuren Projekt in Georgia soll eine „atomare Renaissance“ eingeleitet werden, die zwei Reaktoren bereits 2016/2017 in Betrieb gehen. Das Unternehmen Southern Company hat von der Regierung Obama Garantien für Kredite über acht Milliarden Dollar erhalten. Bereits 2010 hatte die Obama-Regierung 2010 ein milliardenschweres Förderprogramm von mehr als acht Milliarden für die Atombranche zugesagt.

Selbst der Vorsitzende der Atomaufsichtsbehörde war wegen Sicherheitsbedenken gegen das Projekt, doch die Atomlobby ist mächtig. Sie ist aufs Engste vernetzt mit dem Regierungsapparat in Washington. Nach der Inbetriebnahme des ersten Reaktors vor 60 Jahren am Idaho National Laboratory investierte die Atomlobby hunderte Millionen Dollar in Kampagnen, damit die Menschen an die Notwendigkeit von Atomkraftwerken glauben.

  • Waren seit dem GAU im Kraftwerk Three Mile Island in Harrisburg 1979 keine neuen Meiler mehr gebaut worden, so wurden doch die Laufzeiten der bereits bestehenden Reaktoren stets verlängert.

Die Nuclear Energy Institute (NEI) ist eine politisch mächtige, weit vernetzte US-Atomlobbyverbund. Seit 2005 hat er 9,53 Millionen Dollar an Kongressabgeordnete überwiesen. Die zuletzt höchste Jahressumme floss im Präsidentschaftswahlkampf 2008 (2,36 Millionen Dollar), im Wahljahr 2010 waren es 1,69 Millionen Dollar. Prompt erklärten am Tag nach der Wahl sowohl Obama als auch der neue Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, dass sie sich bei der Atomkraft so einig seien wie sonst in kaum einem Punkt. In jüngster Zeit argumentierten ihre Anhänger, mit einer weitreichenderen Nutzung der Atomkraft solle die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringert werden, außerdem Energiequellen erschlossen werden, die keine schädlichen Emissionen produzieren. Gewicht hat auch das Arbeitplatzargument, tausende neue Stellen sollen in Vogtle geschaffen werden.

USA: Rege Bautätigkeit am Atomstandort Vogtle/Georgia. Bild: maps.google.de

USA: Rege Bautätigkeit am Atomstandort Vogtle/Georgia. Bild: maps.google.de

Der Reaktortyp AP1000 der Firma Westinghouse, der in Georgia gebaut werden soll, unterscheidet sich nach Betreiberangaben deutlich von den Meilern der 60er, 70er und 80er Jahre, die zurzeit in den USA in Betrieb sind. Er soll wesentlich robuster sein und sowohl Erdbeben als auch Flugzeugabstürze unbeschadet überstehen, so Southern Company. Auch Vorsorge für länger andauernde Stromausfälle – die in Fukushima für den Ausfall des Kühlsystems und die anschließende Katastrophe gesorgt hatten – sei getroffen. So stehe neben dem Reaktor ein riesiger Wasserspeicher, der im Notfall für Kühlwasserzufuhr sorgen könne.

  • Den Traum von „inhärent sicheren Reaktor“ träumte auch schon das französische Unternehmen AREVA mit der Konstruktion des Europäischen Druckwasserreaktors. Auch diese Pläne scheiterten. Die Kosten explodieren, die Inbetriebnahme verzögert sich im finnischen Olkiluoto, das die „nukleare Renaissance in Europa“ einläuten sollte, immer weiter.

Kritiker sehen keinen Lerneffekt aus Fukushima und weisen auf Konstruktionsmängel hin. Das Gebäude sei extrem fest, aber weise kaum Zähigkeit auf, was für Belastungen durch ein Erdbeben oder durch den Einschlag eines Projektils nachteilig sein kann. Computersimulationen und Berechnungen, mit deren Hilfe die Sicherheit nachgewiesen werden sollte, seien fehlerhaft und nicht realistisch. Selbst die Southern Company räumt ein, dass die letzten geforderten Neuerungen wohl erst nach Beginn des Betriebes eingebaut werden könnten – sieht darin aber, wie die Mehrheit der NRC, kein Problem. Ungelöst ist in den USA auch die Frage der Entsorgung des Atommülls. Nach der Aufgabe des Endlagerprojektes Yukka Mountain, das durch 2009 Obama nach Sicherheitsbedenken eingestellt wurden, steht das Land wieder ganz am Anfang. Derzeit lagern die radioaktiven Abfälle in der Regel auf dem Gelände der AKWs selbst, in Zwischenlagern oder in den Abklingbecken.

