Atommüllendlager: Langzeitsicherheit soll aufgeweicht werden
„Endlager auf Zeit“ könnte die Lösung für hochradioaktiven Atommüll sein. Das zumindest fordert Geoforscher Frank Schilling vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Der Grund: Die derzeitigen Anforderungen an ein Endlager seien zu hoch – und die oberirdischen Zwischenlagerhallen unsicher. Mit einer vergleichsweise Kurzzeitlösung über etwa 500 Jahre wäre die Langzeitsicherheit aufgeweicht. Atomkraftgegner warnen vor Abstrichen bei der Sicherheit – diese müsse nach Fukushima völlig neu definitiert werden.
Bislang gilt die Vorgabe der Bundesregierung, eine Deponie für die Ewigkeit zu finden, so dass die hochradioaktiven Substanzen auch künftigen Generationen nicht gefährlich werden. In 30 bis 50 Jahren soll das unterirdische Endlager nach bisheriger Planung fertig sein. Laut Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) lauten die derzeitigen Anforderungen für Endlager, die am 30. September 2010 von der Bundesregierung in neuer Fassung veröffentlicht wurden: hochradioaktive Abfälle werden für 1.000 Jahre „bergbar gelagert“.
Kein gutes Vorhaben, meint Schilling: „Lieber rasch ein sicheres Endlager auf Zeit – etwa für 500 Jahre – als bis auf Weiteres eine unsichere überirdische Zwischenlagerung.“ Die Stabilität der Castorbehälter, die den Atommüll bewahren, ist für 500 Jahre berechenbar, ebenso die Stabilität von Untertagebauwerken, die als Kurzzeit-Endlager in Frage kommen.“ Ein geeignetes Kurzzeit-Endlager könnte „in weniger als zehn bis 15 Jahren fertiggestellt sein“.
Drei Gründe sprechen laut Schilling für ein Kurzzeit-Endlager: das hohe Risiko eines möglichen Absturz eines großen Flugzeuges auf die Zwischenlagerhallen; die lange Dauer der Endlagersuche, die nach seiner Schätzung noch 40 bis 50 Jahre dauern könne und die Frage nach der Rückholbarkeit des Mülls. Man könne heute nicht wissen, ob sich der hochradioaktive Abfall unschädlich oder sogar in Wertstoff umwandeln liesse. Dabei verweist Schilling auf die Transmutationstechnik.
Restrisiko – eine Rechengröße
Atomkraftgegner warnen: eine „Berechnung“ von Sicherheit in der Zukunft anzustellen ist mit Fukushima endgültig gescheitert. Experten berufen sich beim Restrisiko immer auf Rechenwerte und Prozentzahlen, die eine Wahrscheinlichkeit der Havarie angeben sollen. Das hat mit der Realität nicht viel zu tun, denn vielzuoft ist die Fehlerquelle der Mensch. Und der ist nicht zu berechnen. Jetzt die Sicherheit von Castorbehältern, die für eine Verwendung über 40 Jahre genehmigt wurden, hochzurechnen, ist blanker Wahnsinn. Man kann nur abschätzen, wie sich das Material unter der dauerhaften, massiven Strahlung in hunderten Jahren verhält. Und ein Versagen darf nicht passieren: geringsten Mengen des Inventars reicht aus, um ganze Landstriche zu verseuchen und tausende Menschen zu töten.
Gorleben durch die Hintertür?
Das Hauptsacheargument gegen ein Atommüllendlager im Salzstock Gorleben ist die nicht vorhandene Langzeitsicherheit. Allein der Versuch durch Verkürzung der Einlagerungszeiträume Akzeptanz zu gewinnen, wird am Widerstand in der Bevölkerung scheitern.
Völlige Neudefinition von „Sicherheit“
„Wir fordern nach dem Super-GAU von Fukushima, dem Untergang der Asse-II und den zahlreichen weiteren Störfällen eine komplette Überarbeitung der Sicherheitskriterien für Atommülllagerung“, so Jan Becker von contrAtom. „Das Sicherheits-Konzept der Castoren ist in Frage zu stellen, die Behälter halten nicht mal einem schweren Unfall stand. Und bei der Endlagerdebatte durch das Aufweichen der Langzeitsicherheit vom eigentlichen Problem, nämlich der Existenz des Mülls abzulenken, ist schlichtweg Heuchelei und eine Farce gegenüber den kommenden Generationen.“
In einem Punkt schließen wir uns Herrn Schilling aber an: Zwischenlagerhallen sind gegen Terroranschläge nicht ausreichend gesichert. Das Schutzkonzept beruht letztlich allein auf dem Castor-Behälter – der für einen Brand von 800 Grad über 30 Minuten gebaut wurde – was für einen realistischen Unfallablauf unzureichend ist.
- Wir fordern: sofortige Stilllegung aller Atomanlagen!
Quelle (Auszug) Spiegel.de, 10.05.2011