Mülheim-Kärlich: RWE trickst beim AKW-Abbau
In Mülheim-Kärlich steht eine AKW-Ruine, die nach fast zehn Jahren Bauzeit nur 30 Monate in Betrieb war und wegen eines fehlerhaften Baugenehmigungsverfahrens zwangsabgeschaltet wurde. Seit 2001 läuft der Abriss – und soll sich laut Betreiber RWE noch bis mindestens 2021 hinziehen. Atomkraftgegner werfen dem Energiekonzern Tricksereien vor.
Baubeginn war 1975, die Inbetriebnahme erfolgte am 1. März 1986. Am 9. September 1988 wurde das einzige Atomkraftwerk in Rheinland-Pfalz nach zahlreichen Gerichtsprozessen nach knapp zwei Jahren im Probe- und genau 100 Tagen im Regelbetrieb auf Anordnung stillgelegt. Wichtigster Kritikpunkt: vernachlässigtes Risiko durch Erdbeben. Die Baukosten betrugen 3,58 Milliarden Euro, ursprünglich sollte sogar ein weiterer Block am Standort entstehen. Zwar erteilte die rheinland-pfälzische Landesregierung 1990 eine veränderte Baugenehmigung, das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hob sie 1995 aber wieder auf. Letztinstanzlich bestätigte das Bundesverwaltungsgericht 1998 den Entzug der Betrieberlaubnis: die Erkenntnisse über die Erdbebengefährdung hätten ein vollständig neues Genehmigungsverfahren erfordert. Erst 2001 gab RWE das Kraftwerk auf und entfernte 2002 den Brennstoff, der in die Wiederaufarbeitungsanlagen abtransportiert wurde. Bis zum Sommer 2002 waren in 18 Behältern insgesamt 209 abgebrannte Brennelemente nach La Hague gebracht worden. Seit 2004 läuft offiziell der „Rückbau“.
Elf Jahre später werfen Atomkraftgegner der Bürgerinitiative gegen das AKW Mülheim-Kärlich dem Konzern „Trickserei“ vor: Der Umfang der Teilgenehmigungsverfahren sei bewusst verkleinert worden, um gezielt eine Öffentlichkeitsbeteiligung auszuschließen.
„Mit Aufteilung in kleine Genehmigungsschritte, wie aktuell mit dem Antrag auf Abbau von vier Kühlmittelpumpen, hebelt RWE die gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung der Öffentlichkeit aus, denn kleine Abbaumaßnahmen erfordern nicht zwingend eine Erörterung“, so Elke Sodemann-Müller, Sprecherin der Bürgerinitiative in der „Rhein-Zeitung“.
Am vergangenen Wochenende fand in der Urmitzer Mehrzweckhalle eine Informationsveranstaltung zum Rückbau statt. Dort schloss sich auch die rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerin Eveline Lemke dieser Kritik an: Es seien im Verfahren „Defizite, die mit den gesetzlichen Regelungen zusammenhängen“. Trotzdem müsse ihre Behörde die Genehmigungen erteilen. Lemke versprach aber ein „transparentes Verfahren und umfassende Aufklärung“.
Atomkraftgegner weisen darauf hin, dass die Beteiligung der Öffentlichkeit ein wichtiges Kontrollmittel ist. Beim Rückbau sollen 1.800 Tonnen radioaktives Material anfallen, das einem Endlager zugeführt werden muss. Etwa 16.000 Tonnen verstrahlten Gesamtmasse könne laut RWE „gereinigt“ und dann „freigemessen“ werden. Dieser Müll wandert zum Beispiel im Zuge der Wiederverwertung von Wertstoffen in Kochtöpfe, Zahnspangen oder Uhren. Um den Abbauprozess kritisch zu begleiten und RWE auf die Finger zu schauen, sei also eine förmliche Öffentlichkeitsbeteiligung angebracht. Auch wenn das AKW schon seit Jahren abgeschaltet ist, sei die „Wächterrolle“ noch lange nicht beendet.
