Interview mit polnischen AtomkraftgegnerInnen
Vom 20. bis 22. Mai 2012 besuchten wir mit einer deutschen Delegation (Liesbeth und Nadja vom AntiAtomBündnis Nordost aus Greifswald sowie Bernd von contrAtom) polnische AtomkraftgegnerInnen im Raum Jelenia Gora/Hirschberg. Dabei entstand folgendes Interview.
Die Republik Polen plant zukünftig einen Teil des Energiebedarfes mit Atomenergie zu produzieren. Was hältst Du davon?
Radek aus Wroclaw: Gar nichts. Ein Großteil der Menschen in Polen ist gegen Atomenergie. Die Regierung meint, dass das nützlich und ökonomisch sei.
In Kopan, Nowe Miasto, Warta-Klempicz, Zarnowiec und weiteren 22 Standorten wird der Bau von Atomkraftwerken vorgeprüft. Weißt Du, ob es in den dortigen Regionen Proteste gibt?
Radek: Zarnowiec ist der erste Ort in Polen gewesen, wo ein Atomkraftwerk gebaut werden sollte und auch mit dem Bau 1982 angefangen wurde. Es gab sehr viele Proteste dagegen. Festivals wurden veranstaltet. Es gab Infoveranstaltungen und Demonstrationen. Schließlich konnte der Bau 1989 gestoppt werden.
An allen Standorten ist ein Großteil der Bevölkerung gegen den Bau und die Nutzung von Atomkraftwerken, oft über 90 %.
In Warschau wird von der Regierung entschieden, dass Atomkraftwerke gebaut werden sollen und dass in Niederschlesien Uran abgebaut werden soll. Die Menschen in den Regionen interessieren sie nicht. Sie schauen gar nicht über Warschau hinaus.
Es gibt in Niederschlesien 92 mögliche Abbauorte für Uran. Diese Region lebt zum Großteil von Tourismus. Wenn hier wirklich Uran abgebaut wird, wird nicht nur die Umwelt zerstört, sondern auch der Tourismus. Die Region wäre komplett abhängig von der Uranindustrie. Die Menschen hier wollen das nicht. In Jelenia Gora und Stara Kamienica fanden Demonstrationen statt.
Sylwia und Tomasz, Ihr lebt in der Nähe von Jelenia Gora am Fuße des Riesengebirges. Hier wurde früher durch die Sowjets Uran abgebaut. Wo genau war das und wann? Welche Folgen hatte der Uranabbau? Durch eine kanadische Firma sollen Probebohrungen durchgeführt werden, um neue Lagerstätten von Uranerz zu erkunden, was ist der Stand der Dinge?
Sylwia und Tomasz: Es ist sehr schwer an genaue Informationen zu kommen, welche Firma was wann in der Region plant. So etwas steht nicht in der Zeitung. Es wurden viele Unterschriften gesammelt gegen die Probebohrungen. Eine australische Firma möchte abkaufen, was aus den Bergen schon rausgeholt wurde. Der Gesteinsschutt hier enthält sehr reines Uran, das sie daraus gewinnen möchten. (In einem Magazin über Mineralien zeigen sie uns eine Karte wo aufgeführt ist, wie viele Tonnen Uran früher wann und wo abgebaut wurden.)
Auch mit anderen Energieformen gibt es hier Probleme, z.B. Erdgas. Es gibt in Polen viele Erdgasvorkommen und die Regierung fördert die Erkundung. Firmen können dort tätig werden, ohne das Land kaufen zu müssen. Die Grundwasserbelastung durch Chemikalien, die beim Fracking eingesetzt werden, ist sehr hoch.
Deutschland hat Verträge mit Russland geschlossen, um einen energetischen Transfer zwischen den Ländern zu gewährleisten. Die Gaspipeline von Gazprom führt durch die Ostsee an Polen vorbei nach Deutschland. Wie reell ist die Angst bei den Menschen in Polen, dass sie wieder einmal zwischen den 2 großen Mächten mit ihren Bedürfnissen übersehen, bzw. übergangen werden?
Ja, das ist eine sehr reelle Angst vieler Menschen hier nach wie vor. Teilweise trauen sich die Leute nicht ihre Häuser zu renovieren, aus Angst ihnen könnte wieder alles weggenommen werden.
Sylwia, Du hast berichtet das die polnische Regierung eine massive Werbekampagne in den Medien zur positiven Darstellung der Atomenergie durchgeführt hat, wie sah das konkret aus?
Es wurden 20 Mio. Z?oty (etwa 4,5 Mio. €) in eine große Werbekampagne fürs Fernsehen investiert, worin die Vorteile der Atomenergie dargestellt werden. Aber die Zeichen sind anders. Wir haben Tschernobyl erlebt und zuletzt Fukushima. Das sagt doch eigentlich alles.
Hier in der Region haben Freunde von Euch die Grüne Partei mit aufgebaut. Welche Möglichkeiten seht ihr, politisch etwas zu verändern in Polen?
