Keine Entwarnung bei Krebsrisiko durch die Asse

Erhöhte Leukämie-Neuerkrankungsraten sorgen in der Umgebung des Atomendlagers Asse in der Bevölkerung, Landesregierung und Umweltverbänden für große Besorgnis. Eine Studie im Auftrag des Landkreises Wolfenbüttel kam nun zu dem Ergebnis, dass „keine eindeutigen Hinweise auf ein erhöhtes Krebsrisiko durch eine erhöhte Strahlenbelastung vorliegt“. Atomkraftgegner bleiben alarmiert, von „Entwarnung“ kann keine Rede sein, denn die Aussagekraft der Studie sei zweifelhaft.

Abgesoffenes Atommüllendlager Asse-IIDie Erkenntnisse stammen aus dem Jahr 2010, als eine Auswertung des Epidemiologischen Krebsregisters Niedersachsen (EKN) belegte, dass es in der Region rund um das ehemalige Atommüllendlager eine deutlich erhöhte Zahl von Krebserkrankungen, insbesondere Leukämie bei Männern und Schilddrüsenkrebs bei Frauen, gibt. Zwei Jahre nachdem der Landkreis Untersuchungen angeordnet hatte, steht das Ergebnis fest:

  • „Ein direkter Zusammenhang mit dem Endlager konnte nicht festgestellt werden“, lautet die Kernaussage der Studie.

Doch selbst Landrat Jörg Röhmann (SPD) stellt klar, dass die „Aussagekraft der Studie stark eingeschränkt“ sei, man habe sich „weitaus mehr Daten erhofft“. Trotzdem müssten die Studienergebnisse für eine erste Entwarnung sorgen.

Die Auswertungen des Krebsregisters für das Bundesland Niedersachsen von 2002 bis 2010 hatten ergeben, dass pro Jahr etwa zwei Menschen in Asse neu an Leukämie erkranken. Im bundesweiten Vergleich ereignet sich unter 10.000 Menschen allerdings nur eine Blutkrebs-Erkrankung. Bei den Schilddrüsenkrebs-Fällen traten sogar dreimal so viele Neuerkrankungen auf, als im landesweiten Durchschnitt.

Warum das so ist, konnten die Experten auch mit der vorliegenden Studie nicht erklären. Einmal mehr wird aber die Möglichkeit dass von niedriger radioaktiver Strahlung eine potentielle Gefahr ausgeht, relativiert. Auch um viele andere Atomanlagen in Deutschland gibt es Krebshäufungen. Und überall gibt es keine Erklärungen.

Bündnis 90/Die Grünen im Landtag Nidersachsen kritisieren die Studie: es gebe „keinen Anlass für eine vorschnelle Entwarnung“, die „absolut dürftige Datenlage“ sei weiterhin Bestandteil des Asse-Skandals, meint Fraktionsvorsitzender Stefan Wenzel. „In der Studie wurde lediglich untersucht, ob aus den Krankendaten Schlussfolgerungen auf das Atommülllager gezogen werden können. Landrat Röhmann hat darauf hingewiesen, dass die Aussagekraft dieser Daten stark eingeschränkt sei. Im selben Atemzug gibt er eine Entwarnung in Bezug auf die Gefahren durch freigesetzte Radioaktivität – das ist unseriös gegenüber der Bevölkerung“, meint auch Victor Perli, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Landtag.

Es braucht keine Beruhigungspillen sondern eine Beweislastumkehr, fordert der LINKEN-Politker. Die Asse-Betreiber müssten beweisen, dass die desolate Atommüllkippe nicht die Ursache der Erkrankungen ist. Denn es sei seit Jahren bekannt, dass durch die Abluft der Asse radioaktive Substanzen freigesetzt werden – um ein mehrfaches höher als bei einem Atomkraftwerk.

  • Der Asse-Skandal
    Vor 40 Jahren begann man, 126.000 Fässer mit Atommüll achtlos in das marode Salzbergwerk zwischen Braunschweig und Wolfenbüttel zu werfen. Im Inneren der Asse tickt eine Zeitbombe. Der Atommüll soll raus, so schnell wie möglich, beschwören Politiker. Doch hinter den Kulissen steht die Zeit still.

Der „Weser-Kurier“ kommentiert die Situation:

In der Elbmarsch südöstlich von Hamburg gibt es die weltweit höchste Häufung von Leukämiefällen bei Kindern und Jugendlichen. Umweltschützer vermuten seit Langem, dass radioaktive Strahlung aus dem seit 2009 abgeschalteten Atomkraftwerk Krümmel oder dem benachbarten Kernforschungszentrum GKSS den Blutkrebs ausgelöst hat. Beweisen können sie das nicht. Ob Radioaktivität, chemisches Gift, Tabakrauch oder erbliche Disposition Krebs verursacht, ist im konkreten Fall kaum feststellbar. Offiziell ist die Ursache für die Krebserkrankungen an der Elbe unbekannt. Dasselbe gilt für die vom Bundesamt für Strahlenschutz bestätigte Häufung von Kinderkrebs in der Umgebung der Atomreaktoren. Und es gilt auch für die auffällig vielen Krebsfälle in der Samtgemeinde Asse: Der Verdacht, dass radioaktive Strahlung Grund für die Krankheiten ist, liegt auf der Hand. Aber er lässt sich eben nicht beweisen.

  • Radioaktivität ist unsichtbar, sie riecht und schmeckt nicht – und sie hinterlässt im Körper der Krebskranken keine eigene „Handschrift“. Betreiber und Behörden verweisen gern auf die geltenden Grenzwerte für Radioaktivität: Werden diese eingehalten, ist alles unter Kontrolle. Aber sind geringe Strahlendosen wirklich harmlos?

