Atomausstieg? Die Wahrheit Teil 19: Katastrophenschutz Fehlanzeige
Deutschland steigt aus. Bis 2022 sollen in einem Stufenplan alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden, das erste bereits 2015. Schwarz/gelb feiert das eigene Einknicken im Fortbestand der Atomenergie als Erfolg, rot/grün stimmt mit dem Argument “alternativlos” zu. Neun AKW dürfen teilweise mehr als zehn Jahre laufen – der Katastrophenschutz bei einem schweren Unfall existiert aber nicht. Und wird auch nicht möglich sein.
Ein nach westlichen Standards gebautes und genehmigtes Kernkraftwerk ist technisch so ausgelegt, dass bei allen Arten von Störfällen ein nennenswerter Schaden in der Umgebung der Anlage vermieden werden kann.
- Unfälle, die über den Rahmen dieser Auslegungsstörfälle hinausgehen, können nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen werden. (Vattenfall: Ratgeber für die Bevölkerung in der Umgebung des Kernkraftwerks Brunsbüttel, Krümmel)
- Unfälle, die über den Rahmen dieser Auslegungsstörfälle hinausgehen, können nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen werden. (E.ON: Ratgeber für die Bevölkerung in der Umgebung des Kernkraftwerks Brokdorf, Isar, Grohnde, Grafenrheinfeld)
- Unfälle, die über den Rahmen dieser Auslegungsstörfälle hinausgehen, können nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen werden. (RWE: Ratgeber für die Bevölkerung in der Umgebung des Kernkraftwerks Gundremmingen)
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So steht es in den Broschüren, die in großer Auflage an die Anwohner der Atomkraftwerke verteilt wurden.
Die Wahrheit sieht anders aus
Nach der Katastrophe von Fukushima wissen wir alle, dass der Super-GAU durch vorher nicht ausreichend berücksichtigte Faktoren völlig unverbereitet und hilflos eintreten kann.
Super-GAU, das heißt: Kernschmelze bei offener Reaktorhülle, mit großer frühzeitiger Freisetzung von Radioaktivität. Ein solches Unglück ereignete sich 1986 im Atomkraftwerk Tschernobyl und in drei Blücken des AKW Fukushima im März 2011.
1986 waren auch im über eintausend Kilometer entfernten Deutschland die Folgen von Tschernobyl spür- und vor allem messbar. Strahlende Stoffe wie das Isotop Caesium 137 (Cs 137), die nach der Explosion des Reaktors in die Umgebung freigesetzt worden waren, gelangten in einer radioaktiven Wolke bis nach Europa. Bei sogenannten Fallouts, also radioaktiven Niederschlägen, konnten sich diese Stoffe am Erdboden absetzen. Die Folge: Stellenweise wurde in Deutschland der behördliche Schwellenwert für radioaktive Kontamination durch Cs 137 um das Achtfache überschritten.
In Tschernobyl war der Super-GAU Folge einer Verkettung technischer und menschlicher Fehlleistungen. In Fukushima überforderte ein Erdbeben mit anschließendem Tsunami die Sicherheitssystem und liess gleich vier Reaktoren auf einmal havarieren. Denkbar ist auch ein terroristischen Anschlag – etwa durch einen gezielten Flugzeugabsturz. Gemäß der Untersuchung der Reaktorsicherheitskommission übersteht kein AKW einen Absturz einer großen Maschine schadlos. Teilweise würde die Reaktorhülle den Absturzmoment überstehen, die folgenden Einwirkungen durch etwa Brände könnten aber zu einem GAU führen. Katastrophale Auswirkungen hätte auch ein Beschuss der AKW durch Raketen, Granaten oder panzerbrechende Waffen.
Eine Ausbreitungskarte der freiwerdenden Radioaktivität, die Greenpeace im September 2010 veröffentlichte, verdeutlicht wie weitreichend die Folgen eines GAU in Deutschland wären.
- Beispiel Krümmel: Nach einem schweren Terrorangriff auf das Atomkraftwerk könnten – je nach Wetterlage – nicht nur weite Gebiete Schleswig-Holsteins, Sachsen-Anhalts, Mecklenburg-Vorpommerns und Brandenburgs, sondern auch Deutschlands Hauptstadt Berlin langfristig unbewohnbar sein. Eine Anzahl von geschätzten 4,7 Millionen Menschen wäre in diesem Szenario von obligatorischen Umsiedelungen betroffen. Krümmel wird nie wieder ans Netz gehen, die radioaktive Gefahr ist wegen der ungeheuren Mengen an Spaltstoffen, die sich im Abklingbecken udn Zwischenlager befinden, aber noch Jahre real.