Wichtig ist, die kommunistische Geschichte Polens zu betrachten. Der Kommunismus bedeutete viel Unfreiheit und Unterdrückung. Wir zweifeln an der linken Partei und das gilt somit auch für die Grüne Partei, weil diese zusammenhängen. Die Menschen hier wollen das nicht. Die Grüne Partei ist sehr schwach und hat nur wenige Mitglieder. Das Hauptproblem in Polen ist, dass es nur sehr wenige gute Leute gibt, die wir wählen können. Die Menschen wählen das kleinste Übel. Die Politiker und Politiker_innen sind oft nur wie Marionetten. Und wenn sie heute noch in der einen Partei waren, sind sie morgen schon in einer anderen oder die ganze Partei wechselt die Richtung. Daher ist es sehr kompliziert. Wir haben wenig Vertrauen in die Politik. Es gibt dort keine verlässlichen Größen.
In Deutschland gibt es die Möglichkeit, sich seinen Stromanbieter selbst zu wählen und somit nur Strom aus regenerativen Energien zu beziehen. Gibt es diese Möglichkeit in Polen?
Die Regierung sagt, dass mit Grünen Energien die Versorgung nicht funktioniert. Und es gibt viele leere Versprechungen. Z. B. sprechen sich viele Menschen in Polen für Biomasseproduktion aus. Die Energiekonzerne sagen dann auf dem Papier, dass sie das umsetzen werden. Es wird aber nicht gemacht. Eigeninitiativen haben von Anfang an keine Chance, weil Genehmigungsprozesse zu lange dauern, und die Konzerne halten es für sich zu unrentabel. „Tauron“ und „Energy Pro“ haben eine Umfrage gemacht. Sie würden kleine alternative Kraftwerke kaufen, wollen aber zu wenig Geld dafür geben. Es gibt im Prinzip keine Unterstützung für alternative Energieformen. Europäische Gelder werden nicht weitergegeben. Sie bleiben in der Verwaltung hängen oder werden gar nicht erst abgerufen. Die Entwicklung ist so sehr schwerfällig. Unsere Energienetze sind so marode, dass wir allein 70 % Energie sparen könnten durch deren Sanierung. Ein Mensch hat ein System für Privathaushalte entwickelt, um selber regenerativen Strom erzeugen zu können. Der Strom kostet dann nur 20 bis 25 % von dem, was sonst bezahlt wird. Das wird nicht gefördert, weil damit kein Geld verdient werden kann.
Gibt es in Polen die Möglichkeit, eigene Energie-Genossenschaften zu gründen, um selber Regenerative Energien zu produzieren?
Radek: Das funktioniert in Polen nicht.
Sylwia: Das Hauptproblem ist, dass das Verwaltungssystem viel zu kompliziert ist. Mit einer Auflage und Genehmigungszulassungen kommen weitere. Am Anfang sagen die Beamten ja, später nein. Viele Projekte dauern länger als 5 Jahre bis man allein eine Genehmigung bekommt, um sie realisieren zu können. Das macht sehr müde. Die Eigeninitiative von Leuten ist eher schwach. Alle Leute, die über etwas Alternatives nachdenken, werden als bescheuert oder verrückt bezeichnet. Wir haben ein Jahr auf die Genehmigung gewartet, dass wir bei uns auf dem Grundstück ein kleines Windrad (1 kW Leistung) aufstellen dürfen. Als das Projekt fertig gestellt und funktional war, haben alle behauptet, dass sie das Projekt unterstützt hätten. Vieles ist sehr paradox.
Ein Freund in Stettin meint, allein das Wort Ökologie schreckt die Menschen eher ab und keiner hört einem mehr zu, wenn man davon anfängt zu reden. Seht ihr das hier ähnlich?
Es ist tatsächlich problematisch. Wenn man von sich sagt, man sei Ökologe, denken die Leute sofort an Ökoterrorismus und an brennende Autos. Wichtig sind Netzwerke. Dass wir uns heute hier treffen, ist ein Startpunkt hin zu etwas. Immer mehr Leute hier werden aktiv, auch in Umweltthemen und es ist die Frage, wo das jetzt hingeht. Guerilla-Action und Graswurzelorganisationen sind in allen Regionen Polens zu finden. Es gibt bei uns z.B. auch eine sehr starke Anti-Gentechnik-Bewegung.
Die Vernetzung ist wichtig, auch international. Über die Graswurzelnetzwerke hinaus gibt es in Polen leider nur wenig Bewusstsein für ökologische Themen und es fehlt der Verknüpfungspunkt zu den uninteressierten Menschen. Wir versuchen die Menschen zu verändern über das Vorleben unserer Welt mit den Dingen die uns wichtig sind.
Polnische Websites zum Thema:
- Erneut Einsprüche gegen Polens Atomprogramm möglich
6. Februar 2012 – Polen hat weitere Standorte in die Pläne für ein Atomprogramm aufgenommen. Gaski, etwa 100 Kilometer östlich der deutschen Grenze an der Ostsee ist als möglicher Ort für den Bau einer Atomkraftwerks ausgewählt worden. Nun können erneut Einsprüche gegen die Pläne erhoben werden – Anfang Januar waren 50.000 bereits übergeben worden.
- 50.000 Einwendungen gegen polnische Atomkraftwerke
6. Januar 2012 – Gegen den geplanten Bau von Atomkraftwerken in Polen sind am Mittwoch der polnischen Botschaft in Berlin mehr als 50.000 Einsprüche von Bundesbürgern überreicht worden. Die Kritik richte sich in den meisten Fällen gegen den Einstieg Polens in die Atomenergie überhaupt und gegen die unzureichende Qualität der im Nachbarland durchgeführten Umweltprüfungsverfahren beim Bau von Atomkraftwerken.