„Prestigemeiler“ EPR: Finnland und Tschechien erteilen AREVA eine Absage – Proteste in Indien
Der europäische „Prestigereaktor“ EPR sollte dem deutsch-französischen Konsortium AREVA-Siemens einen internationalen Durchbruch verschaffen. In aller Welt wollten die Firmen neuen Meiler bauen – was bleibt sind zwei Projektdebakel in Europa und immer neue Absagen. Der Bau an einem umstrittenen Standort in Indien wurde allerdings nocheinmal bekräftigt.
Der französische Atomkonzern Areva hat zwei Rückschläge in seinem Bemühen um den Verkauf seiner Atomkraftwerke ins Ausland hinnehmen müssen: Das finnische Atomunternehmen Fennovoima schloss den Areva-Druckwasserreaktor EPR aus seinem Bieterverfahren für ein neues Atomkraftwerk im Westen des Landes aus. In Tschechien billigte die Wettbewerbsbehörde UOHS eine Entscheidung des heimischen Stromkonzerns CEZ, Areva aus dem Bieterverfahren um die geplante Erweiterung des Atomkraftwerkes Temelin auszuschließen.
Am finnischen Standort Olkiluoto und in Flamanville in Frankreich werden derzeit die einzigen EPR in Europa gebaut. An beiden Baustellen explodieren die Kosten und verschiebt sich immer wieder die Inbetriebnahme. Der deutsche Konzern Siemens ist aus dem Firmenkonsortium ausgestiegen, aber weiterhin am Bau beteiligt.
Entgegen der europäischen Absagen haben der französische Präsident François Hollande und der indische Premierminister Manmohan Singh anlässlich eines Staatsbesuchs von Hollande in Indien Mitte des Monats bekräftigt, dass sie gemeinsam am indischen Standort Jaitapur sechs EPR-Reaktoreinheiten bauen wollen.
Jaitapur liegt an der mittleren Westküste Indiens im Bundesstaat Maharashtra mit Mumbai als Hauptstadt. Atomkraftgegner kritisieren das Projekt, denn es liegt in einer durch Erdbeben gefährdeten Region. In den letzten 20 Jahren gab es drei Erdbeben mit einer Stärke oberhalb von fünf auf der Richterskala und eines mit der Stärke 6,3. Das Projekt trifft auf erbitterten Widerstand vor Ort, die Proteste werden jedoch mit Polizeigewalt unterdrückt. Im April 2011 starb ein Demonstrant und mehrere Menschen wurden verletzt, nachdem die Polizei in die Menge geschossen hat. Die deutsche Bundesregierung hat angekündigt, das Projekt möglicherweise mit sog. „Hermesbürgschaften“ unterstützen zu wollen.
Atomkraftgegner haben einen offenen Brief an Präsident Hallonde verfasst:
Am 14. Februar 2013
Sehr geehrter Herr Präsident François Hollande,
wir gratulieren Ihnen zu Ihrem Wahlsieg und freuen uns über die Machtergreifung der Sozialisten in Frankreich, einer bedeutenden Nation in diesem kritischen Moment der Weltgeschichte. Nach der nuklearen Katastrophe von Fukushima, hat Ihr Engagement für das Ende der Kernenergie innerhalb der nächsten zwanzig Jahren, Millionen von Menschen Hoffnung gegeben, die für eine friedliche Welt ohne Kernspaltung kämpfen.
Währenddessen wundern wir uns über das Programm Ihres Besuches in Indien, im Besonderen über die, von Ihnen beabsichtigte Unterzeichnung einer Vereinbarung, mit der Nuclear Power Corporation of India Limited (NPCIL) und der indischen Regierung für die Entwicklung des Kernkraftwerks in Jaitapur.
Wie können Sie diesen Widerspruch rechtfertigen zwischen Ihren Verpflichtungen zum Ausstieg aus der nuklearen Abhängigkeit in Ihrem Land und diesem Abkommen mit NPCIL in Indien? Hat menschliches Leben in Frankreich und in Indien nicht den gleichen Wert?
Wir haben immer geglaubt, dass die Französische Revolution der Welt wertvolle Ideen hinterlassen hat: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Ebenso hat die indische Unabhängigkeitsbewegung der Welt die Werte „Wahrheit“ und „Gewaltfreiheit“ hinterlassen.
Im Gegensatz dazu hat die Kernenergie (mit oder ohne die Entwicklung von Atomwaffen) verheerende Auswirkungen auf das Leben und die Rechte ganzer Völker, seit Hiroshima und Nagasaki bis Fukushima. Die Auswirkungen der radioaktiven Strahlung wurden ausgiebig von der wissenschaftlichen Gemeinschaft nachgewiesen, in Indien wie in Europa und den Vereinigten Staaten. Die Menschen in Frankreich, die für Sie gestimmt haben sind sich der Gefahren der Kernenergie sehr wohl bewusst. .Als Präsident müssen Sie es auch sein.
