Störfallserie und Schlamperei in deutschen AKW
Nicht nur aus den Atomkraftwerken Neckarwestheim, Gundremmingen und Emsland sind in den letzten zehn Tagen Störfälle gemeldet worden. Der Betreiber des AKW Philippsburg musste ein Ereignis aus 2010 nachträglich in der INES-Bewertung hochstufen. Atomkraftgegner bekräftigen die Forderung nach sofortiger Stilllegung.
Nach mehr als zwei Jahren sind am vergangenen Donnerstag zwei Pannen im Atomkraftwerk Philippsburg bekanntgeworden, die ernster waren als zunächst mitgeteilt. So hat Betreiber EnBW nachträglich ein im Januar 2010 als nicht meldepflichtig eingestuftes Ereignis in Block 2 nun vorläufig als Ereignis der Kategorie E (Eilmeldung) hochgestuft. Nicht etwa dem Betreiber, sondern den Aufsichtsbehörden waren die Defizite aufgefallen.
Es ging damals um Probleme beim Notspeisesystem, das zur Kühlung der Anlage dient. Die betroffenen Armaturen waren im Zuge von Instandhaltungsarbeiten freigeschaltet, also elektrisch abgeschaltet, worden. Durch eine Neuwertung musste der Betreiber jetzt eingestehen, dass die formalen Kriterien für ein Meldepflichtiges Ereignis erfüllt waren. EnBW war fälschlicherweise davon ausgegangen, dass der Notstromdiesel und damit die Menge an anfallendem erwärmtem Wasser in den zugehörigen Wasserbecken durch die Kühlung dieser Notstromdiesel gegeben sei. Im Verlauf des nun unterstellten Störfallszenarios wäre in den Wasserbecken allerdings ein Temperatur-Grenzwert erreicht worden, ab dem das Notspeisesystem formal als nicht verfügbar zu betrachten wäre. Anfang 2011 war in einem anonymen Schreiben, das bei verschiedenen öffentlichen Stellen eingegangen war, die Meldepflicht-Einstufung dieses sowie zweier weiterer Ereignisse in Frage gestellt worden.
- „Es ist uns ein Fehler passiert“, wertet ein Sprecher von EnBW die Umstände.
Das baden-württembergische Umweltministerium teilte außerdem mit, dass Gutachter bei der Untersuchung eines bereits gemeldeten Ereignisse vom Mai 2009 beim gleichen Block über mehr als zwei Wochen Mängel beim Feuerlöschsystem festgestellt hätten. Es seien zahlreiche Betriebsvorschriften nicht beachtet worden.
Im abgeschalteten Block 1 des AKW Philippsburg wurde bei einem routinemäßigen Rundgang eine Undichtigkeit an einer Hilfsleitung des Nebenkühlwassersystems festgestellt. Das System hat die Aufgabe, verschiedene Systeme der Anlage wie die Notstromdiesel mit Flusswasser aus dem Rhein zu kühlen. Laut Betreiber EnBW wurde die Leckage umgehend behoben. – mehr
Im abgeschalteten Block I des Atomkraftwerk Neckarwestheim-1 wurden im Rahmen von routinemäßigen Prüfungen im Abstand von fünf Wochen in zwei Steckern an Messleitungen von Notstromdieseln Kontaktprobleme festgestellt. – mehr
Im Atomkraftwerk Gundremmingen-C wurde im Rahmen einer wiederkehrenden Prüfung bereits am 15.03. an einem Motorlager einer Hochdruckpumpe des dreifach vorhandenen nuklearen Nachkühlsystems eine Temperaturerhöhung gemessen. Der Motor musste daraufhin ausgetauscht werden. – mehr
RWE meldet aus dem AKW Emsland, dass bei einer Prüfung in einem Teilbereich des Feuerlöschsystems ein Löschwasserventil nicht öffnete. Ursache sei eine abgesperrte Steuerleitung gewesen. Die Funktionsfähigkeit wurde umgehend wieder hergestellt und die Prüfung anschließend erfolgreich wiederholt. Warum das Ventil abgesperrt war, nennt RWE nicht. – mehr