Die verschiedenen Kontaminationsgrade durch Cs 137 werden auf der interaktiven Karte durch verschiedene Farben dargestellt. Die Farbzonen nehmen dabei auch Bezug auf Maßnahmen, die nach der Katastrophe von Tschernobyl ergriffen worden sind. Nach der deutschen Strahlenschutzverordnung sind alle Gebiete in den Farben türkis bis rot kontaminiert, alle Gebiete in den Farben orange bis rot müssten großräumig evakuiert werden.
Nukleare Gefahren gehen nicht nur von AKWs aus
Es gibt in Deutschland hunderte kerntechnischer Einrichtungen und Orte, an denen nukleares Material gelagert wird. In Gorleben, Ahaus, Lubmin oder den ehemaligen Forschungszentren Jülich und Karlsruhe werden große Mengen radioakiver Stoffe oder Abfälle gelagert, die eine Bedrohung für die Bevölkerung darstellen können.
Weltweit leben 90 Millionen Menschen nahe Atommeilern
Die meisten der 211 Atomkraftwerke weltweit stehen nach einer neuen Studie in dichter besiedelten Gebieten als der havarierte japanische Meiler Fukushima. Nach Berechnungen des britischen Fachblatts “Nature” und der New Yorker Columbia Universität leben weltweit mehr als 90 Millionen Menschen in weniger als 30 Kilometern Entfernung vom nächsten Atomkraftwerk, was der de facto geltenden Sperrzone um Fukushima entspricht. Vor der Evakuierung der Zone lebten dort 172.000 Menschen, bei zwei Dritteln der Atommeiler weltweit ist die Nachbarschaft noch dichter besiedelt. Bei 21 AKW in Asien, Nordamerika, Deutschland, Großbritannien, Belgien und der Schweiz lebt laut den Berechnungen mindestens eine Million Menschen im Umkreis von 30 Kilometern, in sechs Fällen sind es sogar mehr als drei Millionen Menschen. Mehr als 16 Millionen US-Bürger sowie jeweils 9,6 Millionen Deutsche und Chinesen haben demnach ein Atomkraftwerk in ihrer Nachbarschaft. In Frankreich sind es fünf Millionen.
Eine Arbeitsgruppe der Deutschen Umweltstiftung ermittelte die Bevölkerungszahlen in den Gefährdungsregionen um deutsche Reaktoren: Berücksichtigt wurde dabei die Wohnbevölkerung in einem Umkreis von jeweils 150km. Dabei ergaben sich gefährdete Bevölkerungszahlen zwischen 5,4 Millionen (Gundremmingen) und bis zu 11,8 Millionen (Neckarwestheim). Besonders gefährdet sind die Menschen um Bremen, die im unmittelbaren Einzugsbereich von bis zu 6 AKWs leben müssen.
Katastrophenschutz?
Was passiert, wenn eine Alarmmeldung aus einem Atomkraftwerk aufläuft? „Dann werden wir sofort aktiv“, sagt Fred Niehaus, 2007 Verantwortlicher für den Katastrophenschutz im Landkreis Harburg, der an das AKW Krümmel angrenzt. Das Gebiet rund um das Kraftwerk wird dann in drei Bereiche eingeteilt: in eine Zwei-Kilometer-Zone (innere Zone), eine mittlere Zone (bis zu zehn Kilometer) und die Außenzone (bis zu 25 Kilometer). Wie das Katastrophengebiet eingegrenzt wird, richtet sich auch nach der Windrichtung. Geht die radioaktive Strahlung Richtung Osten, kann es sein, dass sogar nur die innere Zone evakuiert wird.