In Indien beträgt der Anteil der Kernenergie nur 2-3% der gesamten Produktion. Angesichts unserer Bedürfnisse und Ressourcen (erneuerbare oder nicht), wird die Kernenergie sicherlich nicht notwendig. Darüber hinaus zeigt eine Studie der „Oxford Research Group“, dass in der Atomindustrie der Verbrauch an „grauer Energie“ genauso bedeutend ist wie die produzierte Energie. Als Konsequenz müssen wir übereinkommen und feststellen, dass die Kernenergie unproduktiv ist. Offensichtlich ist die Nutzung der Kernenergie in Indien weder rentabel noch sicher.
Fragen zur Sicherheit, immer wieder gestellt von den Menschen in Jaitapur, Kudamkum und anderswo blieben unbeantwortet von den Verantwortlichen aus Frankreich dank des Abkommens, das Sie unterzeichnen wollen – ohne die Einhaltung der geringsten demokratischen Konsultationen und unter Anwendung von repressiven Methoden.
Sie sollten wissen, dass sich die Bevölkerung von Jaitapur, trotz der verschiedenen Vorschläge für eine finanzielle Entschädigung, immer geweigert hat, ihr Land zu verkaufen. Bauern und Fischer besetzen das Gebiet und lassen niemanden hinein und setzen ihren Kampf fort, trotz zahlreicher gegen sie angestrengten Gerichtsverfahren, trotz der gewaltsamen Unterdrückung, trotz der Toten.
Als Konsequenz bitten wir Sie eindringlich, nicht nach Jaipur zu gehen und die beabsichtigte Vereinbarung mit der indischen Regierung zu diesem Projekt aufzugeben. Sie sind der Präsident eines souveränen Landes und wir schreiben Ihnen als Bürger eines souveränen Landes, weil die Kernenergie, eine gefährliche Energie, unterstützt von Ihrer Regierung, katastrophale Folgen für unsere Sicherheit und unserer Land haben wird.
Das Jaitapur-Projekt kann nicht voranschreiten, solange die Fragen von Bauern, Fischern und der ganzen betroffenen Bevölkerung nicht beantwortet sind, und solange eine breite öffentliche Debatte über die Kernkraft, wie sie durch die Katastrophe von Fukushima in Gang gesetzt wurde, nicht stattgefunden hat wie es das Gesetz eines „demokratischen“ Landes verlangt.
Wenn Sie sich trotz allem entscheiden, den Bereich zu besuchen, werden Sie sicher unsere Stimmen hören. Selbst wenn die Polizei versuchen wird uns wegzudrängen und zum Schweigen zu bringen um die herrschende Ordnung nicht zu stören. Dann bitten wir Sie die betroffenen Menschen zu treffen und anzuhören. Wir sind entschlossen unser Land, unser Wasser und unsere Lebensgrundlagen zu schützen, nicht nur für uns, sondern auch für künftige Generationen.
Mit freundlichen Grüßen,
Prafulla Samantara, Lokshakti Abhiyan – NAPM OrissaSandeep Pandey, Lok
Rajniti Manch Medha Patkar, Narmada Bachao Andolan – NAPM Suhas
Kolhekar, Suniti SR, NAPM Maharashtra Vimal Bhai, Matu Januar
Sangathan, Uttarakhand Bhupender Singh Rawat, Bhumi Bachao Andolan,
NAPM – Delhi Gabriele Dietrich, Pennuriyam Ikkam, NAPM – Tamilnadu
Madhuresh Kumar, Seela M Rajendra Ravi, NAPM – Delhi
Deutsche AtomkraftgegnerInnen schickten aus Solidarität eine Anti-Atom-Fahne nach Indien: Bei einer Infoveranstaltung im Demokratischen Zentrum wurde am 21. Februar über den Widerstand der indischen Bevölkerung gegen das Atomprogramm berichtet. Im Anschluss verfassten die Aktivisten aus der Region Neckarwestheim ein Schreiben an die Atomgegner aus Indien.
- Temelin, Cernavoda, Hainan: Neue Atombürgschaften in der Pipeline
11. August 2012 – Kein Ende der Atomförderung in Sicht: Die Bundesregierung hat auf Anfrage der Abgeordneten Ute Koczy mitgeteilt, dass sie grundsätzlich bereit ist, Bürgschaften im Zusammenhang mit den Atomkraftwerken Jaitapur in Indien, Temelin in Tschechien, Wylfa in Großbritannien und Pyhäjoki sowie Olkiluoto in Finnland zu prüfen. Dies hat sie potentiellen Antragstellern in Form von sogenannten Letters of Interest bestätigt.
- Hintergrund: Atomkraft in Indien
3. November 2012 – Wie die indische Presse berichtet, haben deutsche Techniker damit begonnen, “den Druckbehälter des AKW Kudankulam-1 zu schließen”. Der Meiler wurde unter massiven Protest der Bevölkerung in erdbeben- und tsunamigefährdeter Region gebaut. Ein kurzer Abriss über das indische Atomprogramm.
- Repressionen: Indische AKW-Gegnerin gestorben / Petition gegen Verhaftungen in Japan
27. Dezember 2012 – Eine Frau, die sich in der indischen Anti-Atom-Bewegung gegen den Bau von Atomkraftwerken engagierte, ist im Gefängnis gestorben. In Japan werden Menschen verhaftet, die gegen die Verbrennung von Fukushima-Schutt protestierten. Eine internationale Petition soll helfen.
Quellen (Auszug): n24.de, nuklearforum.ch, urgewald.de 25.02.2013