Langfristig soll der radioaktive Abfall im Schacht Konrad untergebracht werden. Doch das Endlager ist nicht in Betrieb und eine Inbetriebnahme verzögert sich weiter – auch wegen umfassender Bedenken zur Sicherheit. Niedersachsens Umweltminister Birkner spricht schon von einem Betriebsbeginn nicht vor 2024. An der Abnahme der radioaktiven Abfälle hängt der vollständige Abbau des Meilers Mülheim-Kärlich – der laut RWE nun nicht vor 2021 abgeschlossen sein könne. Als letztes soll der verseuchte Reaktorbehälter ausgebaut und zersägt werden. Die atomare Ära ist also noch lange nicht vorbei.
- Abbau des AKW Obrigheim kritisch begleiten
17. September 2012 – Der Abbau des 2005 abgeschalteten Atomkraftwerks Obrigheim schreitet voran, aber Risiken und Gefahren bestehen weiter, denn die abgebrannten Brennelemente befinden sich noch in der Anlage und beim Abbau fällt radioaktives Material an. Atomkraftgegner rufen dazu auf, den Abbau weiter kritisch zu begleiten und laden zu einem “Sonntagsspaziergang”.
- Biblis, Neckarwestheim und Philippsburg werden abgerissen – was fehlt ist ein Konzept
9. August 2012 – Es werden endlich Fakten geschaffen: die AKW Betreiber RWE und EnBW haben Anträge gestellt, die stillgelegten Atommeiler Neckarwestheim-1, Philippsburg-1 und Biblis A und B abzureissen. Es wird Jahrzehnte dauern, bis tausende Tonnen Schutt und radioaktiver Abfall entsorgt sind. Denn es fehlt ein Konzept, mehr als ein Jahr nach der Stilllegung ist bei keiner der atomrechtlich zuständigen Landesbehörden ein konkretes Stilllegungskonzept eingegangen. Und die Sicherheit bleibt auf der Strecke.
- Greenpeace: Versorger haben zu geringe Atom-Rücklagen
11. April 2012 – Allein der “grobe” Rückbau von Atomanlagen dauert mindestens 20 Jahre. Und schon dafür kann das Geld, was seit Jahren von den Betreiberkonzernen der AKW steuerfrei als Rücklage gebildet wird, nicht ausreichen. Laut einer Greenpeace-Studie ist es nämlich nicht krisensicher, weil die Konzerne es nicht zurücklegen mussten, sondern investieren durfen.
- Schwachradioaktiver Atommüll landet in alten Bergwerken und auf Deponien
26. Januar 2012 – Alle reden von Schacht Konrad, wenn es um den Abbau von Atomkraftwerke geht, denn dabei fallen bekanntlich erhebliche Mengen schwach-radioaktiver Stoffe an. Diese sollen im ehemaligen Erzbergwerk bei Salzgitter unter die Erde gebracht werden – dessen Inbetriebnahme wegen Sicherheitsbedenken aber seit Jahren blockiert wird. Doch tatsächlich landen schon heute große Mengen radiaoktives Material “freigemessen” auf Hausmülldeponien oder in Untertagedeponien.
- AKW-Abriss wird teurer und dauert länger
5. November 2011 – Am Beispiel des alten DDR-AKW Rheinsberg zeichnet sich ab, dass der Rückbau alter Meiler viel teurer wird als geplant und länger dauert als erwartet. Noch bis 2069 soll die Ruine nördlich von Berlin existieren. Dabei handelt es sich eigentlich nur um einen kleinen Versuchsreaktor. Wie die Betreiber den Abbau der großen Leistungreaktoren planen, lassen sie bislang offen.
- Atomausstieg? Die Wahrheit Teil 15: AKWs kommen auf den Hausmüll
Deutschland steigt aus. Bis 2022 sollen in einem Stufenplan alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden, das erste bereits 2015. Schwarz/gelb feiert das eigene Einknicken im Fortbestand der Atomenergie als Erfolg, rot/grün stimmt mit dem Argument “alternativlos” zu. Und wegen einer Änderung des Strahlenschutzgesetzes landen tausende Tonnen radioaktiver Abfälle statt in einem Endlager auf Hausmülldeponien oder werden wiederverwendet.
Quellen (Auszug): rhein-zeitung.de, de.wikipedia.org, dapd; 22./23.09.2012