In den letzten Jahrzehnten waren es aber ökonomische Gründe, die dafür sorgten, dass keine neuen Anträge für den Bau von Atomkraftwerken mehr gestellt wurden. Erdgas war nach dem Auffinden immer weiterer Vorkommen billiger geworden und zu einer Verteuerung der fossilen Energiequellen ist es wegen der Blockade von Klimaschutzmassnahmen wie CO2-Zertifikaten nie gekommen. Das Argument der Betreiber: Gesetze können sich ändern, Erdgas bleibt nicht immer billig, und in den geplanten 60 Jahren Reaktor-Laufzeit wird sich die heutige Investition lohnen.

  • Das finanzielle Risiko trägt also erstmal der Steuerzahler. Die Wall Street hält sich zurück, bislang sind keine Privatinvestoren bekannt. Atomkraftwerke bleiben unwirtschaftlich.

Die USA beziehen 20,2 Prozent ihres Stroms aus Atomkraftwerken. Zwei Dutzend der 104 AKW in den USA haben das gleiche Design wie Fukushima. Dennoch ist die US-Atomindustrie politisch viel stärker verankert als zum Beispiel in Deutschland. Seit vielen Jahren versorgt die Branche beide großen Parteien mit Millionen Dollar an Wahlkampfspenden und verklärt zugleich in irreführenden Werbekampagnen die Atomkraft zur einzigen Lösung der Klimakrise. Die Gegenstimmen bleiben leise, die Medien halten sich zurück, und die Anti-Atomkraft-Bewegung kümmert dahin. Dennoch wollen jetzt rund zehn Anti-Atomkraft-Organisationen gegen die Lizenzvergabe vor Gericht zu ziehen.

Kritik kommt auch aus Deutschland:

„Wer nach den nuklearen Katastrophen in Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima neue Atomkraftwerke genehmigt, hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden“, kritisiert Udo Buchholz von Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) e.V.

  • AntiAtomPiraten: Wie sicher ist das neue AKW-Flaggschiff AP1000?
    In der sieben-Teiligen Artikelreihe wird betrachtet, ob die Kernindustrie und die Atomaufsichtsbehörden inzwischen sensibler mit den Anforderungen zur Sicherheit an neue Kernkraftwerke und deren Genehmigung um gehen und ob bei neu zu erstellenden Anlagen die Lehren aus Fukushima berücksichtigt werden, wie es Politik und Industrie versprechen. Als Beispiel dazu soll das neue Flaggschiff der Reaktorbauer dienen, der AP1000 des Herstellers Westinghouse, bzw. Toshiba.
  • Erdbebenrisiko in US-Atomkraftwerken unterschätzt
    2. September 2011 – Bei dem ungewöhnlich starken Erdbeben in der vergangenen Woche sind 27 mehr als hundert Tonnen schwere Atommüllbehälter im US-Atomkraftwerk North Anna verruscht. Eine Analyse von vorläufigen Regierungsdaten ergab, dass das Erdbeben-Risiko eines ernsthaften Zwischenfalls in amerikanischen AKW erheblich unterschätzt wurde.
  • USA: Inspektion offenbart Mängel in AKW
    10. Juli 2011 – Eine spezielle Inspektion der US-Atomkraftwerke brachte nach der Fukushima Katastrophe in Japan Probleme mit dem Notfallequipment und Katastrophenverfahren zu Tage, die weit tiefgreifender sind als in aller Öffentlichkeit von der Atomregulierungskommission beschrieben.
  • USA: 28. März 1979 – Kernschmelze im AKW Three Mile Island
    28. März 2011 – Im Block 2 des amerikanischen Atomkraftwerks Three Mile Island, in der Nähe von Harrisburg, Pennsylvania, geschah in den frühen Morgenstunden des 28. März 1979 das, was die gesamte Atomzunft bislang für ausgeschlossen hielt: Aufgrund zahlreicher Pannen und Defekte in den Sicherheitssystemen der Anlagen versagte die Kühlung des Reaktors, die hochradioaktiven Brennelemente wurden freigelegt und schmolzen. Tagelang drohte der Reaktor zu explodieren.

Quellen: spiegel.de, taz.de, iaea.org; 10.02.2012