Bau von Kernfusions-Reaktor in Frankreich genehmigt

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat die französische Regierung ein Dekret zum Bau eines Kernfusions-Reaktors in Cadarache unterzeichnet. Innerhalb von 25 Jahren dürfen nun Milliarden in das Projekt gesteckt werden, das die zukünftige Energieversorgung „revolutionieren“ soll. Doch noch vor dem Bau des ersten Reaktors ist das Scheitern schon abzusehen: „zu spät, zu teuer, zu radioaktiv“ attestieren Atomkraftgegner.

ITER-Baustelle in Cadarache/Frankreich im Juni 2012; Bild: iter.org

ITER-Baustelle in Cadarache/Frankreich im Juni 2012; Bild: iter.org

Die Sonne auf die Erde holen: Die „Atomfusion“ soll eine nahezu unerschöpflichen Stromquelle, CO2-frei, sicher und beherrschbar sein. Es ist der Traum einer dem Untergang geweihten Industrie, die nach den Atomkraftwerken auf die nächste atomare Großtechnologie setzen will. In einem Reaktor sollen Atomkerne miteinander verschmelzen – anstatt sie wie bisher zu spalten. Dabei werden ungeheure Mengen an Energie frei. Vergleichbare Prozesse laufen auf der Sonne ab.

Frankreich hat kürzlich – weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit – den Bau eines solchen Reaktors per Dekret genehmigt. Die beteiligten Länder hatten bereits am 28. Juni 2005 den „Startschuss“ für das Projekt gegeben. Die Bauarbeiten begannen Anfang 2007.

Der neue Reaktor soll im rund 60 km nordöstlich von Marseille gelegenen Kernforschungszentrum Cadarache entstehen, eines der „nuklearen Hochburgen“ im Land. Dort befinden sich zahlreiche Atomreaktoren und -anlagen, u.a. auch eine Fabrik, die bis 2003 Plutonium-Brennelemente auch für deutsche AKW herstellte. Diverse Labore und Kernspaltungsreaktoren sind auch schon stillgelegt worden.

Der neue Reaktor mit dem Namen „ITER – International Thermonuclear Experimental Reactor“ soll von der „internationalen Forschungsgruppe Iter“ gebaut werden, an der die europäische Atomgemeinschaft Euratom, sowie die Länder Japan, Russland, China, Südkorea, Indien und die USA beteiligt sind. Das Projekt will unter Beweis stellen, dass die Technik zur Stromerzeugung genutzt werden kann. Am Ende könnten – so die Pläne – zahlreiche Großkraftwerke entstehen, die dann flächendeckende Energieversorgung gewährleisten.

  • Die ursprünglich kalkulierten Kosten von 5,5 Milliarden Euro sind völlig aus dem Ruder gelaufen und liegen inzwischen bei fast 13 Milliarden Euro. Die Europäische Union zahlt rund 45 Prozent.

Die Verflechtung mit der Atomindustrie ist deutlich: Das für den Versuchsbetrieb von ITER benötigte Tritium in einer Menge von einigen Kilogramm könnte entweder aus Schwerwasserreaktoren stammen, in denen es in großen Mengen als Abfallprodukt anfällt oder aber in Kernspaltungsreaktoren aus Lithium-6 erbrütet werden.

Anlagenteilen, Kühlmitteln und Strukturmaterial wird durch Neutronenstrahlung radioaktiv. Teilweise werden die Teile so starker Neutronenstrahlung ausgesetzt, dass sie regelmäßig getauscht und zwischengelagert werden müssen. Der größte Teil der aktivierten Anlagenteile muss nach Ende der Nutzungsdauer für etwa 100 Jahre kontrolliert gelagert werden, ein kleinerer Teil ungefähr 500 Jahre. Mit den derzeit gängigen Strukturmaterialien wie austenitischen Chrom-Nickel-Edelstählen entstehen durch Neutronenaktivierung nämlich große Mengen des relativ langlebigen und stark gammastrahlenden Cobalt-60.

An der Idee von der „unbegrenzten Energiequelle“ basteln Forscher schon seit 60 Jahren, ohne dass sie dem Durchbruch wesentlich näher gekommen sind. Glaubt man der ITER-Planung, könnte nach einer Testphase, die 20 Jahre betragen soll, nicht vor 2050 ein Kraftwerk entwickelt werden, dass tatsächlich in größerem Stil Strom ins Netz einspeist. Dann sollte Deutschland aber hinsichtlich seiner Stromerzeugungsstruktur schon ganz woanders sein: dem Ziel der Vollversorgung durch Erneuerbare Energien ein großes Stück näher als heute.

  • Gerangel um Geld für Kernfusion
    21. September 2012 – Die Bundesregierung ändert die Förderung der Kernfusion. Künftig gibt es für deutsche Unternehmen, die um Aufträge für den umstrittenen ITER-Reaktor in Frankreich buhlen, keine gesonderte Unterstützung mehr. Noch vor einem Jahr wurden die Forschungsetats für Atomprojekte erhöht. Atomkraftgegner kritisieren das Projekt mit “teuer und überflüssig!”.
  • ITER: Internationaler Thermonuklearer Experimenteller Reaktor
    11. Dezember 2011 – Der Kernfusionsreaktor “International Thermonuclear Experimental Reactor” (ITER) ist ein gemeinsames Forschungsprojekt der Europäischen Union und zahlreicher Länder. Die EU, die USA, Japan, China, Russland und Südkorea gaben am 28. Juni 2005 nach langen Verhandlungen den Startschuss für den Bau des so genannten Iter-Reaktors. Sie beschlossen, für insgesamt 9,6 Milliarden Euro einen Versuchsreaktor in Cadarache in Südfrankreich zu bauen. Er soll 20 Jahre lang betrieben werden.
  • Atomfusion als letzter Strohhalm
    14. Mai 2011 – Aufgrund der beschränkten Vorhandenheit des fossilen Rohstoffes Uran als Brennstoff in herkömmlichen Atomreaktoren und dem missglückten Versuch der „Schnellen Brüter“ bleibt der Atomindustrie als zeitbezogene Perspektive allein die des Atomfusionsreaktors, von dem heute niemand wissen kann, ob er jemals funktionieren wird.

Quellen (Auszug): nuklearforum.ch, greenpeace-magazin.de; 15./16.11.2012