Die Pannenserie im französischen Atomkraftwerk Cattenom nahe der deutschen Grenze hält an. Am vergangenen Donnerstag wurde erneut ein Zwischenfall gemeldet: In einer Stromleitung außerhalb des Kraftwerks sei ein elektrischer Fehler aufgetreten. Es habe zwei Stunden gedauert, bis der Fehler gefunden worden sei – doppelt so lange wie vorgeschrieben. – mehr
In Spanien wurden 55 Mitarbeiter von privaten Sicherheitsdiensten festgenommen, die weder die erforderliche Ausbildung absolviert hatten noch über die vorgeschriebenen Zeugnisse verfügten. Die Wachleute hatten gefälschte Diplome für 600 bis 1800 Euro erworben – und waren u.a. zum Schutz des Atomkraftwerk Almaraz im Südwesten des Landes eingesetzt. – mehr
Im tschechischen AKW Temelin ist eine Leckage aufgetreten. In Block 2 wurde eine „Betriebspanne“ an der Stopfbuchse einer Hilfspumpe festgestellt, die fürs Pumpen von Wasser in den Primärkreislauf verwendet wird. Das Wasser wurde in ein Sammelbecken abgeführt und die Pumpe nach dem Anlaufen von einem der zwei Reserve-Systeme abgeschaltet. – mehr
Alle Ereignisse – ausgenommen der Hochstufung in Philippsburg, wo eine Bewertung noch aussteht – wurden von den Betreibern auf der internationalen Skala zur Bewertung von Ereignissen in Atomanlagen in die niedrigste Kategorie eingestuft.
Atomkraftgegner sehen die vielen Ereignisse, vor allem die Schlamperei im AKW Philippsburg als einen weiteren Hinweis für das unverantwortliche Handeln der Betreiberfirmen:
„Sicherheit ist nicht das höchste Gut, wie es einer Hoch-Risikotechnologie wie der Atomkraft zustehen muss. Die Betreiber denken in erster Linie wirtschaftlich. Das kann bei bestimmten Situationen verheerende Folgen haben“, so Jan Becker von contrAtom. „Wir fordern den sofortigen Entzug der Betriebserlaubnis für alle Atomkraftwerke und damit ihre Stilllegung.“
- Deutschland auf Atomunfall wie in Fukushima nicht ausreichend vorbereitet
17. März 2012 – Deutschland ist auf einen Atomunfall wie in Fukushima nicht ausreichend vorbereitet. Dies berichtet das Nachrichten-Magazin “Der Spiegel” in seiner am Montag erscheinenden Ausgabe. Radioaktive Stoffe würden demnach weit größere Räume verseuchen als bislang angenommen, ganze Städte müssten evakuiert werden – dies sei “nicht in der Notfallplanung vorgesehen”, heißt es in einer bislang unveröffentlichten Studie des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS).
- Studie: Schwere AKW-Unfälle wahrscheinlicher als angenommen
1. März 2012 – Die Wahrscheinlichkeit für schwere Unfälle in einem Atomkraftwerk ist größer ist als bisher angenommen. Atomaufsichten und Wissenschaft gehen bei der Einschätzung des Risikos von mangelhaften Sicherheitsanalysen aus. Eine Studie im Auftrag von Greenpeace deckt erhebliche Mängel in der sogenannten Probabilistischen Risiko-Analyse (PRA) auf.
- Vor zehn Jahren: Massive Verstöße gegen Sicherheitsbestimmungen im AKW Philippsburg-2
10. August 2011 – Vor zehn Jahren sind im Atomkraftwerk Philippsburg-2 Füllstände in Flutungsbehältern des Notkühlsystems unterschritten worden. Das hätte im Falle der Anforderung zu einem Versagen des Notkühlsystems führen können. Der Betreiber EnBW schaltete den Reaktor Philippsburg-2 aber nicht ab – ein schwerer Verstoss gegen die Sicherheitsbestimmungen.
Quellen: div. contratom.de/nachrichten, EnBW, badische-zeitung.de; 21.03.2012