Notfallpläne, die sich an den Bestimmungen der Strahlenschutzkommission des Bundes orientieren hat der Landkreis vorliegen. Doch sie sind „Verschlusssache“, nur die obersten Behördenvertreter kennen also den Inhalt. Was aber bekannt ist: die Bevölkerung wird durch Sirenen und Lautsprecher informiert, wie sie sich zu verhalten hat. Dazu erfolgen Durchsagen über Rundfunk, Fernsehen und Videotext. Auch der Verkehr wird umgeleitet, damit niemand soll mehr in das gefährdete Gebiet gelangen. Was mit den Menschen passiert, die sich nicht an Anweisungen halten – weil sie etwa aus Furcht um ihre eigene Gesundheit auf der Flucht sind – ist offiziell nicht bekannt. In jedem Fall werden bewaffnete Soldaten der Polizei Amtshilfe leisten müssen.
Bürger, die festsitzen, sollen mit Bussen aus der Gefahrenzone transportiert werden. Außerdem sollen Jodtabletten verteilt werden, die das Risiko an Schilddrüsenkrebs zu erkranken, verringern sollen. „Wir haben alles getan, was möglich ist“, sagt Behördenchef Niehaus. Er zweifelt aber selbst daran, dass das ausreicht. Alle Bürger mit Jodtabletten zu versorgen dürfte allein aus logistischen Gründen unmöglich sein. Außerdem könnte eine überstürzte Flucht zum Verkehrschaos führen.
Durch Tschernobyl mussten mehr als 500 000 Menschen auf Dauer ihre Wohnungen und Häuser verlassen. In der Eile der Evakuierung war es den meisten nicht einmal möglich, ihre Habseligkeiten zu retten. Die Bewohnern um das AKW Fukushima mussten ähnliches Leid erfahren. Wenige Wochen nach dem GAU durften sie für kurze Zeit nocheinmal in ihre verstrahlte Heimat, um die wichtigsten Dinge zu holen. Die Region wird laut japanischer Regierung vorraussichtlich 25 Jahre unbewohnbar sein. Kritiker halten das für untertrieben.
Im vergleichsweise etwa 10fach dichter besiedelten Deutschland müssten Millionen von Menschen für ihr weiteres Leben aus dem betroffenen Evakuierungsgebiet umgesiedelt werden. Sämtliche Städte, Dörfer, Fabriken, Betriebe, landwirtschaftliche Anwesen, alle Arbeitsstellen und Verdienstmöglichkeiten und alle kommunalen und sozialen Infrastrukturen müssten aufgegeben werden. Eine Wiederbesiedlung des Sperrgebietes wäre für viele Jahrzehnte bis -hunderte unmöglich.
Wenn man sich vorstellt, wie es aussehen würde, wenn man z.B. durch das Ruhrgebiet oder entlang des Rheins fahren würde oder nach einem Atomunfall in Hamburg spazieren ginge – das übersteigt die Phantasie. Sebastian Pflugbeil, Physiker
- Bei einem Unfall in dem unterfränkischen AKW Grafenrheinfeld müssten dem heute gültigen Evakuierungsplan zufolge etwa 40 Dörfer und Gemeinden, sowie die 53.000 Einwohner zählende Stadt Schweinfurt geräumt werden. Die Schweinfurter Bürger müssten sich demnach an 18 verschiedenen Sammelstellen einfinden. Anschließend würde die Bevölkerung in verschiedene Aufnahmebezirke in Nordbayern gebracht, unter anderem in den Raum Würzburg, in die Rhön, aber auch in die oberfränkischen Landkreise Bamberg und Coburg.
- Der Evakuierungsplan für die Zehn-Kilometer-Zone rund um das schwäbische Atomkraftwerk Gundremmingen sieht die Räumung von Kleinstädten wie Lauingen, Gundelfingen und Burgau vor. Die Städte Günzburg und Dillingen mit ihren jeweils rund 19.000 Einwohnern müssten zumindest teilweise evakuiert werden. Die Einwohner sollen vor allem ins Allgäu, aber auch in den Raum Augsburg gebracht werden. Hier würden unter anderem das Messegelände und die Lechfeldkaserne in Auffanglager umfunktioniert.
- Bei einem Unfall in den Isar-AKWs müssten insgesamt 13 Gemeinden innerhalb der Zehn-Kilometer-Zone evakuiert werden, darunter auch die Außenbezirke der niederbayerischen Bezirkshauptstadt Landshut (62.000 Einwohner). Als Anlaufpunkte für die evakuierten Menschen sollen den Plänen der Katastrophenschützer zufolge unter anderem Volksfestplätze in ganz Niederbayern dienen. Auch in der Regensburger Donauarena würden dann Flüchtlinge untergebracht.
