Kraftwerksbau: Die Nukleare Renaissance existiert nicht
Das Referenz-Kraftwerk in Finnland sollte die Renaissance der Atomkraft einläuten: Die FAZ berichtete am Samstag, 05.02.2011, über Probleme beim Bau der Prestigereaktoren Olkiluoto-3 (Finnland) und Flamanville-3 (Frankreich). Es handelt sich um zwei „Europäische Druckwasserreaktoren“ (EPR), die von Areva und Siemens gebaut werden, auch mit Beteiligung bzw. Interesse der deutschen Stromkonzerne.
Olkiluoto-3
Es war der ersten Reaktorneubau in Europa seit der Tschernobyl-Katastrophe 1986. Das Kraftwerk sollte – schlüsselfertig zum Festpreis angeboten – drei Milliarden Euro kosten, bis heute hat sich diese Summe wegen Verzögerungen beim Bau und fehlenden Einnahmen durch Stromerlöse auf mindestens 5,3 Milliarden Euro fast verdoppelt. Grundsteinlegung für Olkiluoto-3 war im September 2005, sieben Monate später lagen die Bauarbeiten sechs Monate hinter dem Zeitplan. 2009 sollte der Reaktor betriebsbereit sein – nun planen die Verantwortlichen mit 2013.
Der EPR zeichnet sich gegenüber früheren Reaktortypen vor Allem durch ein verändertes Sicherheitskonzept aus. Nach Ansicht der Hersteller führt dieses Konzept zu einer etwa 100 Mal geringeren Eintrittswahrscheinlichkeit für Unfälle sowie einem besseren Störfallmanagement gegenüber heutigen Druckwasserreaktoren. Was allerdings den radioaktiven Abfall betrifft, gibt es keinen Unterschied zu den vorherigen Druckwasserreaktoren. „Der Reaktor ist groß statt sicher“, die elektrische Leistung von 1.600 Megawatt stellt nach Ansicht der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) eine Abkehr von der einst geforderten „inhärenten Sicherheit“ dar. Doch um die Stromkosten nicht völlig ausufern zu lassen, setzt man bei AREVA NP, ein Konsortium aus der deutschen Firma Siemens und dem französischen Atomkonzern Areva „mehr auf supergroß als auf supersicher“.
Die wesentliche Neuentwicklung des EPR ist das keramische Auffangbecken für die im Falle einer Kernschmelze verflüssigten Brennstoffe. In dieses Becken unterhalb des Reaktorkerns soll die hochradioaktive Schmelze abfließen und gekühlt werden. Der IPPNW hält dieses zentrale Sicherheitssystem für nicht überzeugend. Einerseits müsste das Becken absolut trocken sein, wenn sich die Schmelze darin ausbreiten soll, weil es sonst zu gefährlichen Dampfexplosionen kommen könnte. Andererseits müsste zur Kühlung der Kernschmelze diese anschließend gezielt mit Wasser bedeckt werden, was aber die gefürchteten Dampfexplosionen geradezu herbeiführen kann.
Verzögerungen, poröser Beton, Kostenexplosion, Qualitätsmängel, …
Zunächst war der Beton des Reaktorfundaments porös. Dann bestand der in Japan entstehende Reaktorkessel mehrere Tests nicht. Undichte Schweißnähte. Schließlich rügte das finnische Strahlenschutzamt Stuk die Bauherren, einige ihrer Subunternehmer verstünden „die Qualität nicht, die ein Reaktorprojekt notwendig macht“. Zuletzt kamen auch noch Diskussionen auf über die noch ungelöste Frage der Endlagerung des Atommülls, für den auf Olkiluoto ein unterirdisches Depot entstehen soll.
Auf Druck eines „hohen Beamten im Verteidigungsministerium“ wurde im September 2005 die Veröffentlichung eines Dokuments verhindert, nachdem der EPR einem Anschlag wie am 11. September 2001 in New York nicht standhalten würde.
Im November 2009 wurde bekannt, dass die Rohre des Kühlsystems zumindest teilweise unter Verstoß gegen Bauvorschriften verschweißt worden. Sollte das Kühlsystem vollständig neu verlegt werden müssen, würde das nach Einschätzung des Bauherrn die Fertigstellung des bereits um drei Jahre verspäteten Baus um weitere drei Jahre verzögern.
Eine Studie der britischen Consulting-Firma Large & Partner, einem unabhängigen Berater der Atomindustrie, kommt zu dem Ergebnis, dass die Sicherheit der neuen Anlage vom zuständigen Handelsministerium und der Strahlenschutzbehörde nicht ausreichend geprüft und die Baugenehmigung vorschnell erteilt worden ist: das Genehmigungsverfahrens hätte nur ein Jahr bei einer Bauzeit von fünf Jahren betragen. In den Vereinigten Staaten etwa werden dafür drei respektive sieben bis acht Jahre veranschlagt. Die Studie kommt zu dem Schluss, das keine Genehmigung erteilt werden durfte. Greenpeace Finnland reichte deshalb am Tag der Grundsteinlegung Klage ein.
Finanzielles Debakel
Der EPR-Reaktor Olkiluoto-3 wird zu 25 Prozent von sechs Anteilseignern der TVO, allesamt finnische Unternehmen der Energie- und Holzindustrie, einem Kredit über 1,95 Milliarden Euro durch ein internationales Bankenkonsortium, das angeführt wird von der Bayerischen Landesbank, sowie 610 Millionen Euro Exportkredit der französischen Regierung finanziert. Standard & Poor’s, eine Gesellschaft zur Bewertung und Analyse von anderen Unternehmen und Gesellschaften, stellte fest, das Kreditrisiko für Atomkraftwerke sei aufgrund schwer prognostizierbarer Kosten, unberechenbarer Gefahren und schlechtem Image der Branche nach wie vor zu hoch. Wenn Olkiluoto-3 also zeigen soll, wie es gemacht werden soll, dann könnte die Kreditgarantie für TVO von der französischen Regierung – immerhin mit 610 Millionen Euro die zweithöchste aller Zeiten – eindeutig gewertet werden: Ohne staatliche Subventionen lässt sich Kernenergie offenbar immer noch nicht finanzieren. In diesem Fall zahlt der französische Steuerzahler mit.
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Flamanville-3
Die ursprünglich mit 3,3 Milliarden Euro bezifferten Baukosten werden jetzt auf mehr als vier Milliarden geschätzt. Als Grund wurden neben den höheren Kosten für Rohstoffe auch die Aufwertung des Euro und eine Reihe von technischen Problemen genannt.
Ende 2008 wurde veröffentlicht, dass die Megawattstunde Strom 55 Euro kosten und nicht 46 Euro, wie noch vor zwei Jahren berechnet. Damit verschwinde der Kostenvorteil vor Strom aus Gas oder Kohle. Strom aus abgeschrieben, alten französischen AKW kostet etwa 37 Euro je Megawattstunde.
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