Hintergrund
Strom aus Atomkraftwerken – Energieerzeugung mit Zukunft?
Die in der Öffentlichkeit diskutierte Frage des Klimaschutzes und die latent zumindest vorhandene Angst vor zu Ende gehenden fossilen Energieträgern, wird gerne als Argument für die Zukunft der Atomenergie genutzt. Es entsteht der Eindruck, im Notfall stünde – allen Ängsten zum Trotz – die Atomenergie bereit um die Energieversorgung der Zukunft zu übernehmen.
Das ist falsch.
Allein aus ganz praktischen Gründen wird die Atomenergie nie einen relevanten Beitrag zur Energieversorgung leisten können. Heute hat die Atomenergie einen Anteil am Primärenergieverbrauch der Welt von weit unter zehn Prozent. Die Uranvorräte reichen damit für die heute eingesetzten Kraftwerkstypen weniger als einhundert Jahre.
Würden wir einen weltweiten Anteil von vierzig Prozent Primärenergie aus Atomkraftwerken anstreben, wären die Uranvorräte innerhalb von zehn Jahren erschöpft. Ein Ausweg wären Atomkraftwerke mit Brütertechnologie, deren Brennstäbe sich wieder aufbereiten lassen. Wesentlicher Bestandteil der Brennelemente des Brüters ist das hochgiftige Plutonium, das zudem atomwaffenfähig ist. Weltweit ist die Brütertechnologie praktisch aufgegeben, wegen vieler (sicherheits-) technischer Probleme, aber auch weil der Umgang mit Plutonium sehr schwierig ist.
Stellen wir uns trotzdem einmal vor, wir wollten die Atomenergie als wesentlichen Faktor in einer zukünftigen Energieversorgung ansehen: um den heutigen Energiebedarf zu decken bräuchte es etwa sechstausend Reaktoren, ohne Reserveleistung und ohne die Berücksichtigung der Zuwächse der Zukunft. Dies wären vermutlich noch einmal zwei- bis dreitausend Reaktoren.
Alleine die erste Zahl bedeutet, dass zwanzig Jahre lang praktisch jeden Tag ein Atomkraftwerk in Betrieb gehen müsste. Nehmen wir jede Woche eines in Betrieb, brauchen wir für den Aufbau etwa hundertzwanzig Jahre. In etwa fünfzig Jahren müssen wir aber bereits eine funktionierende neue Energieversorgung haben.
Das Vorhaben wäre aus vielen Gründen undurchführbar. Ganz davon abgesehen, dass die große Zahl von Fachleuten für den Bau der Atomkraftwerke nicht existieren und auch kurzfristig nicht ausgebildet werden kann, müssten parallel Wiederaufbereitungsanlagen, Zwischenlager und Endlager errichtet werden. Ein Brüter erzeugt größere Mengen hochradioaktiven Müll als konventionelle Reaktoren. Es müsste eine Transportinfrastruktur für sehr große Mengen Plutonium mit entsprechenden Sicherungsmechanismen aufgebaut werden. Mit der Anzahl der Atomkraftwerke und der Geschwindigkeit, mit der sie gebaut werden müssten, steigt auch die Fehlerwahrscheinlichkeit.
Fehler darf es aber gerade bei Brütern nicht geben. Geringste Mengen Plutonium genügen um ganze Landstriche für sehr lange Zeiträume unbewohnbar zu machen. Ob wir den kommenden Generationen – neben den bisher bereits existenten Problemen – ein solches Erbe hinterlassen wollen, möchten wir in Frage stellen – es gibt bessere Alternativen.
Ist es wirklich an der wissenschaftlichen Front der Menschheit, um eines vermeintlichen Vorteils weniger Menschen aus ein oder zwei Generationen willen die Mehrheit der Menschen auf tausend Generationen mit den Folgen dieses Tuns zu bedrohen?
Die Kernfusion kommt, falls überhaupt, viel zu spät. Selbst optimistische Fachleute rechnen mit kommerziell verfügbaren Fusions-Reaktoren frühestens in 50 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt müssen neue energiewirtschaftliche Strukturen aber bereits herausgebildet sein und funktionieren. Ein Risiko birgt auch die Kernfusion, die große Mengen an schwach radioaktivem Abfall produzieren würde – für den es Endlager geben muss.
Einen großen strukturellen Nachteil haben Kernfusion und Kernspaltung gemeinsam: Sie eignen sich nur für sehr große Kraftwerke. Große Kraftwerke aber machen nur in Verbundnetzen wirklich Sinn. Dies hat verschiedene Gründe: Muss ein Kraftwerk abgeschaltet werden, übernehmen andere Kraftwerke innerhalb des Netzes die Energielieferung. Je mehr Kraftwerke sich an einem Netz beteiligen, desto sicherer und stabiler wird die Versorgung. Wie groß dieser Nachteil ist, hat zum Beispiel Frankreich in den Winterstürmen 1999 erfahren. Dort mussten die großen Reaktoren abgeschaltet werden und kurzfristig durch tausende dezentraler Generatoren ersetzt werden. In den Industriestaaten mit hohem Bedarf und geringen Entfernungen ist daher eine Vernetzung sinnvoll. Viele Gebiete der Erde weisen aber genau diese Struktur nicht auf (die Frage, warum ein großer Teil der Weltbevölkerung bis heute über keinen Stromanschluss verfügt, ist genau damit zu beantworten).
Je dezentraler die zu versorgenden Einrichtungen sind, desto größer ist der Aufwand der Vernetzung. Es macht daher keinen Sinn, zum Beispiel afrikanische Dörfer mit Kraftwerken der tausend Megawatt-Klasse zu versorgen – abgesehen von anderen Problemen. Selbst in lokalen Kleinnetzen macht dies wenig Sinn, da es unmöglich wäre, die notwendige Reserveleistung sicherzustellen. Dies ist auch der Grund dafür, warum in Flächenstaaten wie den USA oder Frankreich der Strom vergleichsweise häufig ausfällt. Muss ein großes Kraftwerk vom Netz genommen werden, ist gleich eine ganze Region ohne Strom. Zentrale Strukturen können nur begrenzt die Lösung einer globalen und zugleich sicheren Energieversorgung sein.
Im Ganzen erscheint es als unlogisch, dass gerade den Kritikern des Atomprogramms offiziell Erklärungsnot bescheinigt wird. Logisch wäre der sofortige Ausstieg aus der unsinnigen Atomsackgasse!
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