Atomindustrie: „Gefahr für die Welt“ durch russische Atomanlagen jahrelang ignoriert
Deutsche Atomkonzerne haben seit Jahren Warnungen der russischen Atomindustrie vor steigenden Störfallzahlen ignoriert. Das berichtet die „Süddeutsche Zeitung“. Putins Generalsekretär hatte 2004 auf einem Geheimtreffen vor einer „Gefahr für die Welt“ durch russische Atomanlagen gewarnt. Die Information wurde „streng vertraulich“ ignoriert. Atomkraftgegner sehen einen weiteren Beweis dafür, dass unbequeme Nachrichten von der Atomindustrie bewusst verschwiegen werden und fordern die Bundesregierung auzf, die Zuverlässigkeit der Konzerne zu prüfen.
„Die Großmacht Russland fürchtet um die Sicherheit ihres Nuklearbestandes“ – „Atomares Arsenal außer Kontrolle“. So hätten die Schlagzeilen vor acht Jahren nach einem geheimen Treffen der deutschen AKW-Betreiber E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW mit dem damaligen russischen Generalsekretär Waleri Bogomolow in Berlin lauten können. Stattdessen schwiegen die Konzerne lieber und liessen die brisanten Informationen in Aktenschränken verschwinden. Zu der Zeit konnte die deutsche Atomindustrie solche Schlagzeilen nicht gebrauchen, denn es wurde gerade an der Laufzeitverlängerung für die eigenen Reaktoren gearbeitet. „Alles sicher“, „alles unter Kontrolle“ waren der wichtigsten Slogans im Punkto Atomkraft.
Die Nachrichten waren aber höchst brisant:
- In Russland, so Bogomolows Botschaft, gebe es so viele nukleare Hinterlassenschaften aus zivilen und militärischen Beständen, dass diese vom Staat kaum noch kontrollierbar seien. Mehr als 200 nukleare Reaktoren, 2.000 Lager für radioaktive Abfälle und Materialien sowie 5.200 große nukleare Quellen gäbe es. Die russische Regierung könne deren Schutz kaum noch gewährleisten. Binnen eines Jahres seien die Unregelmäßigkeiten in der russischen Nuklearindustrie um 47 Prozent gestiegen, die Zahl der Störfälle in AKW und Brennstoff-Anlagen sogar um 84 Prozent. Es drohe der Welt Gefahr.
2004 rief der mächtige Industrieriese mit dieser Offenbarung Deutschland um dringende Hilfe, die Lage sei „in mehrfacher Hinsicht besorgniserregend“. Die deutsche Atomindustrie arbeitet eng mit der russischen zusammen, auch Siemens kooperiert mit Rosatom – neben Mitsubishi, Toshiba, Areva und General Electric einer der führenden AKW-Hersteller der Welt. Doch passiert ist offenbar nichts.
Atomkraftgegner sind entsetzt über diese Nachricht:
„Jahrelang haben die Atomkonzerne von dramatischen Zuständen in den russischen Atomanlagen gewusst und diese verschwiegen. Die deutschen AKW-Betreiber arbeiten unermüdlich an einer vermeintlich ‚weissen Weste‘, indem sie unbequeme Nachrichten verschweigen, leugnen oder vertuschen“, so Jan Becker. „Das russische Atomarsenal und die AKWs sind außer Kontrolle – bei einem schweren Unfall wäre die ganze Welt betroffen. RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW haben nichts Besseres zu tun, als ihre eigenen Geschäftinteressen – Wirtschaftlichkeit vor Sicherheit – zu wahren. Wir fordern eine umgehende Untersuchung dieser Vorfälle und Intervention der Bundesregierung: die Zuverlässigkeit der AKW-Betreiber muss sofort auf den Prüfstand, denn sie handeln fahrlässig gegenüber der Bevölkerung!“
- Katastrophale Zustände in russischen AKW
22. Juni 2011 – Ein neuer bisher nicht veröffentlichter Bericht der russischen Atombehörde offenbart wichtige Sicherheitslücken in den Atomkraftwerken Russlands. Konkret geht es um Schutz gegen Naturkatastrophen wie Erdbeben, gegen die die zehn Atomstandorte nur sehr schlecht gesichert sind. Russlands Premier Wladimir Putin hingegen bekräftigt nocheinmal, dass Atomenergie für Russland unverzichtbar ist.
Quelle (Auszug): sueddeutsche.de; 26.06.2012