Wo sollen Millionen von evakuierten Menschen leben?
In Turnhallen, Baracken oder alten Kasernen, ohne Arbeit und damit ohne Geld. Außerdem in ständiger Angst an Krebs zu erkranken. Diese Sorge ist durchaus begründet: Bereits wenige Jahre nach dem Tschernobyl-Unglück begann in Weißrussland ein dramatischer Anstieg der Schilddrüsenkrebserkrankung, im Jahre 1995 bei Kindern ein mehr als hundertfacher Anstieg im Vergleich zur Zeit vor Tschernobyl. Auch bei anderen Krebsarten ist ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Mit einer Behandlung von tausenden Krebskranken wäre unser Gesundheitssystem völlig überfordert – die Betroffenen wären auf sich allein gestellt. Daraus resultiert dann meist der Tod. Als Steigerung des Leids für die Betroffenen kann mit einer sozialen und räumlichen Ausgrenzung von verstrahlten Personen gerechnet werden.
Eine fundierte Studie des Bundeswirtschaftsministeriums beziffert die Schadenshöhe eines Super-GAU in Deutschland auf 2.500 bis 6.000 Milliarden Euro für Gesundheits-, Sach und Vermögensschäden: Das ist das 10- bis 20-fache des jährlichen Bundeshaushaltes! Berechnet auf eine Fläche von 10 000km² bei einem Quadratmeterpreis von lediglich 50 Euro wären die Vermögensschäden der Besitzer von Land im atomaren Sperrgebiet, die enteignet werden müssten, 500 Milliarden Euro.
Nach dem Atomgesetz sind Schäden, die von deutschen Atomkraftwerken ausgehen, bis zu einer Höhe von 500 Millionen Euro abgedeckt. Dieser Betrag deckt weniger als 0,1% der real möglichen Gesundheits-, Sach- und Vermögensschäden ab. Das bedeutet, das die betroffenen Menschen neben dem Risiko von schwerer Krankheit und Tod auch auf den materiellen Schäden sitzen bleiben würden. Die Erwartung einer Entschädigungszahlung durch die Kraftwerksbetreiber wird spätestens nach deren zwangsläufigem Konkurs hinfällig. Die Möglichkeit, sich gegen Schädigungen durch Atomenergie zu versichern, ist unmöglich.
Atomanlagen sind ein unberechenbares Risikopotential!
Wir fordern die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen – weltweit!
- Bei einem GAU zahlt der Steuerzahler die Zeche
Deutschland steigt aus. Bis 2022 sollen in einem Stufenplan alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden, das erste bereits 2015. Schwarz/gelb feiert das eigene Einknicken im Fortbestand der Atomenergie als Erfolg, rot/grün stimmt mit dem Argument “alternativlos” zu. Doch Atomkraftwerke bleiben weiter extrem unterversichert und bei einem schweren Unfall zahlen die Steuerzahler die Zeche. weiterlesen »
- Gorleben ist nicht vom Tisch!
- Restlaufzeiten wurden verlängert!
- „Kaltreserve-AKW“: Zwei alte Meiler sollen gar nicht stillgelegt werden!
- 2022? Es geht schneller!
- Eine Entsorgungsperspektive existiert nicht!
- Milliarden für Atomforschungsprojekte ohne Zukunft
- In Demokratien ist die Atomenergie faktisch am Ende!
- Atomtransport rollen weiter durchs Land
- Die Atomstrom-Importlüge
- Die Brennstofffertigung für AKW wird ausgebaut
- Bei einem GAU zahlt der Steuerzahler die Zeche
- Tag für Tag weitere Störfälle
- Uran für deutsche AKW zerstört Lebensgrundlagen
- Forschungsreaktoren laufen weiter
- AKWs kommen auf den Hausmüll
- Leukämie um AKWs bleibt Zufall
- Das AKW und die Bombe
- Zweierlei Mass in Gundremmingen – aber nicht die Sicherheit
Quellen (Auszug): greenpeace.de, Broschüren von E.on, Vattenfall, EnBW, RWE, umweltstiftung.de, news.yahoo.de; 22.07.2011