„Kernkraftwerke sind nicht für den Rückbau gebaut“
Eine interessante Einsicht bekommt ein Reporter der Schweizer Webseite „swiss.ch“ beim Besuch des deutschen Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich, das nur ein Jahr in Betrieb gewesen ist und dann wegen ungeklärter Risiken stillgelegt werden musste. Seit 2004 läuft der „Rückbau“ – doch von außen ist nichts davon zu sehen. „Kernkraftwerke sind nicht für den Rückbau gebaut“, meint ein beteiligter Ingenieur.
Das AKW Mülheim-Kärlich liegt am Rhein, 50 Kilometer südlich von Bonn. Dass es bereits seit 2004 zurückgebaut, also abgebrochen wird, ist von aussen nicht zu sehen, schreibt Andreas Keiser auf swiss.ch. Drinnen, im Reaktorgebäude würden Arbeiter in Zelten die mit Luftabsauganlagen ausgerüstet sind Metallteile zersägen. Andere säubern die Teile mit einem Hochdruck-Wasserstrahl. Leerräume zeugen davon, dass hier Motoren, Pumpen, Rohrleitungen, und Dampferzeuger ausgebaut worden sind.
„Von den 13.000 Tonnen Material, die wir aus dem Kontrollbereich nach draussen bringen müssen, sind 9200 Tonnen bereits draussen“, sagt der Ingenieur Walter Hackel, der die Rückbauarbeiten seit Beginn leitet. „Insgesamt müssen 60.000 Tonnen Material raus. Das ist schon rein von der Menge her eine grosse Herausforderung und dauert seine Zeit.“
Der Ingenieur beschreibt auch den Auftrag: Die „Kunst beim Rückbau“ sei, „das ganze KKW so zu zerlegen, dass möglichst viel in den normalen Schrottkreislauf geht. Was übrig bleibt, das ist radioaktiver Abfall, und das muss möglichst wenig sein“. Mülheim-Kärlich wird voraussichtlich 3.000 Tonnen radioaktiven Abfall hinterlassen. Das Gesamtgewicht der Anlage beträgt inklusive Beton 500.000 Tonnen, die allesamt rückgebaut und entsorgt werden müssen. Was Hackel da beschreibt nennt sich „freimessen“, der Schrott wird so lange geschrubbt, gesäubert, vermiuscht, bis die Strahlung unterhalb der Grenzwerte liegen. Dann gelten die Stoffe offiziell als „ungefährlich“ – und werden in die Wirtschaftskreisläufe zugeführt. Was aus dem schwach strahlenden Stahlschrott einmal wird? Bratpfannen vielleicht.
Grundsätzlich sei „das Kraftwerk nicht für den Rückbau gemacht“, sagt Hackel. Der grund ist einfach: Es gibt keine Logistik, um jeden Tag hundert Tonnen Material aus dem Gebäude zu bringen. Diese Logistik musste in Mülheim-Kärlich erst aufgebaut werden, Transportwege geschaffen, Hebezeuge eingebaut, Flächen bereit gestellt, wo die Installationen zerlegt, dekontaminiert und gemessen werden können. Allein das habe zwei jahre gedauert.
Mit dem neuen „Atomausstieg“ sind neun AKW-Ruinen dazugekommen, die abgebaut werden sollen. Von dem Moment an, an dem ein AKW definitiv vom Netz genommen wird, bis zum Tag, an dem das Gelände wieder als „grüne Wiese“ daliegt, vergehen gut und gerne zwanzig oder mehr Jahre. Allein die so genannte Nachbetriebsphase dauert bis zu sieben Jahren. In dieser Zeit kühlen die Brennelemente aus und werden anschliessend abtransportiert. Die Rückbauarbeiten müssen von den zuständigen Behörden genehmigt und während der ganzen Dauer überwacht werden. Kühlsysteme müssen weiterlaufen, Zwischenlagerhallen betrieben werden. Das alles kostet am Ende nur noch Geld – viel Geld. Um den Rückbau und die Endlagerung des Atommülls zu bezahlen, durften die Energiekonzerne jahrelang Rückstellungen bilden – steuerfrei.
Die lange Zeit könnte ein großes Problem werden, befürchten Atomkraftgegner. In Zeiten, in denen die Weltwirtschaft von heftigen Krisen geschüttelt wird, können auch langjährige Energiekonzerne kurze Halbwertszeit haben – und Konkurs gehen. Vor allem dann, wenn die AKW-Ruinen nur noch Geld kosten – und keinen Euro mehr einbringen. E.ON, EnBW, RWE und Vattenfall müssen über Jahrzehnte die Rückbauverantwortung finanziell gewährleisten, sonst bleibt die Last auf den Steuerzahlern hängen.
- Damit das nicht passiert – wie zum Beispiel beim havarierten Endlager Asse-2 – muss der Staat dringend dafür sorgen, dass auch in einigen Jahrzehnten die Finanzierung der Beseitigung von atomaren Altlasten gewährleistet sein wird! Eine Möglichkeit ist die Überführung der Rückstellungen in einen staatlichen Fonds. Doch das allein das bis heute zur Verfügung stehenden Geld reichen wird, ist fraglich. Denn: Wer kann die Kosten für eine völlig unklare Endlagerung beziffern?
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Quelle (Auszug): swiss.ch; 30.01.2013