Der 1994 verstorbene Bremer Physikprofessor und Atomkraftgegner Jens Scheer war einer der ersten, die vor den gesundheitlichen Gefahren der sogenannten Niedrigstrahlung gewarnt haben. Jedes Becquerel, also jeder einzelne radioaktive Zerfall, könne Körperzellen schädigen und Krebs auslösen. Die Grenzwerte, so Scheers Credo, würden nicht medizinisch, sondern ökonomisch definiert. Ihre Festsetzung diene weniger dem Schutz der Bevölkerung vor Strahlen als dem Schutz der AKW-Betreiber vor teuren Nachrüstungen und aufwendigen Sicherheitsvorkehrungen.

Auch Organisationen wie die Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) oder foodwatch teilen inzwischen die Meinung, dass es keine „sicheren“ Grenzwerte für die Radioaktivität gibt. Jede noch so geringe radioaktive Strahlung, so ihre Auffassung, bedeute ein gesundheitliches Risiko, jede Grenzwertfestsetzung sei eine Entscheidung über die tolerierte Zahl von Todesfällen.

Eine neue Debatte über den Strahlenschutz ist überfällig. Die Grenzwerte müssen runter. Die Forderung nach einer Umkehr der Beweispflicht, wie sie die Linke erhebt, ist aber unsinnig. Der Nachweis, dass Krebsfälle nicht auf den Betrieb von Atomanlagen zurückzuführen sind, ist unmöglich. In der Elbmarsch und in der Asse-Region.

  • Weniger Mädchen-Geburten um die Asse
    7. Dezember 2010 – Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW widerspricht der jüngsten Einschätzung der Bundesregierung, die vermehrten Krebsfälle in der Asse-Region seien rein zufällig. Während des Betriebs des Atommülllagers Asse sind dort in der Region neben den schon bekannten gehäuften Krebsfällen bei Erwachsenen nun auch deutlich zu wenig Mädchengeburten festgestellt worden. Dieses Ergebnis ist signifikant. Den Zufall als Ursache anzunehmen, erscheint extrem unwahrscheinlich.
  • Erhöhte Krebserkrankung um die Endlager Asse und Morsleben
    28. November 2010 – Um die zwei Endlagerbergwerke in Deutschland, in denen Atommüll eingelagert wurde, ist die Erkrankung an Blutkrebs signifikant erhöht. Laut Krebsregister sind doppelt soviele Menschen an Leukämie erkrankt, als im Bundesdurchschnitt. Nun müssen Untersuchungen folgen, um die Ursachen zu klären. Das es einen Zusammenhang mit dem Atommüll gibt, kann nicht ausgeschlossen werden. Erste “Experten” erklären einen Zusammenhang mit dem Atommüll schonmal als unwahrscheinlich.
  • Verlorene Mädchen: Immer mehr Hinweise auf „Geschlechterlücke“ bei radioaktiver Niedrigstrahlung
    27. April 2012 – In Regionen und Zeiten erhöhter künstlicher Radioaktivität werden weniger Mädchen geboren – Wissenschaftler finden Auffälligkeiten nach atmosphärischen Atomwaffentests, nach der Katastrophe von Tschernobyl und in der Region um das Zwischenlager Gorleben – Erklärungsansätze führen das Phänomen zurück auf zum Zeitpunkt der Befruchtung ohnehin fehleranfällige Entwicklungsprozesse, die auch auf ionisierende Strahlung besonders empfindlich reagieren – Deutsche Umwelthilfe fordert Untersuchungsprogramm.
  • KIKK-Studie: Krebsgefahr im Nahbereich von Atomanlagen erhöht
    10. Mai 2011 – Das Risiko für Kinder an Leukämie (Blutkrebs) zu erkranken nimmt nach der Studie “Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken (KiKK-Studie)” zu, je näher ihr Wohnort an einem Kernkraftwerk liegt. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des Deutschen Kinderkrebsregisters in Mainz, teilte das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als Auftraggeber der Studie am Samstag, den 08.12.2007 mit. BfS-Chef König: “Das Risiko für Kinder, an Leukämie zu erkranken, ist umso größer, je näher sie am Reaktor wohnen”.
  • Neue Analyse belegt: Leukämierisiko im Umkreis von AKWs signifikant erhöht
    4. August 2011 – Kleinkinder im Nahbereich von Atomkraftwerken haben ein signifikant erhöhtes Risiko an Leukämie zu erkranken. Das belegt eine heute im Strahlentelex veröffentlichte Metaanalyse des Wissenschaftlers Dr. Alfred Körblein. Die gemeinsame Auswertung von Daten aus Deutschland, Großbritannien und der Schweiz zeigt im 5km-Bereich eine signifikant um 44 Prozent erhöhte Leukämierate gegenüber der Rate im Entfernungsbereich größer als 5 km (p=0,004).
  • Atomausstieg? Die Wahrheit Teil 16: Leukämie um AKWs bleibt Zufall
    14. Juli 2011 – Deutschland steigt aus. Bis 2022 sollen in einem Stufenplan alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden, das erste bereits 2015. Schwarz/gelb feiert das eigene Einknicken im Fortbestand der Atomenergie als Erfolg, rot/grün stimmt mit dem Argument “alternativlos” zu. Die erhöhte Leukämie-Erkrankung von Kindern im Nahbereich um Atomkraftwerke ist aber weiterhin ungeklärt – Wissenschaftler meinen, alles sei reiner “Zufall”.

Quellen (Auszug): heilpraxisnet.de, weser-kurier.de / presseportal.de, 21.12.2012;